Pop: Verspielte Leidenschaft

Nr. 16 –

Was, wenn Vögel gar nicht singen, sondern schreien? Die Frage stellte vor fünf Jahren die neuseeländische Sängerin Aldous Harding auf ihrem Debüt «Party». Sie könnte aber auch die Welt ihres nunmehr dritten Albums «Warm Chris» umreissen: schlicht, aber voll rätselhafter Melancholie, irgendwie tief, aber auch albern – vor allem jedoch bindet die Frage Wahrheit und Sinn an die Stimme.

Genauer: die Stimmen. Mehr noch als zuvor spielt Harding mit den vielen hinreissenden Gestalten ihres Instruments. Sie springt manchmal exaltiert wie Joanna Newsom, sie quäkt hell und hoch wie Karen Dalton, schmilzt im schläfrigen Lana-Del-Rey-Stil oder erhebt sich zu einem manieristischen Folk-Belcanto wie Josephine Foster – ein lustvolles Repertoire zwischen Tradition und Lächerlichkeit.

Produziert hat John Parish, Hausproduzent von PJ Harvey. Mit ihm hatte Harding – die seit längerem im walisischen Cardiff lebt – schon auf dem Vorgänger «Designer» die Arrangements aufgehellt und mit viel Sinn für Farben und zarte Rhythmik geweitet. Man darf sich von der sparsam akustischen Anmutung nicht täuschen lassen. Durch die Grundausstattung aus Klavier, Gitarre und Drums bläst mal ein Saxofon, scheppert ein verzerrtes Banjo oder wimmert eine Orgel – Effekte, die markant aus der spärlichen Umgebung treten, so wie Harding ihre hübschen Melodien entschieden durch jazzige oder auch nur schräge Harmonisierungen ins poetisch Ungefähre schiebt.

Dort spielen auch die vage um Liebes- und Angstmelancholien kreisenden Texte. Eher assoziativ verfugt, tragen sie vor allem den verspielten und mitunter süss verwischten Gesang. «Passion must play, or passion won’t stay», lässt sie die Stimme im poppigen «Passion Babe» rau wegbrechen.

So wird Hardings stiller Folkrock zu einem leidenschaftlichen Plädoyer für die schillernde Wandlungsfähigkeit der menschlichsten aller Ausdrucksformen. Indes: Verachten wir in Zukunft nicht das Krächzen der Krähen. Vielleicht singen sie ja.

Aldous Harding: Warm Chris. 4AD. 2022