Pop: Folk in der Gruft

Nr. 20 –

Album-Cover «False Lankum» von Lankum
Lankum: «False Lankum». Rough Trade / Beggars Group / Indigo. 2023.

Jede Popsaison birgt ein Ereignis, das trotz der Konzentration des Marktes auf wenige Namen überraschend wirkt. Die Folkband Lankum aus Dublin hat in diesem Frühling diese Aufgabe – wie soll man sagen? – überraschend gelöst.

«False Lankum», ihr viertes Album, stieg in Irland auf Platz zwei der Charts ein, direkt hinter Lana Del Rey. Und selbst die sonst dem Folk nicht besonders zugewandte Fachpresse auf dem europäischen Festland und der USA geriet ins Jubeln ob der von Grundtönen und Drones zeitgenössisch verdunkelten alten und vorwiegend akustischen Musik. Niemand hatte wohl auf dem Schirm, dass eine unpeinliche und unironische Kreuzung aus Irish Pub und Gothic-Gruft die Kraft haben sollte, die Grenzen des Folkgenres so deutlich zu überschreiten.

Das Quartett musiziert seit gut zehn Jahren, anfangs unter dem Namen Lynched, weil zwei Brüder in der Band Lynch heissen. ­«Lynched» kann auch gehängt bedeuten, was zweifellos Teil des Wortspiels war. Aber im Zuge von Black Lives Matter wuchs die Sensibilisierung, und die Band wollte verhindern, dass jemand die Lynchmorde an Schwarzen in den USA damit in Verbindung bringt. Fortan hiess sie Lankum, nach einem irischen Lied.

Es singen alle, aber Radie Peat übernimmt meistens den Lead. Schwer betörend, wie handfest und nur mit wenig Vibrato sie in höhere Lagen geht, aber auch im Alt viel Kraft hat. Von so viel Tod zu singen, ist nichts für zarte Seelen. Im Video zu «Go Dig My Grave», das von einem Selbstmord aus Liebeskummer im Dachstock erzählt, sehen wir das Programm der Band wunderschön in Bilder gesetzt: Die Sängerin Peat sitzt, nein thront in der Mitte des Raumes, man sieht immer wieder Stricke in Nahaufnahme, und am Schluss sind alle Männer verschwunden. Als wäre die Erzählstimme nicht nur die Tote, sondern auch die Spinne, in deren Netz wir als Hörer:innen gefangen sind. Die anschwellenden Wiederholungsschleifen dieser Musik von irischen Dudelsäcken, Konzertinas oder einem Harmonium wickeln einen unmerklich ein, und schon ist es zu spät, das zweite Bier zu bestellen.

Beim Konzert löst sich die Spannung von Doom und Folk etwas auf Richtung Folk: In Berlin wurde aus dem Konzertort, sinnfälligerweise ein altes Krematorium, dann doch eher ein Pub für irische Expats.