BVG-Reform: Im Plan B verheddert

Nr. 25 –

Die bürgerlichen Rentenabbaupläne sind ins Stocken geraten: Nach Chaostagen im Ständerat geht es mit der BVG-Reform nicht weiter. Das könnte helfen, die Erhöhung des Frauenrentenalters an der Urne zu verhindern.

Symbolbild: Zerbrochene Glasscherben am Boden
Wer räumt das wieder weg – doch wohl nicht die Frauen! Die bürgerliche Rentenpolitik steht vor einem selbstverschuldeten Scherbenhaufen. Foto: Lev Dolgachov, Alamy

«Nach der Chance ist vor dem Chaos» titelte die WOZ 2017 nach der knapp abgelehnten Altersvorsorgereform. Eine Annahme hätte die AHV-Renten sogar leicht erhöht, das wichtigste Sozialwerk auf Jahre hinaus solide finanziert und die Pensionskassenrenten stabilisiert. Die triumphierenden Rechtsbürgerlichen taten damals so, als hätten sie einen Plan B, der sich rasch realisieren liesse. Allerdings gab Mitte-Präsident Gerhard Pfister einer rechten Abbaureform wenig Chancen und postulierte die Einbindung der Linken. Die grüne Nationalrätin Regula Rytz sagte, wirkliche Verbesserungen gebe es nur, wenn die Frauenbewegung wieder erwache und laut werde.

Fünf Jahre später lässt sich feststellen: Das Reformchaos ist eingetreten. Die Bürgerlichen inklusive Mitte haben die Linke vom Reformprozess ausgegrenzt und verheddern sich mit einem Plan B. Die Frauenbewegung ist dagegen wieder auf eindrückliche Weise erwacht und mobilisierte 2019 beim Frauenstreik über eine halbe Million Menschen, die für die Beseitigung aller Diskriminierungen demonstrierten. Diese Bewegung kämpft jetzt zusammen mit der Linken und den Gewerkschaften gegen die Erhöhung des Frauenrentenalters.

Krasse Diskriminierung

Und das aus guten Gründen. Besonders krass ist die Diskriminierung bei den Pensionskassenrenten. Rund dreissig Prozent der Rentnerinnen erhalten keine BVG-Rente, sondern nur die AHV. Viele von ihnen sind auf Ergänzungsleistungen angewiesen. Und die Frauen, die eine BVG-Rente beziehen, erhalten im Durchschnitt rund vierzig Prozent weniger als die Männer.

Bei der aktuellen BVG-Reform geht es im Kern um die Senkung des gesetzlichen Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6 Prozent. Dieser Satz bestimmt, abhängig vom angesparten Kapital, die jeweilige Höhe der Rente. Das für die Hälfte der Rentner:innen ohnehin prekäre Rentenniveau – es sind weniger als 3500 Franken monatlich – würde mit dieser Reform erneut sinken. Daher merkten selbst die Bürgerlichen, dass es Ausgleichsmassnahmen braucht, wenn sie mit ihren Abbauvorlagen an der Urne bestehen wollen. Allerdings sind diese deutlich zu tief, um das sinkende Rentenniveau aufzufangen. Der Nationalrat sieht Ausgleichszahlungen in der Höhe von insgesamt 9,1 Milliarden Franken vor. Der Ständerat wollte in der eben zu Ende gegangenen Session nachbessern. Ein Kommissionsvorschlag, an dem der Urner FDP-Ständerat Josef Dittli federführend mitwirkte, sah über die Jahre einen substanziellen Ausgleich von 25,2 Milliarden Franken vor, von dem auch die Mittelschicht und vor allem die Frauen profitiert hätten. Doch die eigene Partei liess Dittli im Regen stehen. Daran konnte auch ein eilends zusammengezimmerter Kompromissvorschlag von ihm nichts ändern. Das Geschäft wurde an die Kommission zurückgewiesen. Damit ist die Reform vorläufig blockiert.

Argumentationsnotstand

Das hat jene bürgerlichen Politikerinnen erzürnt, die für die Erhöhung des Frauenrentenalters kämpfen. Sie hatten damit gerechnet, dass der Ständerat vor der Abstimmung am 25. September ein klares Signal für höhere BVG-Frauenrenten aussendet. Jetzt fehlt ihnen das wichtigste Argument. Dass die Frauen bei sinkenden BVG-Renten ein Jahr länger arbeiten sollen, um die AHV mitzufinanzieren, bringt die bürgerlichen Politiker:innen in Argumentationsnot. Gegenüber den TA-Medien sagte die FDP-Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher, das sei ein «Geschenk» für die Linke. Die bürgerliche Frauenallianz (FDP, Mitte und GLP) sei fest davon ausgegangen, dass vor der Abstimmung eine gute Lösung für die Frauenrenten vorliege.

Dass die Bürgerlichen beim Thema BVG keinen gemeinsamen Nenner finden, zeigte sich bereits nach der gescheiterten Reform von 2017. Im Auftrag des Bundesrats sollten Arbeitgeberverband, Gewerbeverband und Gewerkschaften eine Kompensationslösung für die sinkenden BVG-Renten ausarbeiten. Doch der Gewerbeverband stieg gleich zu Beginn mit Getöse aus. Arbeitgeberverband und Gewerkschaften präsentierten einen gangbaren Weg: Mindestens fünfzehn Jahrgänge sollten lebenslang monatliche Rentenzuschläge von 200, 150 und 100 Franken erhalten. Im Nationalrat wurde der Vorschlag jedoch von den Bürgerlichen versenkt.

Das Medienproblem

SP-Ständerat Paul Rechsteiner wies kürzlich in seinem Blog auf ein weiteres Problem hin: die Medien. Sie hätten das Narrativ, dass es mit der AHV bergab gehe, übernommen. So setze sich diese Erzählung auch in den Köpfen der Menschen fest. Als Beispiel nennt er das AHV-Betriebsergebnis 2021. Es resultierte ein Überschuss von über zweieinhalb Milliarden Franken. Das war keine Schlagzeilen wert. Dass die AHV wieder stabil unterwegs ist, ist allerdings ein weiteres Argument gegen die Frauenrentenaltererhöhung. Denn anders als bei den BVG-Renten gibt es in der AHV wenig Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Folglich müssten Bund und Parlament diese Kasse stärken – und die Stimmbürger:innen die Rentenaltererhöhung ablehnen. Bloss dann besteht die Chance, dass sich sozialpolitisch erblindete Politiker:innen zurück auf den Boden der gesellschaftlichen Realität tasten.