Flughafen Zürich: «Wir sind total am Anschlag»
Das Bodenpersonal am Flughafen Zürich kämpft für einen besseren Gesamtarbeitsvertrag, nachdem während der Pandemie die Arbeitsbedingungen verschlechtert wurden. Zürich ist bloss ein Beispiel für das weltweite Chaos in der Flugbranche, in der alles möglichst billig sein muss.
Maya F.* ist eine von 2000 Mitarbeiter:innen von Swissport. Die erfahrene Berufsfrau wirkt am Check-in im Flughafen Zürich. Was sie in den vergangenen Monaten erfahren musste, hat sie in ihrer Karriere noch nie erlebt. Das Bodenpersonal, sagt sie, fahre auf Abruf Schicht an Schicht weit über das vertraglich abgemachte Arbeitspensum hinaus. Darunter leide das Privatleben enorm. «Wir sind total am Anschlag. Erholung ist fast nicht mehr möglich.» Für sie sei die Arbeit auf dem Flughafen immer ein Traumjob gewesen. Ob das jetzt unter diesen Bedingungen noch der Fall ist, da ist sich Maya F. nicht mehr so sicher.
Derzeit sind die Schweizer Medien voll mit Berichten über chaotische Zustände auf den Flughäfen, lange Wartezeiten und verlorene Koffer. Die Flugbranche nutzte die Pandemie für den Personalabbau, drückte die Löhne und verschlechterte die Arbeitsbedingungen. Nachdem viele Länder inzwischen die Covid-bedingten Einreiserestriktionen stark gelockert oder fast ganz aufgehoben haben, nimmt der Reiseverkehr stärker zu als erwartet und erreicht mittlerweile gegen achtzig Prozent des Vorkrisenniveaus.
4500 Franken brutto
Daher ist Dampf im System, befeuert auch von der bevorstehenden Ferienzeit. Obschon die Ticketpreise in letzter Zeit gestiegen sind, hält der Preiskampf zwischen den Airlines um die günstigsten Tickets an. Er wird auch auf dem Buckel des Bodenpersonals ausgetragen, Menschen, die im Catering arbeiten, putzen oder die Fluggäste abfertigen.
Auch Marvin S.* gehört zum Bodenpersonal. Er schuftet als Rampmitarbeiter, er ent- und belädt die Flugzeuge. Die Zeit für diese Arbeit ist knapp bemessen. Flugzeuge müssen vor allem in Spitzen um die Mittagszeit und am späten Nachmittag innerhalb einer Stunde (oder noch weniger) be- und entladen werden. Mitarbeiter:innen ohne Zusatzfunktionen erledigen diese körperlich harte Arbeit für brutto rund 4500 Franken monatlich, netto liegt die Entschädigung damit knapp über dem Mindestlohn von 4000 Franken.
Während der Pandemie mussten die Mitarbeiter:innen zudem Zugeständnisse bei der Arbeitszeit und bei der Schichtplanung hinnehmen: Bei gleichbleibendem Lohn arbeitet das Bodenpersonal ein bis zwei Stunden mehr pro Woche, ausserdem muss es bei der Schichtarbeit enorm flexibel sein. «Es kommt regelmässig vor, dass ich von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends eine Schicht fahre – und dann am nächsten Tag eine Frühschicht habe, also um vier Uhr morgens aufstehen muss», sagt Marvin S. Auch die sogenannten Splitschichten hätten zugenommen. Das bedeutet: von morgens sechs bis abends sechs Uhr, sechs Tage pro Woche. Bleibt ein Tag Erholungszeit. «Dann erledige ich privat das Notwendigste, und den Rest des Freitags liege ich auf dem Sofa oder schlafe. Erholung ist nicht mehr möglich.»
Von den Mitarbeiter:innen verlangt Swissport also noch höhere Flexibilität und Mehrarbeit – und spart somit bei gleichbleibendem Lohn massiv Kosten ein. Marvin S. sagt: «Immerhin haben wir jetzt die fünf Ferientage wieder bekommen, die man uns genommen hatte.» Aber dieses Zugeständnis reicht den Beschäftigten nicht. «Wir wollen mindestens den alten Gesamtarbeitsvertrag von 2019 – und einen Teuerungsausgleich und wieder mehr Berechenbarkeit bei der Schichtplanung», sagt Marvin S.
Chefs verschätzten sich
Es ist absurd. In der angeblichen Leistungsgesellschaft wird der den Angestellten abverlangte Effort nicht belohnt, im Gegenteil: Swissport bestraft die Mitarbeiter:innen. Wer kann, zeigt daher den Chefs im übertragenen Sinn den Finger, sucht einen anderen Job und geht. Das ist mit ein Grund für das gegenwärtige Chaos, die langen Wartezeiten und die gecancelten Flüge.
Die Chefs haben sich verschätzt. Die Fluktuation während der Pandemie war an der Basis enorm. Stefan Brülisauer von der Gewerkschaft VPOD Luftverkehr geht davon aus, dass seit Pandemiebeginn etwa ein Drittel des Personals das Weite gesucht hat. Und diese Stimmung hält an.
Swissport versucht nun, die Lücken mithilfe von Temporärbüros zu stopfen. Maya F. sieht das kritisch. «Die Einarbeitung dieser Kolleginnen und Kollegen braucht Zeit – und wir müssen auch Zeit investieren, um sie zu betreuen», sagt sie. Auch Marvin S. stellt das fest: «Wir arbeiten im Team. Bis die Neuen die notwendige Routine haben, kann das den Ablauf verlangsamen – und nicht wenige gehen, kaum eingearbeitet, oft gleich wieder.»
Maya F. stellt ausserdem fest: «Wo wir vorher zu zweit waren, bin ich jetzt alleine. Ich erledige die Arbeit am Check-in. Ist sie getan, renne ich zum Gate.» Die Unterbesetzung kann das Einchecken ins Flugzeug verzögern, Passagier:innen haben zu schweres Handgepäck oder müssen eventuell im Flugzeug umplatziert werden. Auch hier kann es deswegen zu verspäteten Abflügen kommen.
GAV gekündigt
Die Gewerkschaften kämpfen für Arbeitsbedingungen wie vor der Pandemie und haben den Krisen-GAV vorzeitig gekündigt. Die ersten Verhandlungsrunden haben keine Einigung gebracht. Im Herbst sollen die Verhandlungen weitergeführt werden.
Swissport sieht die Situation ganz anders. Auf Anfrage der WOZ schreibt das Unternehmen, es stehe zur Sozialpartnerschaft. Swissport habe in den vergangenen Verhandlungsrunden im Gegensatz zu den Gewerkschaften Kompromissbereitschaft gezeigt. Diese hätten aber alle Vorschläge von Swissport ohne Gegenvorschlag abgelehnt und den GAV vorzeitig gekündigt. Das habe zur Zuspitzung des Konflikts beigetragen.
Um das sprunghaft angestiegene «Produktionsvolumen» schon während der Pandemie zu bewältigen, habe das Unternehmen im Dezember 2021 die grösste Rekrutierungskampagne der Unternehmensgeschichte gestartet und bis dato 850 neue Stellen in der Schweiz geschaffen. Die Mitarbeiterfluktuation sei gleichbleibend, ja sogar leicht rückläufig.
In einem zentralen Punkt, nämlich der Forderung nach Löhnen auf dem Niveau von vor der Pandemie, bleibt Swissport hart: «Die Luftfahrtbranche hat über zwei Jahre während der Pandemie mehrstellige Millionenverluste geschrieben und schreibt weiter Verluste. In diesem Marktumfeld mit äusserst niedrigen Margen sind höhere Löhne nicht finanzierbar.»
Bis zum Ablauf der Kündigungsfrist des GAV gilt die Friedenspflicht, also ein Streikverbot. Stefan Brülisauer vom VPOD Luftverkehr sagt, Swissport stelle sich auf den Standpunkt, für einen besseren GAV sei kein Geld vorhanden. «Wir sagen: Das ist nicht unser Problem. Wir fordern mehr Freizeit, mehr Erholungszeit auf dem Lohnniveau von vor der Krise.» Auch das Streikverbot ist für die Gewerkschaften nicht sakrosankt. Sollten von Swissport «fundamentale Regeln» gebrochen werden, «stellen wir die Friedenspflicht infrage». Streiks wären also denkbar. Vorerst aber soll es während des Sommers bei Protestversammlungen bleiben.
Für Maya F. ist klar, dass es so nicht weitergehen kann. «Wir sind ja Profis», sagt sie, «aber irgendwann ist genug.»
* Name der Redaktion bekannt.