Kino-Film «Un monde»: Kleine Monster im Schulhof
Ein Horrorfilm für Eltern schulpflichtiger Kinder? So könnte man «Un monde» beschreiben, den phänomenalen Erstling der belgischen Regisseurin Laura Wandel. Dabei kommt ihr Film ohne Monster und dergleichen aus, und die Welt, auf die der unscheinbare Titel verweist, ist taghell, überschaubar, sauber eingehegt. Alles spielt in einer Primarschule, meist auf dem Pausenplatz. Banaler Kinderalltag, aber eben: Jeder Pausenplatz ist bekanntlich immer auch ein Herrschaftsraum.
Zwei Kinder sind neu hier: Abel (Günter Duret) und seine kleine Schwester Nora (sensationell: Maya Vanderbeque). Abel muss zum Einstieg gleich unten durch, weil die grösseren Jungs markieren müssen, wer das Sagen hat. Nora will ihm beistehen, aber das machts nur schlimmer. Was tun? Die Lehrkräfte mobilisieren, den Vater einweihen – oder wegducken und schweigen? Das Recht des Stärkeren entzweit die Geschwister: Während ihr Bruder immer weitere Erniedrigungen erfährt, findet die anfangs verschüchterte Nora rasch neue Freundinnen. Aber das heisst nicht, dass sie vor Machtspielen und Kränkungen gefeit wäre. Und zum Täter kann man auch werden, nur um nicht mehr Opfer zu sein.
Kinder können grausam sein, über Mobbing in der Schule hat es schon viele Filme gegeben. Aber so kompakt, präzise und vor allem so konsequent in der Perspektive hat man das noch nie gesehen. «Un monde» bleibt durchwegs auf Augenhöhe mit Nora, die eigentlich nur die Mikrotechniken der Macht zu lesen versucht, die um sie herum ablaufen. Und diese spielen auch dann, wenn die Freundinnen ihre makabren Sandkastenfantasien austauschen. Oder wenn sie am Mittagstisch mit dem Halbwissen angeben, das sie irgendwo aufgeschnappt haben, wahrscheinlich von den Erwachsenen.
Das erwachsene Personal ist latent überfordert, manchmal mitfühlend, oft hilflos: In diesem Alter sei es normal zu streiten, sagt eine Lehrerin einmal zu Nora. Aber bis wo geht ein normaler Streit, und wann ist die Grenze überschritten? Nach 72 Minuten ist die Schule aus. Durchatmen.
Un monde. Regie: Laura Wandel. Belgien 2021