Ahh Wa!: Tortenköpfe und verstörte Belugas

Nr. 31 –

Kritik an trügerischer Alltäglichkeit und Lust am alltäglichen Absurden: Der Mundartsynthpunk von Ahh wa! ist düster und lustig. Und regt mit einem Fanzine zu literarischen und visuellen Erweiterungen an.

Martin Fischer und Jürg Odermatt in einer Unterführung
Mir mached Sache / Wel mers chönd. Martin Fischer (links) und Jürg Odermatt lassen die Ideen ins Kraut schiessen. FOTO: GABRIELLA HOHENDAHL

Die Frage muss etwas haben, wenn schier alles dabei rauskommen kann, zwischen «grad Palak Paneer bstellt» und einer kleinen Lebensgeschichte mit Kindern und Haus in Adliswil. Jemand anderes berichtet von viel Sex, weil Noah noch da ist, andere sorgen sich um die Beziehung zur Absenderin: «Bisch hässig?» Blerina Selmani hat an einem Sonntagabend dieselbe Zeile an hundert Nummern aus ihrem Adressbuch verschickt: «Hey, was lauft?» – und wenn man die Antworten liest, ziehen Dutzende Bilder auf, was für Leute das sein könnten.

Das kleine Panorama von Seelenzuständen ist eine der Perlen aus dem Heft: «Mir trülled im Chreis» heisst es und wurde kürzlich gemeinsam mit dem gleichnamigen Album des Schaffhauser Duos Ahh wa! veröffentlicht. Alle Songs des Albums werden auf den über hundert Seiten mit Texten und Illustrationen von Urheber:innen aus dem Umfeld der Band erweitert, darunter auch bekanntere wie Stefanie Sargnagel, Tom Combo, Olaf Breuning oder Ariane von Graffenried.

Selbstfahrender Rasenmäher

Manche Texte nähern sich der Musik mit expliziten Interpretationen, vor allem die Kulturjournalisten neigen dazu. So legt Hanspeter Künzler, in Gedichtform allerdings, ein paar Spuren in die Entstehungsgeschichte des elektronischen Pop: zur New Yorker Band Suicide oder den frühen Kraftwerk. Solche Vergleiche bieten sich bei diesem klar abgesteckten Fundament an: scheppernde Drum Machines, fiepsende oder dunkel schimmernde Synthesizer, industrielle Kälte, aber auch ein Zug Richtung Pop, der manchmal durchdrückt.

2020 begann Martin Fischer in seinem Keller mit analogen Klangmaschinen zu spielen, schickte Ideen an Jürg Odermatt, mit dem er bereits in der Rockband Papst & Abstinenzler zusammengespielt hatte. Odermatt schrieb dazu Texte, die sich zwischen Kritik an trügerischer Alltäglichkeit und Lust am alltäglichen Absurden bewegen. «Hey, wa lauft?» zum Beispiel, der Song, der zum Experiment mit den Textnachrichten anregte, handelt vom drückenden Stillstand im Land, für das Odermatt stechende Bilder findet: einen selbstfahrenden Rasenmäher, eine gleichzeitig langweilig saubere wie rücksichtslos agierende Maschine, oder den «Niedertrachtenverein».

Danach sammelten die beiden Musiker die Beiträge für ihr Fanzine oder überdimensionales Booklet zusammen. Kulturelle Artefakte herumzuschicken, um sie im räumlich verteilten, aber kontaktfreudigen Kollektiv gären zu lassen – die letzten zweieinhalb Jahre haben viele solche Versuche hervorgebracht. Den Charme dieses Hefts macht aus, wie die Ideen in den jeweiligen Arbeitsstuben und Stilen offenbar zu wuchern begannen. Der Überschuss ist Programm, «Mir mached Sache / Wel mers chönd», heisst es in einem der Songs, und die Illustrator:innen und Schreiber:innen liefern keine Erklärungen, sondern spinnen vom Material der Songs ausgehend ihre eigenen Assoziationen.

Die Schriftstellerin Judith Keller etwa macht aus der Figur von «Am Änd vom Tunnel», die eine ideologische Hoffnung nicht als Köder durchschaut, eine Geschichte über eine Geisterfahrerin, die in den gesperrten Gotthardtunnel rast, vorbei an allen möglichen Gestalten, die sich hier eingenistet haben. Der Comiczeichner Daniel Bosshart hat den Songtext von «Mir trülled im Chreis» direkt in einen Strip über einen vom Pech verfolgten Sachbearbeiter eingesetzt. Der Musiker und FM4-Moderator David Pfister hat einen Fanbrief aus Wien geschickt. Und die Illustratorin Kooni hat zu «Mini Dame und Härre, mir schwäbed im All» ein paar verlorene Wesen gezeichnet, verstörte Belugas oder bemantelte Figuren mit Köpfen, gestapelt wie Torten.

Obligate Schwänzerhymne

Im schlechtesten Fall wird das Heft zur Ablenkung, denn auch unter den 22 Songs auf «Mir trülled im Chreis» gibt es schon manchen Winkel zu erkunden. Synthietüftler Fischer lässt seine Ideen ins Kraut schiessen, lässt Rohformen und ihre Kanten stehen. In «Bäfzger bäfzged» rast der Electropunkfuror beinahe über die Schaltkreise hinaus, «Alles wird sowieso guet» ist ein scheinheiliger Rave und «Cheesy livin’» ein dödliger Boogie. In den übers Album verstreuten Instrumentals lässt Fischer seine Geräte immer mal wieder kurz durchdrehen.

Solider Punkgeist steckt auch in den Songtexten. Die coole Bassline von «Fang äntli aa riich sii!» macht den Sarkasmus gegen den Arbeitszwang umso schärfer, und mit «Freitag, blau» hat das Album seine obligate Schwänzerhymne. Über ehrliche Rockmusik gesungen könnte die kulturpessimistische Schlagseite der einen oder anderen Strophe wohl auch etwas bitter klingen. Aber der sperrige Retrofuturismus, mit dem Fischer hier fabuliert, ist für solche Klagen viel zu rutschig.

Exemplarisch und sehr schön anzuhören in «Mir läbed we Mänsche», wo die Maschinen dumpf raunen und wüste Vocoder an den Stimmen zerren. Sowieso wird nicht ganz klar, ob hier noch die verdrahteten Menschen oder schon die Roboter singen: «Mir gsehnd d Wält mit andere Auge / Mir macheds so, wes di andere mached».

Ahh wa!: Mir trülled im Chreis. Bandcamp, 2022. Das Heft inklusive Downloadcode fürs Album kann über Bandcamp bestellt werden