MitmachLaden: Einkaufen ist politisch

Nr. 32 –

In Bern eröffnet bald ein Lebensmittelgeschäft mit einem für die Stadt neuen Konzept: Wer dort einkaufen will, muss mitarbeiten.

Die beiden Kollektivmitglieder Amena Schwabe und Nicholas Pohl in den «Güter»-Räumlichkeiten
Ein Projekt in New York diente als Vorbild: Die beiden Kollektivmitglieder Amena Schwabe und Nicholas Pohl in den «Güter»-Räumlichkeiten.

Fair produzierte Bioprodukte zu günstigen Preisen – das soll es ab Oktober in einem Laden namens «Güter» in Bern geben. Darin einkaufen darf aber nur, wer Mitglied im genossenschaftlich organisierten Geschäft ist und auch regelmässig mitarbeitet – etwa beim Verkauf, beim Ausladen oder Einräumen von Waren. Zwei Stunden und 45 Minuten müssen die Mitglieder pro Monat mithelfen, um beim Projekt dabei zu sein. Das Kollektiv, das hinter dem neuen Mitmachladen steht, will damit hochwertige Produkte auch für Personen mit geringem Einkommen erschwinglich machen und gleichzeitig eine solidarischere Form von Wirtschaft fördern.

Auf die Idee, in Bern eine Lebensmittelkooperative mit eigenem Laden zu gründen, kamen Nicholas Pohl und seine Partnerin Nora Komposch, als sie von 2018 bis 2019 in New York lebten. Sie waren dort bei der Park Slope Food Coop dabei, einer der ältesten und mit 17 000 Mitgliedern grössten Lebensmittelkooperativen der USA.

Zurück in der Schweiz, erzählten sie in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis von der Idee, ein solches Projekt in Bern zu starten, und stiessen damit auf Anklang. «Ihre Motivation und Begeisterung hat mich angesteckt», sagt die dreissigjährige Geografin Amena Schwabe, die seit Beginn Teil des Kollektivs ist. Das Ziel, faire und regionale Produkte mehr Menschen zugänglich zu machen und gemeinsam mit Gleichgesinnten auf eine Vision hinzuarbeiten, habe sie motiviert.

Weniger divers als gewünscht

Die Idee, sich als Konsument:innen zusammenzuschliessen, um die eigenen Interessen besser vertreten und Produkte günstig beziehen zu können, existiert schon lange. Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden, ausgehend von England, erste Lebensmittelkooperativen oder -genossenschaften. Auch die Schweiz wurde von der Bewegung erfasst, was sich in der Gründung von Konsumvereinen äusserte. Während die Kooperativen der ersten Stunde noch als eine Art Selbsthilfeorganisationen zur günstigen Vermittlung überlebenswichtiger Produkte fungierten, zählten bei den in den siebziger Jahren gegründeten Food Coops vor allem ökologische und politische Motive: Selbstverwaltete Kooperativen sollten einen Gegenpol zu den gewinn- und wachstumsorientierten Konzernen bilden.

Heute existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Food-Coop-Modelle – darunter einige, die nur als Einkaufsgemeinschaften funktionieren, oder solche mit Läden, in denen auch Nichtmitglieder einkaufen können. Kooperativen nach dem Modell von «Güter», das eine Mitarbeit zwingend voraussetzt, gibt es in der Schweiz vor allem in der Romandie.

In der Deutschschweiz hat «Güter» Pionierstatus – und verfügt über eine gute Lage: An der Tscharnerstrasse 20, rund fünfzehn Minuten zu Fuss vom Bahnhof Bern entfernt, soll der Laden Mitte Oktober eröffnen und an sechs Tagen pro Woche möglichst alle Produkte des täglichen Bedarfs anbieten. Rund 80 der 150 Mitglieder, die nötig sind, um alle Arbeitsschichten und Kosten zu decken, haben sich bereits gefunden. Wer mitmachen will, muss einmalig einen Anteilsschein für fünfzig Franken kaufen.

In den vergangenen Wochen hätten sich Personen gemeldet, die mitmachen wollten, sich aber den Anteilsschein nicht leisten konnten, sagt Schwabe und versichert: «Mit diesen Leuten finden wir eine Lösung.» Aktuell sei ihr Kollektiv noch weniger divers, als sie sich das wünschten. «Es sind viele Akademiker:innen, keine Migrant:innen und wenig Leute dabei, die aus wirklich armen Verhältnissen kommen.» Ein Problem, das ihnen bewusst sei und an dem sie arbeiteten, sagen die beiden Mitgründer:innen. Man versuche gerade, ein Projekt mit Verkäufer:innen des Strassenmagazins «Surprise» auf die Beine zu stellen, um herauszufinden, ob «Güter» den Bedürfnissen von Leuten in prekären Lebenssituationen entspreche.

Über die Konsumebene hinaus

Auch die Verpflichtung zur Mitarbeit aller Mitglieder kann ausschliessend wirken. Wer Vollzeit arbeiten oder Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit unter einen Hut bringen muss, für den oder die können auch knapp drei Stunden Engagement ein Problem darstellen. Auch dessen sei man sich bewusst, sagt Mitgründer und Politikwissenschaftler Pohl. «Wenn wir so wachsen, wie wir uns das vorstellen, möchten wir irgendwann gerne eine Kita anbieten, wie es sie bei der Park Slope Food Coop gibt», so der 34-Jährige. Dort können Eltern ihr Kind betreuen lassen, während sie eine Schicht leisten.

Wo dank der Mitarbeit Lohnkosten wegfallen, werden oft nur zwischen 15 und 25 Prozent Margen auf den Ankaufspreis von Produkten draufgeschlagen. Das wirkt sich positiv auf die Preise aus. Zumindest relativ, sagt Pohl, denn: «Im Vergleich mit Billigsupermärkten wird es wohl immer noch relativ teuer bleiben.» Die konkrete Festsetzung der Preise liegt bei der Arbeitsgruppe Produkte – genau wie die Auswahl der Produzent:innen. Hier will das Kollektiv auf politischer Ebene mehr erreichen als ein klassischer Bioladen.

«Bei der Auswahl der Produzent:innen schauen wir nicht nur auf ökologische Nachhaltigkeit, sondern auch darauf, dass in den Betrieben gute Arbeitsbedingungen herrschen», sagt Pohl. Und Schwabe betont: «Die politische Einstellung der Lieferant:innen ist uns wichtig.» So könne man über die individuelle Konsumebene hinaus etwas verändern.