Auf allen Kanälen: Antikapitalismus zum Lauschen

Nr. 25 –

Bildung für alle, und das umsonst: Im Netz gibt es gute linke Theorie-Podcasts frei zum Abruf.

Symbolbild: Mikrofon-Symbol

Früher war das Gefängnis die Universität der Revolutionär:innen, heute hat man es bequemer: Es gibt nicht nur schlaue Twitter-Threads, sondern auch zahllose Podcasts, die Wissen vermitteln – darunter auch solche, die sich explizit linker Theorie verschrieben haben. Etwa der Podcast «tl;dr» der deutschen Rosa-Luxemburg-Stiftung. Das kryptische Kürzel ist Internetjargon und steht für «too long, didn’t read»: War mir zu umfangreich, habs nicht gelesen. Entsprechend will der Podcast linke Schlüsseltexte, die oft zitiert, aber eben selten wirklich rezipiert werden, einem breiten Publikum vermitteln – damit keine:r mehr sich am Plenum vom Theoriemacker übers Maul fahren lassen muss.

Sechzehn Folgen, jeweils knapp eine Stunde lang, wurden bislang veröffentlicht, darunter Episoden zu Autor:innen wie Walter Benjamin , Antonio Gramsci , Silvia Federici oder Nancy Fraser . Damit steht ein stattliches Bildungsangebot von hoher Qualität frei im Netz zum Abruf. Das ist vor allem Alex Demirovic zu verdanken, der kompetent durch den Podcast führt. Der Sozialwissenschaftler, der auch schon an der Uni Basel lehrte, ist Experte für die Kritische Theorie in Frankfurter Tradition, hatte aber nie Berührungsängste gegenüber französischen Impulsgeber:innen wie Michel Foucault oder Nicos Poulantzas .

Pro und contra Lenin

Demirovic gibt jeweils eine biografische und thematische Einführung, dann diskutiert er mit einem Studiogast. So erläuterte ihm etwa die Soziologin Katharina Hoppe, was die feministische Theoretikerin Donna Haraway mit der schönen Parole «Make kin, not babies!» («Knüpft neue Verwandtschaften, statt Kinder zu kriegen») meint – und warum diese Forderung auch Tücken birgt. So unterhaltsam wie informativ wiederum ist die Episode zu Lenins Schrift «Was tun?» , in der Demirovic mit dem Publizisten und Thesenpyromanen Dietmar Dath das Für und Wider einer Avantgardepartei debattiert.

Weniger am linken Theoriekanon orientiert und daher etwas überraschender ist das, was der Podcast «Talk Social Science to Me» vom Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt bietet. Dort ist eine Episode erschienen, in der man lernt, dass es einen Forschungszweig namens «Kritische Menstruationsforschung» gibt. Wobei die Soziologin Sophie Bauer, die dazu forscht, betont, dass diese sozialwissenschaftliche Disziplin noch immer eher randständig ist. Bauer führt dann aber im Gespräch mit den Redaktorinnen Friederike Alm und Aranka Benazha vor, dass die Analyse von Diskursen über Menstruation nicht nur Skurriles aus alten Biologielehrbüchern zutage fördert, sondern auch provokante Thesen inspirieren kann – etwa wenn sie konstatiert, dass es global betrachtet so etwas wie eine «universale Körperlichkeit» nicht gibt.

Antikapitalistische Chroniken

Wer Englisch versteht, kann dem Sozialgeografen David Harvey beim Denken zuhören. Sein Podcast «The Anti-Capitalist Chronicles» ist einfach gehalten: Der renommierte Theoretiker sucht sich ein Thema aus und monologisiert ins Mikrofon. Das ist oft sehr lehrreich, etwa wenn sich Harvey mit der verbreiteten These auseinandersetzt, dass sich die gegenwärtigen Verhältnisse wegen der wachsenden Kluft zwischen Arm und Superreich zu einer Spielart des Feudalismus zurückentwickelt hätten.

In der Folge erläutert Harvey, warum Kapitalismus nie ein System gewesen ist, das irgendwann entstanden ist und dann fix und fertig war, sondern stets dynamisch blieb. So habe inzwischen das Finanz- und auch das Handelskapital die Dominanz gegenüber dem Industriekapital gewonnen: Handelsriesen wie Ikea oder Walmart könnten heute ihren Produzenten die Preise diktieren, nicht umgekehrt. Falsche Projektionen zurück in die Vergangenheit seien für die Analyse solcher Zustände eher hinderlich, so der Sozialtheoretiker.

Harvey wird übrigens diesen Herbst 87. Vorbehalte gegenüber der digitalen Verbreitung seiner Arbeit hat der marxistische Silver Surfer zum Glück aber nicht.

Eine gute Zusammenstellung von Podcasts zu (nicht nur linker) politischer Theorie findet sich hier: theorieblog.de .