Nicht in einer Stunde Wie Zamoras Linkspartei die konservative Stadt gewinnt, gut regiert und am Ende fürchten muss, dass alles für die Katz war.

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  • Familien beim Picknick am Ufer des Duero in Zamora
    Das beschauliche Städtchen Zamora wird als einzige spanische Provinzhauptstadt von der Izquierda Unida regiert: Am Ufer des Duero.
  • Francisco Guarido, Bürgermeister von Zamora
    «Ohne die Partei bin ich nichts»: Francisco Guarido, Bürgermeister von Zamora.
  • vier Senior:innen bei der Lektüre der Parteizeitung auf einer Sitzbank
    Aufklärung über die Stadtpolitik: Senior:innen bei der Lektüre der Parteizeitung.

Zamora ist eine der stimmungsvollsten Städte der Autonomen Region Kastilien und León. Am Mittellauf des Río Duero gelegen, 250 Kilometer nordwestlich von Madrid und eine Fahrstunde von der portugiesischen Grenze entfernt, zieht sie aufgrund ihrer einzigartigen Dichte an romanischen Sakralbauten und Palästen kunstsinnige Tourist:innen an.

Berühmt ist Zamora jedoch für die Karwoche, in der siebzehn Bruderschaften schwere geschnitzte Heiligenensembles durch die Gassen der Altstadt tragen. Die religiöse Inbrunst der Semana Santa, die Überalterung der Bevölkerung – 25 Prozent sind älter als 65 – infolge der latenten Strukturschwäche der Region sowie das Missverhältnis von Verwaltung und Industrie haben der beschaulichen 60 000-Einwohner:innen-Stadt den Nimbus einer konservativen Hochburg verschafft.

Tatsächlich hat der rechte Partido Popular hier, wie fast überall in Kastilien und León, über Jahrzehnte die Kommunalpolitik beherrscht. Umso grösser war die allgemeine Verblüffung, als bei den Gemeinderatswahlen im Mai 2015 die Vereinigte Linke – die 1986 von der Kommunistischen Partei und linkssozialistischen Splittergruppen gegründete Izquierda Unida – nur knapp hinter dem Partido Popular zurückblieb und ihr Spitzenkandidat Francisco Guarido mit den Stimmen der sozialistischen Fraktion zum Bürgermeister gewählt wurde.

Vier Jahre später überflügelte die Linkspartei sogar die Konservativen, errang die absolute Mehrheit an Mandaten und ist seither mit vierzehn Abgeordneten, darunter sechs Frauen, im Gemeinderat vertreten. Dass Zamora als einzige spanische Provinzhauptstadt von der Izquierda Unida regiert wird, ist auch deshalb erstaunlich, weil die Partei ausserhalb Zamoras kaum noch als eigenständige politische Kraft existiert, sondern als Anhängsel von Podemos oder in Koalitionen mit linken Kleinparteien ein Schattendasein fristet.

Am Anfang war eine Zeitung

Wen immer man in Zamora auf die Izquierda Unida anspricht, jede und jeder erklärt ihren Erfolg mit der Integrität, dem Arbeitspensum und der Kompetenz des jetzigen Bürgermeisters, in dessen Lebensplanung Karriere – oder das, was man landläufig darunter versteht – anscheinend nie eine Rolle gespielt hat. Guarido ist ein ausgebildeter Volksschullehrer, der ausserdem Geschichte und Politikwissenschaften studiert, aber bis zu seinem Amtsantritt als Schulwart gearbeitet hat.

Ursprünglich in der anarchistischen Gewerkschaft CNT aktiv, wurde er 1999 als einziger Abgeordneter der Partei in den Gemeinderat gewählt. Damals wäre die Izquierda Unida um ein Haar an der Sperrklausel von fünf Prozent gescheitert, nachdem sie sich landesweit in zwei Listen aufgespalten hatte, von denen eine, die Nueva Izquierda, bald darauf in der Sozialistischen Partei PSOE aufging. Mit dieser prekären Ausgangslage begann Guaridos politische Arbeit im Gemeinderat. Statt sich durch die Konzentration auf einen sozial besonders wichtigen Bereich zu profilieren, habe die Izquierda Unida wie schon bisher jeden Missstand in der Stadt aufgezeigt und versucht, die Bevölkerung dagegen zu mobilisieren, erklärt er.

«Ich glaube, es gibt vier Gründe für unseren wachsenden Einfluss. Der erste ist, dass wir im Bewusstsein der Leute zu der Partei wurden, die ihnen die Stadtpolitik wirklich erklären kann. Das gelang uns dank der Zeitschrift ‹Tu ciudad y provincia› (Deine Stadt und Provinz), in die wir unser ganzes Geld steckten. Im Oktober 1999 brachten wir die erste von inzwischen 127 Nummern heraus, in einer Auflage von 30 000 Stück, die wir in alle Hausbriefkästen steckten. Ihre Wirkung war und ist sehr gross, an Glaubwürdigkeit übertrifft sie sogar die Lokalzeitung. In ihr konnten die Leser zum Beispiel erfahren, wie und in welchem Ausmass die rechten Stadträte öffentliche Gelder verschleuderten. Das war der Beginn: mit einer eigenen gedruckten Zeitschrift den Einwohnern Zamoras Information und Transparenz zu bieten.»

Der zweite Grund für den Aufschwung seien die permanenten Konflikte innerhalb der Sozialistischen Partei gewesen. Der Rückgang des PSOE von neun Gemeinderatsmitgliedern 1999 auf aktuell drei sei der Izquierda Unida zugutegekommen. «Wem sonst hätten seine enttäuschten Wähler denn ihre Stimmen geben können? Dem Partido Popular schon deshalb nicht, weil wir in der Opposition keine Gelegenheit versäumten, Fälle von – nennen wir sie – Unregelmässigkeiten im Rathaus zu denunzieren, speziell im Bauwesen, das damals eine völlig verrückte Konjunktur erlebte. Wir machten klar, dass man in der Stadtpolitik anders als die Konservativen agieren kann, einfacher, ökonomischer, durchsichtiger, und das hat uns ebenso geholfen wie die Tatsache, dass die Rechte immer schlechte Kandidaten aufgestellt hat.»

Dass der Höhenflug der Vereinigten Linken auch mit seiner Person zu tun hat, will Guarido nicht in Abrede stellen. «Aber ohne die Partei bin ich nichts. In der Izquierda Unida gab und gibt es etliche Genossen, die wie ich seit den achtziger Jahren aktiv sind und mich im Stadtrat heute noch unterstützen. Ich glaube, die Leute vertrauen uns auch deshalb, weil sie sehen, dass ich kein Wendehals bin, sondern der Partei die Treue gehalten habe. Ich sage das ohne Groll gegenüber allen Weggefährten, die uns verlassen haben, als der kometenhafte Aufstieg von Podemos begann, der allerdings von kurzer Dauer war. Hier in Zamora haben wir es abgelehnt, mit Podemos zusammenzugehen. In dieser Sache sind wir stur geblieben, auch gegenüber unserer Parteiführung in Madrid. Das wurde uns in der Stadt hoch angerechnet, sogar von denen, die uns politisch fernstehen. Dass wir den Parteinamen behalten, unser kommunistisches Erbe nicht verleugnen und seit einiger Zeit – nur von der Pandemie unterbrochen – das jährliche Fest der Izquierda Unida ausrichten. Das gibt es nur hier, nirgendwo sonst in Spanien.»

Das Budget saniert

Obwohl er durch die langjährige Oppositionsarbeit mit den Zuständen im Rathaus vertraut war, musste Guarido bald feststellen, dass Initiativen seines Regierungsteams an juristischen Spitzfindigkeiten scheiterten oder vom schwerfälligen Beamtenapparat behindert wurden. Wichtige Bereiche, etwa das Wohnungswesen, fielen und fallen ausserdem nicht in die Kompetenz des Rathauses, sondern in den Aufgabenbereich der Junta de Castilla y León, also der Landesregierung in Valladolid. Dass die Izquierda Unida trotz dieser widrigen Umstände bei den Wahlen 2019 noch zulegen konnte, erklärt Guarido mit ihrer Stärke im Finanzwesen, das immer als linke Schwachstelle gegolten habe. Es sei ihnen gelungen, das Budget zu sanieren, ohne dass dies zulasten der Bevölkerung gegangen wäre.

«Bei unserem Amtsantritt fanden wir fünfzehn Millionen Euro Schulden vor, was bei einem jährlichen Gesamthaushalt von sechzig Millionen keine Kleinigkeit ist. Wir reagierten darauf mit einer radikalen Sparpolitik. Die Personalausgaben durfte man nicht kürzen, wohl aber die laufenden Ausgaben. Das haben wir getan, und das tun wir weiterhin. Sie sind heute niedriger als 2015. In vier Jahren konnten wir nicht nur die Schulden abtragen, sondern sogar einen Überschuss erwirtschaften, den wir für dringende Investitionen verwendet haben.» Vor der Regierungszeit der Izquierda Unida waren Fördergelder der EU mit vollen Händen ausgegeben worden. Dann blieben die Beihilfen aus, und es waren keine Mittel da, um die mit ihnen finanzierten Prestigevorhaben zu erhalten. Dazu kam die schwere Wirtschaftskrise, in der praktisch nichts in die städtische Infrastruktur investiert wurde. «Der Strassenbelag, die Gehsteige, die Kanalisation, die öffentliche Beleuchtung waren in einem erbärmlichen Zustand. Unsere Aufwendungen in diesem Bereich wurden von den Leuten sehr begrüsst.»

Eine der ersten Massnahmen in Guaridos Amtszeit hatte darin bestanden, das Bürgermeistergehalt zu halbieren. Mit einem monatlichen Nettoeinkommen von 1900 Euro ist er der am schlechtesten bezahlte Bürgermeister einer spanischen Provinzhauptstadt. Guarido weiss, dass ihm das viel Sympathie eingebracht hat. «Aber man soll daraus kein Dogma machen. Angenommen, ein Architekt oder eine Ärztin wäre an meiner Stelle. Dann würde ich durchaus verstehen, dass sie mehr verdienen als ich. Nicht 1900, auch nicht 5000 Euro, aber irgendwas dazwischen. Es geht ja nicht, dass jemand tagaus, tagein wie ein Maultier schuftet und dafür nur die Hälfte seines früheren Gehalts bekommt. Ich verdiene ungefähr so viel, wie ich vorher als Schulwart verdient habe. Ein Teil meines Einkommens geht dann noch an die Izquierda Unida. Unsere Stadträte halten es ebenso. Damit sichern wir das Erscheinen unserer Zeitschrift.»

Auf die wirtschaftliche Notlage, in die viele Menschen durch die Pandemie gerieten, reagierte die Stadtregierung schneller und unbürokratischer als die Junta oder die Zentralregierung in Madrid, wobei ihre Massnahmen den von Ausgangssperre und Alarmzustand am meisten betroffenen Sektoren zugutekamen. Selbstständige, die allein oder höchstens mit einer Verkäuferin oder einem Kellner einen Laden oder eine Bar führen, wurden mit je 1500 Euro subventioniert, und Arbeitslose konnten mit «bonos solidarios», Solidargutscheinen, in kleinen Geschäften – nicht in Supermärkten oder Einkaufszentren – die Hälfte ihres Einkaufs bezahlen. Ausserdem richtete die Stadt einen Hilfsfonds ein, mit dem besonders bedürftige Personen – die sich keine Waschmaschine leisten oder ihren Kindern keine Bücher kaufen können – für fünf Monate mit maximal 3000 Euro unterstützt werden.

Den Einwand, das sei reiner Populismus, lässt Guarido nicht gelten. Im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen sei Umverteilen die einzige Möglichkeit für eine Gemeinde, Armut kurzfristig zu bekämpfen. Obwohl die Beschäftigungsprogramme für Arbeitslose – die Arbeitslosenquote beträgt derzeit sechzehn Prozent – in die Kompetenz der Landesregierung fallen, hat die Stadtregierung nicht gezögert, sich an ihnen zu beteiligen.

«Warum tun das nicht alle Kommunen? Weil sie sich zu dreissig Prozent an der Finanzierung beteiligen müssen. Uns hat das nicht abgeschreckt. Wir haben ausserdem beschlossen, bei den hundert Arbeitslosen, die durch diese Programme sechs Monate lang in der Stadtverwaltung beschäftigt werden können, den Kollektivvertrag für Gemeindebedienstete anzuwenden. Mit 1200 Euro Monatslohn für eine ungelernte Arbeitskraft liegen wir weit über dem nationalen Durchschnitt. Das heisst, wir schöpfen die geringen Möglichkeiten voll aus, um Arbeitslosen zu einer anständig bezahlten Stelle zu verhelfen. Sicher könnte man vieles noch besser machen, aber angesichts der Tatsache, dass Zamora soziologisch gesehen eine rechte Stadt ist, halten wir uns ziemlich gut.»

Markthalle statt Supermarkt

Dieses verhaltene Eigenlob schliesst auch den gebürtigen Münchner Christoph Strieder ein, der im Rathaus für Tourismus und Handel zuständig ist und ausserdem das Amt für Stadtentwicklung leitet. Der diplomierte Germanist und Hispanist hatte in Berlin seine spätere Frau kennengelernt, die aus einem Dorf der Provinz Zamora stammte, und sich mit ihr 2001 in einem alten proletarischen Viertel am Ufer des Duero niedergelassen. Dort, im Barrio de Olivares, kämpfte er als Präsident des Nachbarschaftsvereins nicht nur für eine bessere Busverbindung und gegen eine geplante Durchfahrtsstrasse, sondern setzte auch mehrere ökologische und erinnerungspolitische Projekte durch und koordinierte Protestaktionen mit anderen Stadtteilinitiativen.

Aufgrund seiner Freundschaft mit Santiago Fernández Vecilla und Francisco Molina, zwei Veteranen der Partei, begann er, an den informellen Treffen der Izquierda Unida teilzunehmen, die nach wie vor jeden Montagabend stattfinden. Guarido wurde auf den gleichaltrigen, ihm in Beständigkeit und Elan ebenbürtigen Deutschen aufmerksam und lud ihn 2015 ein, als Unabhängiger auf seiner Liste zu kandidieren. Der Partei trat Strieder erst nach anderthalb Jahren bei.

Für ihn erwies sich die erste Amtsperiode als besonders anstrengend, weil er damals zusätzlich zu seinen Stammressorts auch noch für die Stadtviertel, die Bürger:innenbeteiligung und den Friedhof zuständig war. Er geriet dabei immer wieder in Interessenkonflikte, am stärksten beim Streit um den Mercadillo, den wöchentlichen Strassenmarkt, der mit seinen 256 Ständen die Stadt nicht nur vor grosse logistische Probleme stellte, sondern auch den Wirtschaftsverband und die Anrainer:innen auf den Plan rief.

«Das ist ein typischer Konflikt, ein Klassenkampf eigentlich, zwischen den sesshaften und den ambulanten Händlern, denen, die Steuern zahlen, und denen, die sich kaum die Standmiete leisten können, und mir ging es darum, den Mercadillo ins Zentrum zu holen. Das ist mir nicht gelungen, er wird jetzt in einem Neubaugebiet am Stadtrand abgehalten, aber immerhin habe ich erreicht, dass er legalisiert werden konnte. Bei diesem Konflikt habe ich viel gelernt, auch durch den Kontakt mit den fahrenden Händlern, speziell den Marokkanern, die mich in ihre Moschee eingeladen haben. Daraus ist dann ein weiteres Projekt entstanden, nämlich im Friedhof eine muslimische Begräbnisstätte zu errichten.»

Ein anderes Vorhaben, das auf Widerstand stiess, betraf die imposante Markthalle im Stadtzentrum. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichtet, um die Ernährung der Einwohner:innen zu garantieren und den Behörden die Kontrolle über Qualität und Hygiene der Waren zu ermöglichen, war sie vom Verfall bedroht. Schuld an ihrem Niedergang war nicht nur die Konkurrenz von Supermärkten, sondern auch ein von der konservativen Regierung von José María Aznar erlassenes Gesetz, das es den Städten freistellte, gemeindeeigene Markthallen abzureissen, zu privatisieren oder in Gourmettempel, Galerien oder Bibliotheken zu verwandeln. Strieder hingegen wollte den traditionellen Markt wiederbeleben, für frische regionale Produkte öffnen und damit auch die kleinen landwirtschaftlichen Betriebe der Umgebung stärken.

Mit diesem Konzept setzte sich die Izquierda Unida gegen eine einflussreiche Gruppe von Geschäftsleuten durch, die in der Halle unbedingt einen Supermarkt installieren wollte. Die Finanzierung der nötigen Renovierungsarbeiten ist inzwischen gesichert, die Ausschreibung hat stattgefunden, im Herbst ist Baubeginn, und solange die Arbeiten andauern, werden die Verkaufsstände in einem grossen wetterfesten Zelt Platz finden. Für Strieder soll dieser regionale Markt ein Umdenken bewirken, «damit man anfängt, auch im Spital, in den Kindergärten, Schulen und Altersheimen lokale Produkte zu verarbeiten. Das gab es ja schon. Jedes Krankenhaus hatte früher seinen Gemüsegarten. Wieder dorthin zu kommen, das sollte jeder Stadtgemeinde ein wichtiges Anliegen sein.»

Kein Kniefall vor der Kirche

Obwohl die meisten Tourist:innen nur einen Tag in der Stadt verbringen, ist der Fremdenverkehr für Zamora von entscheidender Bedeutung. Die Pandemie hat das durch die Reisebeschränkungen schmerzhaft in Erinnerung gerufen, andererseits hat sie die Hoffnung geweckt, dass die Stadt von einem nachhaltigen Tourismus profitieren könnte. Das Problem liegt für Christoph Strieder einerseits in der massiven Abwanderung junger, gut ausgebildeter Leute, die dann der Tourismusbranche fehlen, andererseits darin, dass der private Sektor in Spanien nur selten Initiativen ergreift, sondern Ideen und Konzepte von den jeweiligen Regierungsstellen fordert.

Deshalb ist er intensiv damit beschäftigt, sie in Kooperation mit seinem Ressortkollegen in der Junta zu entwickeln und nach Möglichkeit in die Praxis umzusetzen, um das kulturelle Angebot Zamoras mit Naturerfahrung und Gesundheitstourismus zu kombinieren. Viel Arbeit kostet ihn auch der selbstgestellte Anspruch, Pläne für die Stadtentwicklung auszuarbeiten, in denen Ziele wie zirkuläre Ökonomie, Ernährungssouveränität und Emissionsreduktion berücksichtigt werden. «Dieses Ressort ist für mich das allerwichtigste und auch das schwierigste, weil ich da auf mich allein gestellt bin und es sehr schwer ist, den Nutzen eines solchen Entwicklungsplans nach aussen zu vermitteln, trotz der weltweiten Klimakrise und der wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine.»

Relativ problemlos war es dagegen, auf der Plaza de Alemania Stolpersteine verlegen zu lassen. Seit dem Vorjahr erinnern sie an 23 Republikaner aus der Stadt oder Provinz Zamora, die in NS-Konzentrationslager verschleppt worden waren. 9 von ihnen erlebten die Befreiung, alle anderen kamen in Mauthausen, Gusen oder Hartheim ums Leben. Schon zuvor, in ihrer ersten Amtsperiode, hatte die Izquierda Unida die Verbrechen der Franco-Diktatur symbolisch aufgearbeitet, durch die Rehabilitierung aller linken Kommunalpolitiker:innen und öffentlichen Bediensteten, die ab 1936 verfolgt, mit Berufsverbot belegt oder ermordet worden waren. Ausserdem hatte sie dem Diktator und seinen Gefolgsleuten postum alle städtischen Orden und Titel aberkannt, Strassen umbenannt, deren Namen an Falangisten und Minister des Regimes erinnerten, und gemeinsam mit der Sozialistischen Partei und allen linken Gewerkschaften im Stadtzentrum einen allerdings etwas unscheinbaren Monolith zum Gedenken an die Opfer der Repression errichtet.

Seit den Regionalwahlen vom Februar dieses Jahres wird Kastilien und León von einer Koalition aus dem Partido Popular und der rechtsextremen Vox regiert. Das verspricht nichts Gutes für die im kommenden Jahr anstehenden Gemeinderatswahlen, auch wenn Guarido der Ansicht ist, dass der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg von Vox in Zamora ausschliesslich auf Kosten des Partido Popular gehen wird. «Sie wird viel Schaden hinsichtlich der Bürgerrechte anrichten, mit ihrer Hetze gegen Feministinnen, sexuelle Minderheiten, Migranten, Umwelt- und Tierschützer, aber unsere Projekte für die nächsten Jahre stehen, die haben wir mit der Junta ausgehandelt und vertraglich fixiert, dagegen kann Vox nichts unternehmen, selbst wenn sie jetzt den Vizepräsidenten stellt und drei Ressorts zugesprochen bekommen hat.»

Wie bei der Renovierung der romanischen Brücke über den Duero handelt es sich um Einrichtungen zur Bewahrung und Verbesserung der kulturellen Infrastruktur: ein neues Konservatorium, das die Junta mit siebzehn Millionen Euro finanziert; ein Gemeindezentrum, das Vereinen, Musikgruppen, Stadtteilkomitees zur Verfügung stehen wird; ein Museum der Pädagogik, das erste dieser Art in Kastilien und León, das einen anschaulichen Überblick über die Geschichte des spanischen Unterrichtswesens bieten soll. Fest eingeplant ist zudem ein Museum für den Zamoraner Bildhauer Baltasar Lobo, einen im Pariser Exil verstorbenen Anarchisten, für den es zwar schon ein Museum gibt, das aber in Kirchenbesitz ist und Lobos Bedeutung nicht gerecht wird. Und auch ein neues Museum der Semana Santa, weil das bestehende aus allen Nähten platzt.

«Man kann sich natürlich fragen, wieso eine linke Stadtregierung, die aus Agnostikern und Atheistinnen besteht, ein religiöses Projekt mitfinanziert. Ganz einfach: weil die Karwoche jährlich 200 000 Touristen anlockt. Allerdings haben wir es von Anfang an abgelehnt, als Stadtpolitiker an den Prozessionen teilzunehmen. Früher war das anders. Da sind sämtliche Stadträte hinter den Bruderschaften und ihren Statuen hergelaufen, und der Bürgermeister hat am Karmittwoch auf Knien vor dem Kreuz den Schweigeschwur geleistet. Mit dieser Tradition haben wir gebrochen. Religion und Politik darf man nicht vermischen.»

Basisarbeit vernachlässigt

Nach der letzten Umfrage würde die Izquierda Unida auf über fünfzig Prozent der Stimmen kommen, sofern sie wieder mit Guarido als Spitzenkandidat antritt. Aber davon will dieser nichts wissen. Er werde im nächsten Jahr 65 und sei nach 23 Jahren im Rathaus ziemlich geschlaucht. Jetzt müsse jemand anderer ran. Aber wer? Niemand von den jüngeren Stadträt:innen, auf die Guarido, ohne Namen zu nennen, verweist, ist auch nur annähernd so bekannt und beliebt wie er, und offenbar hat die Partei in den letzten acht Jahren ihre ganze Energie in die institutionelle Politik gesteckt, sodass keine Zeit blieb, für die Nachfolge Sorge zu tragen.

Sowohl Strieder als auch dessen Freunde glauben, dass Guarido sich am Ende doch noch überreden lassen wird weiterzumachen. «Ich werde ihm sagen», meint Francisco Molina, «dass er das Recht hat, abzutreten. Aber dass er auch Pflichten hat – gegenüber der Bevölkerung, die mit ihm hochzufrieden ist, gegenüber der Partei, die ohne ihn die Wahlen verlieren würde, gegenüber den Touristen, die auch deshalb nach Zamora kommen, weil sie eine konservative Stadt sehen wollen, die von einem Kommunisten regiert wird, und gegenüber der Minderheitsfraktion innerhalb der Landespartei, die ohne ihn verwaist wäre.»

Für Santiago Fernández Vecilla ist das Dilemma, dass das Geschick der Partei vom jetzigen Bürgermeister abhängt, die Folge einer schleichenden Entdemokratisierung. Früher seien die Entscheidungen in einer Vollversammlung getroffen worden, dann habe sich die Gruppe um Guarido durchgesetzt, zuerst in der schroffen Ablehnung jeder Art von Zusammenarbeit mit Podemos und endgültig während der Pandemie, als es unmöglich war, Treffen abzuhalten. Die Basisarbeit sei zugunsten des politischen Tagesgeschäfts vernachlässigt worden. Ausserdem gebe es in ganz Spanien einen schrecklichen Niedergang der Linken, die organisch fast nicht mehr existiert. «Nie zuvor hatte die Izquierda Unida so wenige Mitglieder wie jetzt. Das bedeutet: Verlust ihrer öffentlichen Präsenz, Verlust der sozialen Bewegungen, Verlust des politischen Einflusses.»

Karte von Spanien, wo die Stadt Zamora eingezeichnet ist
Stadt Zamora in Spanien Karte: WOZ

Einem geflügelten Wort zufolge, das auf die monatelange Belagerung durch das Heer des kastilischen Königs Sancho II. zurückgeht, sei Zamora nicht in einer Stunde erobert worden: «No se conquistó Zamora en una hora.» Hält Guarido an seinem Entschluss fest, nicht wieder zu kandidieren, könnte die Stadt der Linken binnen einer Stunde, nach der Stimmenauszählung am Wahlabend Ende Mai 2023, verloren gehen. Dann wäre die Frage aktuell, ob sich die Anstrengung, Zamora in eine vorbildlich regierte Stadt zu verwandeln, gelohnt hat.

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Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den Recherchierfonds des Fördervereins ProWOZ. Dieser Fonds unterstützt Recherchen und Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten der WOZ übersteigen. Er speist sich aus Spenden der WOZ-Leser:innen.

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