Kino-Film «Petite nature»: Fragile Geflechte

Nr. 14 –

Wenn schon Erwachsene kaum mit den Komplexitäten von Zuneigung und Begehren klarkommen, wie viel schwieriger gestalten sich die Dinge erst für Kinder – gerade in Situationen, in denen gefestigte Rollenmodelle fehlen? Wie einfach ist es da, das eine mit dem anderen zu verwechseln oder in einer Situation, in der es unangebrachter nicht sein könnte, das eine mit dem anderen zu erwidern?

Was in dieser Verkürzung durchaus ein gut gemeinter Film mit zu vielen unvermeidbaren Fallstricken hätte werden können, inszeniert Samuel Theis in «Petite nature» am Beispiel des zehnjährigen Johnny (Aliocha Reinert) auf überraschend feinfühlige Weise, die weder irgendjemanden an den Pranger stellt noch das bedrohliche Potenzial falsch interpretierter Zuneigung zwischen Kindern und Erwachsenen künstlich abschwächt. Zudem verfügt er mit Reinert über einen jener seltenen Kinderdarsteller, die einen Film mit ihrer blossen Präsenz zu tragen vermögen.

Dieser Johnny also, ein in vielen Dingen frühreifer, in anderen – bedingt durch seine sozialen Umstände – auch weniger weit entwickelter Junge, trifft in der Schule zum ersten Mal auf jemanden, der ihn als Person ernst nimmt. Seine Mutter (Mélissa Olexa) hat zu viele eigene Probleme, als dass sie Johnnys emotionalen Bedürfnissen wie auch seiner Neugier gerecht werden könnte. Sein neuer Lehrer Jean (Antoine Reinartz) hingegen erkennt sofort Johnnys Fähigkeiten – ohne sich jedoch der Bedeutung bewusst zu werden, die das aufrichtige Interesse eines Erwachsenen für die Psyche des Jungen hat.

Über seine eigenen Affektionen im Klaren ist sich eigentlich nur Johnny selbst. Im nicht ganz altersgerechten Gespräch mit einem etwas älteren Mädchen aus dem Umfeld Jeans gibt er nicht unwahr zu Protokoll, dass er sich für Männer interessiert, dass er verliebt sei und dass er dem Geliebten ein Gedicht geschrieben habe. Für einen Moment lösen sich da sämtliche Verwirrungen seines Affektgeflechts ab. Leider ist dann wieder niemand da, um die fragilen Verbindungen neu zu ordnen.

Petite nature. Regie: Samuel Theis. Frankreich 2021