Maxim Butkewitsch: «Ich hoffe, der Krieg macht uns nicht so grausam»
In den russischen Medien wird er als Nazi beschimpft, in der Ukraine jagten ihn Rechtsextreme: Wer ist Maxim Butkewitsch, der profilierte Menschenrechtsaktivist, der seit Ende Juni in russischer Kriegsgefangenschaft ist?
Maxim Butkewitsch, ukrainischer Journalist, Menschenrechtler und «No Borders»-Aktivist, ist in russische Kriegsgefangenschaft geraten. In einem Video der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti berichtet Butkewitsch, allem Anschein nach in Handschellen, dass er sich mit seiner Einheit ergeben habe, um dem Tod zu entgehen. Auch das ukrainische Militär und die Mutter des Aktivisten haben die Gefangennahme vom 25. Juni bestätigt.
In Russland ist die Schadenfreude gross: Nun habe man endlich einem Propagandisten, der einen Staatsstreich in der Ukraine und missglückte Umstürze in Kasachstan und Belarus propagandistisch begleitet habe, das Handwerk gelegt, tönt es im sozialen Netzwerk VK (Vkontakte). «An die Wand mit ihm!», «Erschiessen!», «Propagandisten an die Wand!», kommentieren Nutzer:innen dort die Gefangennahme. Doch wer ist der Mann, den die russischen Medien als «Nazi» verunglimpfen?
Es sei doch klar, dass ihr Sohn weder mit nazistischem Gedankengut noch mit Russenhass etwas zu tun habe, sagte die Mutter von Butkewitsch gegenüber dem Hromadske Radio. Nun gelte es, dies auch zu sagen. So wie das etwa auch die russische Menschenrechtlerin Swetlana Gannuschkina tut. Sie ist Leiterin des Beratungsnetzwerks Migration und Recht und wurde 2016 für ihren Einsatz für Geflüchtete mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. In einem Schreiben an die russische Menschenrechtsbeauftragte Tatjana Moskalkowa bestätigt Gannuschkina nun, dass sie mit Butkewitsch, der in der Ukraine das Projekt «No Borders» zur Unterstützung von Geflüchteten koordiniert, seit Jahren zusammenarbeite. Obwohl Butkewitsch fliessend Englisch spreche, habe er auf Konferenzen immer Russisch gesprochen und sich gegen Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit eingesetzt, so Gannuschkina.
Proteste und Philosophie
Mit seinen 45 Jahren kann Butkewitsch auf ein reichhaltiges Aktivistenleben zurückblicken. Als Siebtklässler organisierte er im Oktober 1990 an seiner Kyjiwer Schule ein Streikkomitee zur Unterstützung der damaligen Student:innenproteste. Eine der Forderungen der «Revolution auf Granit» war der Rücktritt von Witalij Massol, dem Ministerratsvorsitzenden der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Mit Erfolg: Die Proteste endeten mit Massols Rücktritt.
Nach seinem Philosophiestudium in Kyjiw begann Butkewitsch seine journalistische Karriere. 2003 ging er zur BBC nach London. In seinen vier Jahren in Grossbritannien schloss er nebenbei ein Anthropologiestudium an der Universität von Sussex ab. Nach seiner Rückkehr in die Ukraine 2006 arbeitete er allerdings nur kurz beim Fernsehsender 1 + 1. Zu nahe war ihm die Ausschaffung von oppositionellen Usbek:innen gegangen, die – in ihrer Heimat angekommen – zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren.
Es waren diese Ausschaffungen, die den Beginn von Butkewitschs Tätigkeit als Menschenrechtler markieren. Mit einer Kampagne konnte er zwar die Aufmerksamkeit der ukrainischen Gesellschaft auf das Schicksal der Usbek:innen lenken, doch rückgängig machen liessen sich diese Ausschaffungen nicht mehr. Von da an wollte Butkewitsch deshalb jenen helfen, die von einer Auslieferung bedroht sind.
Ohrringe und Euromaidan
2007 ging er in den Vorstand der ukrainischen Sektion von Amnesty International und gründete die Gruppe «No Borders» mit. Die Gruppe prangerte den Rassismus der Polizei an, die immer wieder Ausländer:innen widerrechtlich festnahm und ihnen Geldstrafen auferlegte. Die Aktivist:innen richteten eine eigene Hotline für Betroffene von Rassismus ein, organisierten Seminare und Schulungen, um die Bevölkerung und staatliche Angestellte für Menschenrechte zu sensibilisieren. Als Butkewitsch 2011 eine Stelle als Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit beim Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Kyjiw antrat, legte er alle anderen Ämter und Mitgliedschaften nieder. Aber nur vorerst – denn ein Jahr später verliess er die Organisation wieder.
«Wir haben uns vor circa zwanzig Jahren kennengelernt», erzählt Andrij Kulikow im Gespräch mit der WOZ. Kulikow ist heute Vorsitzender des Hromadske Radio. Mit Butkewitsch hat er erst bei der BBC zusammengearbeitet, bevor die beiden im November 2013 den unabhängigen Radiosender gründeten – die Berichterstattung fokussierte auf die in der Ukraine als «Euromaidan» bekannten Proteste. «Butkewitsch sah ja schon aussergewöhnlich aus», erinnert sich Kulikow ans erste Kennenlernen. «Er passte äusserlich so gar nicht ins Bild, das man gemeinhin von einem BBC-Journalisten hat. Er trug Ringe an den Fingern und in den Ohren, und in seiner Kleidung sah er nicht gerade supersolide aus.» Doch schnell habe sich gezeigt, dass Butkewitsch ein sehr begabter Journalist sei, der sorgfältig arbeite und sich an die journalistischen Standards halte.
Bei den Maidan-Protesten seien Butkewitschs Sympathien auf der Seite der Demonstrant:innen gewesen, die gegen den damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch auf die Strasse gingen, so Kulikow. «Doch er hatte immer auch ein Ohr für die andere Seite.» Die Wege der beiden trennten sich, als Maxim Butkewitsch wieder Vollzeit zur Menschenrechtsthematik arbeiten wollte. Kulikow hat das nicht nur gefreut, musste er doch einen professionellen Kollegen ziehen lassen.
Im rechtsradikalen Milieu hasste man derweil den Mann, der sich jedes Jahr am 19. Januar an antifaschistischen Gedenkaktionen beteiligte. An diesem Datum waren im Jahr 2009 in Moskau zwei Antifaschist:innen, der Anwalt Stanislaw Markelow und die Journalistin Anastassija Baburowa, von Nationalisten ermordet worden. Die seither in der Ukraine stattfindenden Gedenkkundgebungen wurden regelmässig von Rechtsradikalen gestört oder gar verhindert. So berichtete Butkewitsch etwa im Februar 2020, Rechtsextreme hätten ihm aufgelauert und ihn bedroht. Im Sommer 2021 wurde er von Neonazis vor einem Gerichtsgebäude angegriffen – er hatte dort gegen die geplante Ausschaffung des belarusischen Anarchisten Olexi Bolenkow protestiert.
Mit der Waffe in der Hand
Dann kam der 24. Februar 2022: der Überfall der russischen Armee auf die Ukraine. Für Maxim Butkewitsch war klar: Er musste die Ukraine verteidigen – mit der Waffe in der Hand. Er meldete sich zur Armee und trat Anfang März seinen Kriegsdienst an. Anfang April gab der langjährige Menschenrechtsaktivist im Hromadske Radio ein Interview zu seiner Entscheidung: «Krieg ist ein Trauma, eine Tragödie, ein Unglück. Der Krieg macht die Menschen grausam», so Butkewitsch. «Ich hoffe, dass er uns nicht so grausam macht, dass wir die Menschenrechte auf Platz zwei oder drei unserer Prioritätenliste stellen. Wir führen Krieg, weil wir weiter die Möglichkeit haben möchten, die Werte umzusetzen, für die wir stehen und die uns vom Aggressor unterscheiden.»
Was die Kriegsziele angeht, steht Maxim Butkewitsch hinter der offiziellen ukrainischen Position, die den Sieg und die Rückeroberung aller ukrainischen Gebiete verlangt. «Wenn wir über Geografie sprechen, dann geht es um das ganze Territorium der Ukraine, einschliesslich der provisorisch besetzten Gebiete. Wichtig ist aber nicht nur die Frage, wann es uns gelingt, das ganze Territorium der Ukraine zu befreien. Wichtig ist auch, wer wir zu dem Zeitpunkt sein werden, an dem wir das gesamte Territorium unseres Staates befreien», sagte Butkewitsch im Hromadske Radio.
Menschenrechtler:innen wie Swetlana Gannuschkina vermuten, dass Butkewitsch derzeit in Luhansk festgehalten wird. Derweil wirbt im Netz eine Kampagne für seine Freilassung: Unter dem Hashtag #FreeMaksymButkevych finden sich zahlreiche Nachrichten und Solidaritätsbotschaften für den gefangenen Menschenrechtler. Zu Butkewitschs Unterstützer:innen gehören unter anderem der tschechische Aussenminister Jan Lipavsky, das ukrainische Menschenrechtszentrum Zmina und die ukrainische Abgeordnete Inna Sowsun.