Auf allen Kanälen: Public Relations

Nr. 22 –

Vor Gericht und vor der Kamera: Die unselige Gerichtsverhandlung zwischen Johnny Depp und Amber Heard ist ein Lehrstück in Sachen Instrumentalisierung der Öffentlichkeit.

Was haben die Server der «Washington Post» mit dem Prozess Johnny Depp gegen Amber Heard zu tun? Viel. Denn würden diese Server nicht im US-Bundesstaat Virginia stehen, dann hätte die Gerichtsverhandlung der beiden Schauspieler:innen nicht in Fairfax, Virginia, stattfinden können. Was wiederum zur Folge gehabt hätte, dass diese Auseinandersetzung unter geschiedenen Eheleuten ziemlich sicher nicht live auf diversen Youtube-Kanälen übertragen worden wäre, wo eine unglaubliche Masse an Menschen das Spektakel in den letzten Wochen täglich stundenlang verfolgt und kommentiert hat.

Der Zankapfel: Ein gut drei Jahre alter Meinungsartikel aus der «Washington Post», in dem sich Amber Heard (per Ghostwriter) als Gewaltopfer beschreibt, von jungen Jahren bis heute. Ihr Ex Johnny Depp wird im Text nicht namentlich genannt. Wie die Zeitschrift «The New Yorker» zum Prozessende hin festgehalten hat, geht es eigentlich bloss um zwölf Worte aus diesem Artikel: «Vor zwei Jahren wurde ich zu einer öffentlichen Repräsentantin von häuslicher Gewalt.»

Defäkieren im Bett

Für diesen Halbsatz hat Depp, der darin eine Anspielung auf ihre Scheidung sieht, Heard auf 50 Millionen Dollar Schadenersatz verklagt, in einer Gegenklage sie ihn auf 100 Millionen – exorbitante Summen, die an Hollywoodgagen erinnern. Und weil die Server, über die Heards Artikel in die Welt hinausgeschickt wurde, eben in Virginia mit seiner besonderen Rechtslage stehen, insistierten Depps Anwälte auf dem Prozessaustragungsort und damit auf einer öffentlichen Schlammschlacht. Selbige bescherte uns eine Berichterstattung am Limit: «Im Zeugenstand muss Heard erklären, nicht sie habe in das Ehebett defäkiert, sondern ihr cannabisgeschädigter Yorkshire-Zwerg-Terrier» («NZZ am Sonntag»). Und sie brachte die erneute Veröffentlichung einer Textnachricht von Johnny Depp an einen Freund: «Lass sie uns ertränken, bevor wir sie verbrennen!!! Ich will ihre verbrannte Leiche ficken, um sicherzugehen, dass sie tot ist.»

Dass Depp unbedingt einen öffentlichen Prozess wollte, ist aus mindestens zwei Gründen bemerkenswert. Zum einen, weil die Verhandlungsmasse sensibel ist. Es geht um Missbrauch und häusliche Gewalt, derer sich nun beide gegenseitig bezichtigen. Kein Thema, das man der Welt zum Frass vorwerfen will – würde man meinen. Zum anderen hat Depp 2020 bereits einen ähnlichen Prozess gegen «The Sun» angestrengt – und verloren: Das britische Boulevardblatt darf ihn weiterhin «wife beater» (Gattinnenverprügler) nennen.

Doch scheint seine Rechnung diesmal eine andere zu sein. Mit dem spitzfindig erlangten Einbezug der Öffentlichkeit zapft er nicht nur Youtube an, sondern weitere Echoräume wie Twitter, Tiktok, Instagram. Dort holt er seine beträchtliche weltweite Fangemeinde quasi als inoffizielles Geschworenengericht dazu, das sich an keine Regeln halten muss. Die Fans spielen mit, «das Internet» ist mehrheitlich auf «Johnnys» Seite. Gemäss «The Atlantic» spielt hier eine mächtige Dynamik von Antifantum: Man wirft der weniger erfolgreichen Frau vor, dass sie den berühmteren Mann zerstören wolle.

Blackbox Ehe

Dazu passt, dass sich Depp vor den Kameras gern als Sympathieträger Jack Sparrow aus «Pirates of the Caribbean» inszeniert. Heards bisher grösster Auftritt: die weibliche Hauptrolle in «Aquaman». Ein ungleiches Duell. Man muss sich nicht viele Prozessmitschnitte anschauen, um zu erkennen, dass beide vor Gericht am Schauspielern waren – und die Wahrheit zurechtbogen. Auch klar: Diese höllische Ehe bleibt für uns weitgehend eine Blackbox.

Was etwa die Tamedia-Kommentatorin nicht daran hindert, gleich mehrfach in dieselbe Kerbe zu hauen: Ist das nun das Ende von #MeToo? Was, wenn Amber Heard lügt? Gar selber die Aggressorin ist? Von solchen Suggestivfragen führt ein kurzer Weg zum Schlussplädoyer von Depps Anwalt, das im Satz gipfelte, Heard habe Depps Leben zerstört. Wer allerdings Depps Leben während der letzten Jahrzehnte auch nur aus dem Augenwinkel verfolgt hat, weiss, dass er das ganz gut ohne fremde Hilfe geschafft hätte: Auch seine Selbstruinierung mit Alkohol und anderen Substanzen geschah weitgehend in aller Öffentlichkeit.

Bis Redaktionsschluss waren die Geschworenen zu keinem Urteil gekommen.