Auf allen Kanälen: Viel Geld um nichts

Nr. 15 –

Warum nicht an eine Wundermaschine glauben? Wo die mediale Aufklärung zum Aufstieg und Fall der Techbetrügerin Elizabeth Holmes an ihre Grenzen kommt.

Auf dem Höhepunkt ihres Stunts hatte Elizabeth Holmes 400 Millionen US-Dollar Investorengelder gesammelt, und der Wert ihrer Start-up-Firma Theranos wurde auf neun Milliarden geschätzt. Im Vorstand sassen etwa der ehemalige US-Aussenminister Henry Kissinger, dazu Ronald Reagans Aussenminister, George Shultz, und ein pensionierter Vier-Sterne-General der Marineinfanterie. US-Präsidenten von Bill Clinton bis Barack Obama lobten ihre «Innovation» öffentlich.

Drei Tropfen Blut

Holmes’ Versprechen: Sie werde die medizinische Diagnostik revolutionieren. Mit ein paar Blutstropfen will sie in einem handlichen Gerät – genannt «Edison» – eine ganze Batterie an Tests durchführen. Innert Kürze soll das Resultat da sein: von Cholesterinwerten über Diabeteswarnungen bis zur Krebsdiagnose. Der kleine Pieks in den Finger geschieht niederschwellig, zum Beispiel in der Shoppingmall zwischen zwei Einkäufen. «Niemand sollte sich zu früh von seinen Liebsten verabschieden müssen», wiederholte die 1984 geborene Holmes in jedes der vielen Mikrofone, die man ihr hinstreckte.

Zu ihrer Nemesis wurde der «Wall Street Journal»-Reporter John Carreyrou, der im Oktober 2015 mit einem Artikel den Anfang vom Ende von Theranos einleitete. Seine Recherchen und die Hinweise von Whistleblower:innen zeigten, dass ausgerechnet das Herzstück von Theranos, der Edison, auch mehr als zehn Jahre nach seiner «Erfindung» nur eine einzige der insgesamt 240 versprochenen Blutuntersuchungen zuverlässig durchführte. Für alle anderen Tests wurden heimlich Geräte von anderen Anbietern eingesetzt. Viele Testresultate waren falsch: Menschen erhielten irrtümlich den Bescheid, sie seien HIV-positiv oder hätten Krebs. Oder man beschied ihnen, sie seien gesund, obwohl sie an Diabetes oder Syphilis litten.

Carreyrous Recherche war auch eine Ehrenrettung für den Journalismus, der bis dahin keine gute Figur gemacht hatte. Zahlreiche Artikel waren über Holmes geschrieben worden, die alle wie PR-Texte funktionierten. In einem mehrseitigen Porträt im renommierten «New Yorker» hiess es unter dem verschmitzten Titel «Blood, Simpler» noch Ende 2014, Holmes’ Angaben zur Funktionsweise des Edison seien «comically vague» – doch nachgebohrt wurde nicht.

Auch die Techpresse steht am Pranger: Wohl aus Angst, bei kritischem Nachfragen in Zukunft nicht mehr zu den Gadgetpräsentationen der Silicon-Valley-Start-ups eingeladen zu werden, übernahm man die aufgeblasene Geheimnistuerei um die Blackbox Edison widerspruchslos.

Nach der Entzauberung folgen wie schon bei der – vergleichsweise unbedeutenden – Hochstaplerin Anna Sorokin (siehe WOZ Nr. 9/2022 ) viele Journalisten und Drehbuchautorinnen in Carreyrous Fussstapfen. Sie wollen aufklären – und können sich der anhaltenden Faszination, die von Holmes ausgeht, doch nicht entziehen. Theranos und die blutjunge Studienabbrecherin als erfolgreiche CEO sind die perfekte Verschmelzung vom alten amerikanischen Traum und der Start-up-Ideologie des Silicon Valley.

Dazu kommt: Das Festhalten an der Illusion, eine technologische Wunderlösung wie der Edison könnte trotz allem dereinst möglich sein, ist attraktiver als eine aufwendige Analyse des maroden US-Gesundheitssystems, um das sich diese Märchengeschichte im Kern ja eigentlich dreht: Viele gehen nicht zur Ärztin, weil sie die Kosten scheuen.

Mächtige Ideologie

Artikel, Podcasts, ein Dokfilm und eine TV-Serie beleuchten zwar Holmes’ individuelles Versagen, wollen aber das mächtige Leitbild des «Fake it till you make it» dahinter nicht aufgeben. Holmes’ Aufstieg wird in diesen Nachbereitungen viel ausführlicher geschildert als ihre Demontage. Und kaum jemand mag zugeben, dass das Problem viel grösser ist als der Theranos-Betrug. Dass es mit einem Glaubenssystem zu tun hat, das die USA im Innersten zusammenleimt: Vollmundige Versprechen überstrahlen Fakten.

Unterdessen ist Holmes in mehreren Anklagepunkten für schuldig befunden worden, bleibt aber gegen Kaution auf freiem Fuss. Die Urteilsverkündung ist für den 22. September angesetzt. Ihr drohen bis zu zwanzig Jahre Haft.

Die sehenswerte Serie «The Dropout» mit Amanda Seyfried als Elizabeth Holmes ist in der Schweiz ab 20. April 2022 auf Disney+ zu sehen.