Erwachet!: Burger statt Zungen

Nr. 23 –

Michelle Steinbeck über Umwege in die Zukunft

Freischaffende Künstlerinnen haben keine Feiertage, schliesslich ist die Arbeit bekanntlich unser Fest. Dass die anderen frei haben, merken wir höchstens daran, dass wir konzentrierter schaffen können, weil Ablenkungen via Mail und Telefon ausbleiben.

Pfingsten, so stehts auf Wikipedia, sei für den Grossteil der Bevölkerung durch Reise- und Urlaubsaktivitäten geprägt. Der Ursprung des Feiertags – die Aussendung des Heiligen Geists – geht dabei verloren; kein Wunder, wenn niemand zu Hause ist, um die Lieferung in Empfang zu nehmen. Den Leuten ihre Pakete voll «Feuerzungen» (Bibel) an den Campingplatz nachzutragen, ist selbst einem Ressourcenmächtigen wie dem christlichen Gott zu viel.

Dafür missionierten am Pfingstsamstag bei der Rentenwiese Jünger:innen einer neuen Delivery-App, die versprachen, auf Bestellung direkt aufs Handtuch zu liefern.

Das ist die Zukunft, sagten sie. Dasselbe dachte ich, als ich wenig später einem Strassenmusiker zuhörte, aus dessen Hut eine Visitenkarte mit dem QR-Code seines Twint-Kontos ragte. Dass diese Zukunft aber auf wackligen Beinen steht, zeigte sich zur selben Zeit, als bei Post, Visa und Twint unzählige Beschwerden von Entrüsteten bis Verzweifelten eingingen, die ihr Pfingstsamstagspreppershopping nicht bezahlen konnten.

In Anbetracht dessen – und weil es schwer werden wird, in der kompakten Fleischmasse, in die sich das Züriseeufer an einem sonnigen Sommertag verwandelt, einzelne Empfänger:innen auszumachen – hat es sich besagter Gott sicher praktikabler ausgedacht, indem er sagte: «Ich werde meinen Geist ausgiessen über alles Fleisch.» Bildlich dargestellt wird dieses Ereignis häufig in Form einer hoch oben schwebenden Taube, die einen roten Strahl auf die Köpfe der aufgereihten Heiligen spuckt; manchmal fangen deren Schöpfe dadurch auch Feuer.

Mein Hirn war jedoch bereits am Freitag vor Pfingsten am Rauchen: Zurzeit arbeite ich an einem Theaterstück, das in der Zukunft spielt. Dabei verpulvere ich Unmengen an geistigem CO₂, weil die Abzweigungen Richtung Utopie so schlecht angeschrieben sind und ich auf der Suche weite Umwege über dystopisches Land mache.

Aber siehe da: Als ich meinen glühenden Kopf in der Abendsonne auslüften oder wenigstens ein paar Pausencipollata darauf braten wollte, landete eine Taube auf dem Balkon und lief dort geschäftig auf und ab. Dabei behielt sie mich immer im Auge. Ich lud sie ein, in der Ecke ihr Nest aufzuschlagen. Nach einer argwöhnischen, kinda flirty Hin- und Her-Gurrerei schlug sie die Einladung aus und flog davon. Wenn ich nun daran denke, dass diese Taube eine verirrte Sendung des Heiligen Geists gewesen sein könnte, bin ich einigermassen erleichtert: Wie seltsam wäre es, bei den anstehenden Auftritten in Zungen zu reden! Aber vielleicht würde es gar nicht auffallen, beim Schweizer Literaturfest in Flandern.

So stopfe ich am Pfingstsonntag vor dem Bahnhof Strasbourg in fünf Minuten Umsteigezeit einen Veggieburger «Steakhouse» rein. Merkwürdigerweise keine einzige Taube in Sicht. Dafür missionieren die Plakate auf dem Weg zum Gleis für fleischlose Fleischprodukte – und bestätigen, dass ich auf dem richtigen Weg bin: Der vegane Speck war schon fast so knusprig wie in der Zukunft. 

Michelle Steinbeck ist Autorin und derzeit auf Übersetzungsreise in Belgien.