Rüstungsexporte: Alles andere als eine Schlaumeierei
Warum die Schweiz bei Waffenexporten in eine verzwickte Lage kam. Wieso der Bundesrat richtig handelt. Und wie ein Befreiungsschlag aussehen könnte.
Gesetze legen üblicherweise Regeln fest. Nicht so bei der Ausfuhr von Rüstungsgütern. Dort definiert ein Konvolut von Gesetzen möglichst viele Ausnahmen, damit an den Zollstellen der Exportnation Schweiz nur wenige gewinnträchtige Produkte blockiert werden. Die Gesetze sind eine Wissenschaft für sich: Es gibt das Kriegsmaterial- und das Güterkontrollgesetz, und diese haben entsprechende Anhänge mit zahlreichen Kategorien.
So findet sich in der Verordnung zum Kriegsmaterialgesetz in Anhang 1, Kategorie 6, Anmerkung 1, Absatz a die Definition, dass Panzerfahrzeuge mit oder ohne Bewaffnung zum Kriegsmaterial zählen. Etwa Radpanzer des Typs Piranha der Thurgauer Mowag. Das ist noch ein einfacherer Fall im Vergleich zum 1,5-Bis(2-chlorethylthio)-n-pentan, dessen Ausfuhr in der Verordnung zum Güterkontrollgesetz in Anhang 3, Kategorie 7, Anmerkung b, Punkt 2, Absatz a, Punkt 7 der chemischen Agenzien geregelt ist.
Kein Wunder, verlieren auch Politiker:innen schnell den Durchblick. So meinte die Grünliberale Tiana Angelina Moser, immerhin Mitglied der Aussenpolitischen Kommission, auf Twitter, der Bundesrat solle beim Rüstungsexport seine «bisherige Praxis» überdenken. Bloss geht es eben nicht um die Praxis, sondern um Gesetze, und die Medien, die dem Bundesrat jetzt Schlaumeierei vorwerfen, machen es sich etwas einfach: Bei allen Entscheiden, die der Bundesrat bisher zu Exporten bezüglich der Ukraine gefällt hat, hielt er sich an die Gesetze und berücksichtigte Ausnahmen.
Dass die Regierung nur über wenig Spielraum verfügt, hat zwei Gründe. Erstens berühren Waffenexporte in die Ukraine die Grundsätze der Gesetzgebung sowie die Neutralität der Schweiz. Zweitens ist der Bundesrat selber schuld, dass ihm die Hände gebunden sind.
Kontrolle und Lockerung
Bei allen komplizierten Details sind die Exportgesetze aus klaren Grundsätzen abgeleitet. So liefert die Schweiz keine Rüstungsgüter in ein Bestimmungsland, das in einen «internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt» ist. Historisch begründet liegt dieses Prinzip in der Haager Konvention von 1907. Demnach ist es neutralen Staaten verboten, kriegführenden Truppen aus staatseigenen Beständen Kriegsmaterial zu liefern. Zu den Grundsätzen zählt weiter, dass Exporte in Länder verboten sind, in denen «die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzt» werden. Deshalb werden seit 2009 keine neuen Waffenexporte nach Saudi-Arabien mehr bewilligt. Ersatzteile für frühere Lieferungen allerdings werden toleriert.
Um die Grundsätze tobte in den letzten Jahrzehnten eine heftige Auseinandersetzung. Auf der einen Seite fand eine globale Verrechtlichung der Rüstungskontrolle statt. Die Schweiz spielte dabei eine aktive Rolle. So unterzeichnete sie 1996 als Gründungsmitglied zusammen mit 33 anderen Staaten das Wassenaar-Abkommen. Es regelt die Exportkontrollen von konventionellen Waffen und sogenannten Dual-Use-Gütern, die militärisch wie zivil genutzt werden können. Exporte werden von der Schweiz nur bewilligt, wenn eine Bestätigung der Nichtwiederausfuhr vorliegt. Das soll verhindern, dass Rüstungsgüter über einen friedlichen Staat doch in einem Kriegsgebiet landen.
Auf der anderen Seite hat die Politik wiederholt Ausnahmen beschlossen. So konstruierte man 1997, also kurz nach der Unterzeichnung des Wassenaar-Abkommens, für den Flugzeugbauer Pilatus in Stans die Bestimmungen über die «besonderen militärischen Güter». Obwohl die Trainingsflugzeuge weltweit in bewaffneten Konflikten auftauchten, gelten sie seither nicht mehr als Kriegsmaterial. Es sollte nicht das letzte erfolgreiche Lobbying der Waffenfirmen für ihre Interessen bleiben.
2014 ermöglichte der Bundesrat, dass Rüstungsgüter in Staaten ausgeliefert werden, wenn nur ein geringes Risiko bestehe, dass sie für Menschenrechtsverletzungen eingesetzt würden. Und 2018 forderten Rüstungskonzerne wie die Mowag vom Bundesrat, dass sie auch in Länder exportieren dürfen, in denen Bürgerkriege toben. Die damaligen Bundesräte von FDP und SVP – Johann Schneider-Ammann, Ignazio Cassis, Ueli Maurer und Guy Parmelin – knickten ein. In der Bevölkerung brach ein Sturm der Entrüstung los, die «Korrekturinitiative» wurde lanciert. Sie wurde für den Bundesrat zum Bumerang: Das Parlament schrieb die Grundsätze der Rüstungsexporte nicht mehr auf Verordnungs-, sondern neu auf Gesetzesebene fest. Der Bundesrat kann deshalb keine neuen Ausnahmen mehr beschliessen. Er braucht dazu das Parlament.
In Kraft trat das neue Gesetz im Mai 2022 – nur wenige Wochen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. So weit die Situation nach allen Regeln der Exportwissenschaft.
Wie ein Kartenhaus
Will die Schweiz nun also Waffen in die Ukraine liefern, muss sie demokratisch die Gesetze ändern. Das kann der Bundesrat in die Wege leiten – oder das Parlament selbst. FDP-Präsident Thierry Burkart will das tun: Er möchte es Staaten erlauben, Rüstungsgüter, die sie einst mit einer Nichtwiederausfuhrbestätigung erhalten haben, in Kriegsgebiete zu exportieren. Sofern diese Staaten «unsere Werte teilen». In einem konkreten Fall hat Dänemark die Schweiz angefragt, ob man Mowag-Piranhas an die Ukraine weitergeben dürfe.
Burkarts Vorstoss zeigt bereits alle Schwierigkeiten. Ohne Nichtwiederausfuhrbewilligung kann die Schweiz nicht mehr kontrollieren, wohin ihre Waffen gehen. So wie einst eine Lieferung von Ruag-Handgranaten an die Vereinigten Arabischen Emirate ausser Kontrolle geriet. Wenn zudem Dänemark die Panzer an die Ukraine weitergeben dürfte, warum sollte sie dann die Mowag nicht gleich direkt liefern? Spätestens an diesem Punkt beginnt die grosse Neutralitätsdiskussion. Müsste die Mowag aus Gründen der Gleichbehandlung am Ende auch Russland beliefern?
Und was sollen überhaupt Staaten sein, die «unsere Werte» teilen? Die Korrekturinitiative wollte anfänglich – etwas weniger schwammig – festschreiben, dass Rüstungsgüter in «demokratische Rechtsstaaten» geliefert werden dürfen, auch wenn sie sich im Krieg befinden. Wohlweislich kamen die Initiant:innen von dieser Formulierung ab: Als demokratischer Rechtsstaat hätte nicht nur die Ukraine gegolten, sondern auch die Türkei, trotz des schmutzigen Krieges gegen die Kurd:innen.
Aus all dem lässt sich folgern: Wenn die Schweiz den Grundsatz lockert und Waffen an eine Kriegspartei liefert, zieht sie jene Karte, die das Regelwerk der Rüstungskontrolle zum Einstürzen bringt. Das gilt auch im Fall der Ukraine, die völkerrechtswidrig angegriffen wird.
Weil eine Gesetzesänderung dauert, weil die USA die Ukraine mit viel leistungsfähigeren Waffen unterstützen können, weil Staaten wie Deutschland wohl auch deshalb in der Frage Druck auf die Schweiz machen, um von der eigenen Zögerlichkeit bei Waffenexporten abzulenken, und weil die Schweizer Rüstungsindustrie volkswirtschaftlich vernachlässigbar ist, drängt sich ein anderer Schluss auf: Die Schweiz liefert am besten gar keine Waffen mehr ins Ausland.
Und nutzt ihren regulatorischen Eifer und das Kontroll-Know-how besser dort, wo sie der Ukraine wirklich helfen kann: bei der Suche nach den russischen und ukrainischen Oligarchengeldern. Das wäre ein echter Befreiungsschlag.
Die WOZ-Redaktoren Kaspar Surber und Jan Jirát haben zusammen den Rüstungsreport der WOZ erarbeitet: www.ruestungsreport.ch.