Die baskische Linke: «Wie einfach es doch ist zu regieren»

Nr. 42 –

Seit dem Ende des bewaffneten Kampfs ist die baskische Unabhängigkeitsbewegung stärker geworden. Sie stellt zahlreiche Lokalregierungen. Lässt sie sich nun einbinden?

Hafenpromenade im Touristenort Zarautz: «Hier ist es viel schwerer, alternative Politik zu betreiben als in Arbeiterstädten», meint Stadtrat Inaki Eizagirre. Foto: Jean Michel Etchecolonea

Obwohl auch im spanischen Baskenland allerorten von der Krise die Rede ist – Ende September gab es hier den fünften Generalstreik innert weniger Monate –, ist in den Küstenstädten der Biskaya auf den ersten Blick wenig von der Massenverarmung zu sehen, die Spanien erfasst hat. Zarautz etwa, 25 000 EinwohnerInnen, zwanzig Autominuten westlich von der Provinzhauptstadt San Sebastián entfernt, macht einen geleckten, fast unangenehm herausgeputzten Eindruck. Die Strände der Umgebung gelten als Surferparadies. An der Strandpromenade reiht sich ein Konzeptrestaurant ans andere, die öffentliche Infrastruktur macht einen gepflegteren Eindruck als in so mancher deutschen Grossstadt, und Wohnungen kosten – obwohl die Immobilienpreise angeblich nachgegeben haben – nach wie vor über 4000 Euro pro Quadratmeter.

Garikoitz Berasaluze und Inaki Eizagirre kommen zu spät zur Verabredung am Rathaus. Die beiden Stadträte gehören dem linken Wahlbündnis Bildu an, das im örtlichen Gemeinderat 9 von 21 Sitzen innehat und den Bürgermeister stellt. Seit die Untergrundorganisation Eta Ende 2010 den bewaffneten Kampf endgültig eingestellt hat, rollt die baskische Linke die politische Landschaft auf. Bildu, eine Koalition aus sozialistischen und sozialdemokratischen Unabhängigkeitsparteien, stellt mittlerweile in 123 Gemeinden, darunter San Sebastián, Gernika und Mondragón, die BürgermeisterInnen und entsendet die grösste baskische Abgeordnetengruppe ins Zentralparlament in Madrid.

Eizagirre und Berasaluze berichten vom Anlass ihrer Verspätung und deuten auf die über den Strassen gespannten Transparente, auf denen die Freilassung kranker Eta-Gefangener gefordert wird. Nach spanischer Rechtsprechung gilt das Zeigen von Gefangenenfotos als Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und wird mit Haftstrafen geahndet. So ist ein Kleinkrieg um die Transparente entbrannt: Die Regionalpolizei Ertzaintza hängt sie ab, sobald sie sie entdeckt, AnwohnerInnen befestigen die gleichen Transparente, oft unter den Augen der städtischen Lokalpolizei, innerhalb kürzester Zeit von neuem.

Für viele baskische Familien ist die Gefangenenfrage ein brennendes Problem. 700 Personen sitzen im Zusammenhang mit Eta-Aktivitäten nach wie vor in Haft, mindestens ein Viertel wegen Meinungsdelikten wie der versuchten Neugründung politischer Organisationen. Die Haltung Madrids hat sich nach Etas Ende sogar noch verschärft. Es scheint, als behalte die Regierung die Gefangenen als Faustpfand, um die politisch erstarkende Unabhängigkeitsbewegung in Schach halten zu können.

Zwang zum Kredit

Doch dann kommen die beiden Gemeinderäte schnell auf die Wirtschaftskrise zu sprechen. Die Arbeitslosigkeit im Baskenland liegt mit 14 Prozent zwar deutlich unter dem spanischen Durchschnitt (25 Prozent), doch die soziale Lage hat sich auch hier spürbar verschärft. Vor allem die Wohnungssituation ist dramatisch. Nachdem die Regierungen in Madrid in den neunziger Jahren gezielt einen Immobilienboom in Gang gesetzt hatten – wovon nicht zuletzt BankerInnen, Bauunternehmen und die politische Klasse selbst profitierten –, explodierten die Preise. Die Bevölkerung wurde gezwungen, für ihre Wohnungen exorbitante Kredite aufzunehmen und sich teilweise über vierzig Jahre zu verschulden. Da gleichzeitig die Arbeitsverhältnisse prekarisiert und die Löhne gedeckelt wurden, ist Arbeitslosigkeit heute fast zwangsläufig mit einer Zwangsräumung der eigenen Wohnung verbunden.

Die Welle nehmen

Dass man nicht mehr Obdachlose auf der Strasse sehe, habe allein damit zu tun, dass die Zwangsgeräumten bislang noch bei Familienangehörigen Zuflucht finden, erzählt der 29-jährige Eizagirre, der als Stadtrat für Wirtschaft, Finanzen und Stadtplanung zuständig ist. In Anbetracht der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sei der Spielraum für alternative Lokalpolitik natürlich klein. Trotzdem reagiert Eizagirre auf die Frage, ob man dann nicht ganz auf die Arbeit in Institutionen verzichten könne, überrascht. «Die baskische Linke war zwölf Jahre verboten. Als wir mit Bildu endlich wieder die Möglichkeit hatten, an Wahlen teilzunehmen, war das wie beim Surfen: Du musstest die Welle nehmen.»

Es stimme, dass man hier nur kleine Sachen bewegen könne. Nicht nur wegen der Finanzsituation, sondern auch wegen der Struktur im Ort selbst. Zarautz ist ein Tourismusort. «Hier ist es viel schwerer, alternative Politik zu betreiben als in Arbeiterstädten wie Hernani oder Arrasate, wo es eine lange Tradition der Selbstorganisierung gibt. Wenn wir hier ein Wohnungsbauprojekt vorschlagen, müssen wir uns erst mal den Arsch aufreissen, um die Leute überhaupt an ein Treffen zu bekommen.» Trotzdem sieht der junge Stadtrat keine Alternative zur Politik auch in den Institutionen. «Wir müssen zeigen, dass es anders geht: keine Grossprojekte, Basisdemokratie und direkte Beteiligung der Leute, soziale Schwerpunkte im Gemeindehaushalt.»

In der Provinzregierung von Gipuzkoa sieht man das ähnlich. Seit 2011 stellt Bildu hier mit knapp 35 Prozent Stimmenanteil eine Minderheitsregierung. Im Regierungsgebäude der Diputación de Gipuzkoa ist nicht zu übersehen, wer hier im letzten Jahrhundert regiert hat: Das von Feudalmöbeln, schweren Vorhängen und bemalten Fenstern aus dem 18. Jahrhundert geprägte Gebäude atmet den Geist des Klerikalismus. Umso eigentümlicher ist es, den neuen RegierungsvertreterInnen hier zu begegnen. Larraitz Ugarte, 36 Jahre alt, Soziologin und lange in Frauenorganisationen aktiv, leitet die Ministerialabteilung für Infrastruktur und Verkehr. Der Gesamthaushalt der Diputación de Gipuzkoa beträgt 750 Millionen Euro – kein Riesenetat, aber auch keine Kleinigkeit.

Auch Ugarte widerspricht der These, dass man sich in Institutionen automatisch anpasse. «Die grösste Überraschung für uns war festzustellen, wie einfach es ist zu regieren – wenn man einigermassen weiss, was man politisch will.» Sie sei mittlerweile überzeugt, dass das Problem nicht in erster Linie mit den Zwängen von Institutionen als vielmehr mit der Existenz einer politischen Klasse zu tun hat. «Das Problem ist dieses Berufspolitikertum, das mit der Zeit eigene materielle Interessen entwickelt.»

Für die vom linken Journalisten Martín Garitano geleitete Provinzregierung seien die Prioritäten hingegen klar, meint Ugarte. Gekürzt werde bei Grossbauprojekten, mit denen sich in der Vergangenheit die Baukonzerne gesundgestossen hätten, und nicht beim Sozialhaushalt. Man fördere den öffentlichen Nahverkehr anstatt den Autobahnbau und habe Förderprogramme für die Regionalwirtschaft und Genossenschaften aufgelegt. Ausserdem habe die Provinzregierung die Unternehmens-, Kapital- und den Höchstsatz der Einkommenssteuer in der Provinz angehoben. «Das hat dem Unternehmerverband nicht gut gefallen, aber auch nicht zur prophezeiten Kapitalflucht geführt», merkt die junge Frau mit einem feinen Lächeln an.

«Dann gehen wir zufrieden …»

Dass Larraitz Ugarte überzeugt ist, sich dem Anpassungsdruck der Verwaltungsmaschinerie widersetzen zu können, hat nicht zuletzt mit ihrer politischen Biografie zu tun. Wie die meisten FunktionsträgerInnen von Bildu hegt sie wenig Illusionen, was das politische System angeht: Ihr Lebensgefährte sass von 1995 bis 2009 im Gefängnis, sie selbst hat unzählige Male Erfahrungen mit dem Polizeiapparat gesammelt. Ugarte weiss, dass sich die Linke in den Institutionen auf feindlichem Terrain bewegt, und sieht doch keine Alternativen zu dieser Arbeit. «Unser Ziel ist die Gründung eines baskischen Staats und der Aufbau einer gesellschaftlichen Mehrheit für eine andere Wirtschafts- und Sozialpolitik. Um das durchzusetzen, müssen wir in den Institutionen präsent sein. Wir müssen Madrid zwingen, uns wahrzunehmen, und zeigen, dass eine radikal andere Politik möglich ist.» Und wenn die anderen Parteien sich – wie schon öfter angekündigt – zusammentun, um die Minderheitenregierungen von Bildu in der Provinz und den Gemeinden zu stürzen? «Dann gehen wir zufrieden, weil wir wissen, dass wir nicht alles falsch gemacht haben», sagt die junge Frau. Und lacht.

Weg von Spanien? : Absehbares Erdbeben

Die Wirtschaftskrise weitet sich in Spanien allmählich zu einer politischen Verfassungskrise aus. Zu schaffen machen Madrid nicht nur die hohe Arbeitslosigkeit und die breiten Protestbewegungen, sondern auch das Erstarken der Unabhängigkeitsbewegungen in Katalonien und dem Baskenland. Nachdem am katalanischen Nationalfeiertag am 11. September zwischen ein und zwei Millionen Menschen in Barcelona für eine Abspaltung von Spanien demonstriert hatten, führte die konservative katalanische Regierungspartei CiU Neuwahlen durch und kündigte ein Referendum über das Selbstbestimmungsrecht Kataloniens an.

Auch im Baskenland zeichnet sich bei der Regionalwahl am 21. Oktober ein politisches Erdbeben ab. Nach dem Ende von Eta und der Gründung des Linksbündnisses Bildu werden die spanischen Parteien – die sozialdemokratische PSOE, die rechtskonservative Volkspartei PP und die linke Izquierda Unida – allen Vorhersagen zufolge hier dramatisch an Bedeutung verlieren. Neueren Umfragen zufolge können die christdemokratische Baskische Nationalistische Partei PNV mit 34, die linke Unabhängigkeitspartei Bildu mit 27 und die spanischen SozialdemokratInnen mit 21 Prozent rechnen. Sollten sich die Vorhersagen bewahrheiten, hätten jene Gruppen eine Mehrheit, die ein Selbstbestimmungsrecht des Baskenlands fordern.

Aus den Reihen spanischer Militärs ist bereits zu hören gewesen, dass man eine derartige Entwicklung mit Gewalt beantworten wolle. Der Heeresverband Asociación de Militares Españoles drohte Ende September, ganz im Tonfall des alten Franquismus, die OrganisatorInnen derartiger Referenden würden vor Militärgerichte gestellt und abgeurteilt werden.

Raul Zelik