Asylpolitik: Unter dem Deckmantel der Gleichbehandlung
Erst das Vermögen aufbrauchen, dann staatliche Hilfe beantragen: Derzeit wird einer der letzten Vorteile für Geflüchtete mit Status S abgeschafft.
Mitte Mai schlug Amine Diare Conde Alarm. Sein Verein werde den grossen Andrang bald nicht mehr bewältigen können, warnte der Gründer der Aktion «Essen für alle», in deren Rahmen Hilfspakete unkompliziert an Bedürftige abgegeben werden. Rund 45 000 Personen aus der Ukraine hatten zu diesem Zeitpunkt bereits den «Schutzstatus S» erhalten, wurden also als Geflüchtete anerkannt. Hunderte von ihnen reisten jede Woche aus der ganzen Schweiz zur Abgabestelle im Zürcher Aussenquartier Manegg.
Die finanzielle Unterstützung für Geflüchtete aus der Ukraine war von Anfang an zu tief angesetzt: Für Essen, Kleidung und Hygieneartikel stehen einem Elternteil mit zwei Kindern gemäss der «SonntagsZeitung» monatlich zwischen 800 und 1600 Franken zur Verfügung – je nach Kanton, dem die Familie zugeteilt wurde.
Der Bund beteiligt sich mit 1500 Franken pro Person und Monat an den Kosten der Katnone. Einen schweizweit gültigen Mindeststandard gibt er nicht vor, bloss eine Obergrenze: Personen mit Status S erhalten weniger finanzielle Unterstützung, als es die ordentliche Sozialhilfe vorsieht – obwohl sich eigentlich schon diese am Existenzminimum orientiert (siehe WOZ Nr. 21/2022 ). Geflüchtete aus der Ukraine erhalten damit die gleichen Beiträge wie «vorläufig Aufgenommene» aus anderen Ländern mit Status F. Dieses System der Asylsozialhilfe kritisieren Aktivist:innen und politische Organisationen schon lange.
Einer der wenigen Unterschiede zwischen dem Status F und dem Status S betrifft vor allem die kantonalen Behörden. Pro vorläufig aufgenommene Person, die der Bund einem Kanton zuweist, unterstützt er diesen mit einer einmaligen «Integrationspauschale» von 18 000 Franken. Für geflüchtete Ukrainer:innen liegt dieser Betrag bloss bei 3000 Franken. Der Betrag sei deshalb so viel tiefer angesetzt, weil der Status S «rückkehrorientiert» sei, begründet das Staatssekretariat für Migration (SEM).
Abnehmende Solidarität
Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine wird womöglich noch lange andauern. Die Welle der Solidarität, die die Schweizer Öffentlichkeit im Frühling erfasste, hat derweil an Kraft verloren. Noch im April sagte selbst SVP-Hardliner Andreas Glarner, dass die Beiträge für Geflüchtete aus der Ukraine «knapp» seien. Seither wurde der Diskurs immer kälter – so wie das im Asylbereich üblich ist.
Zuletzt forderte die Konferenz der kantonalen Sozialdirektor:innen (SODK) das SEM in einem offenen Brief dazu auf, die Zukunft des Status S zu klären. Der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr forderte gleich die Abschaffung des Schutzstatus. Es zeichnet sich ab, was eigentlich zu erwarten war: Statt dass die anfängliche Solidarität einen Aufbruch im Asylbereich angestossen hätte, erfolgt eine Etablierung der eigentlich unhaltbaren Lebensbedingungen Geflüchteter.
Der letzte Schritt in diese Richtung wird derzeit vollzogen: Ein geringfügiger Vorteil, den der Status S gegenüber der vorläufigen Aufnahme und der Sozialhilfe hatte, wird abgeschafft. Während des ersten halben Jahres nach Kriegsbeginn empfahl die SODK den Kantonen noch, Geflüchteten aus der Ukraine unabhängig von deren Vermögen oder einem allfälligen Einkommen Asylsozialhilfe auszuzahlen. Mehrere Kantone schreiben der WOZ, sich an die Empfehlung gehalten zu haben. Im Juli hat die SODK diese geändert.
Haben Geflüchtete bei der Ankunft noch Vermögenswerte, sollen sie diese in Zukunft aufbrauchen müssen, bevor sie einen Anspruch auf staatliche Unterstützung geltend machen können. Ob die Kantone die entsprechende Anpassung auch umsetzen, ist ihnen überlassen. Es ist aber davon auszugehen. Unter anderem bestätigen die Kantone Aargau, St. Gallen und Basel-Stadt, die neue Empfehlung zu begrüssen – und ihr folgen zu wollen.
Kein Zugang mehr
Die praktischen Folgen dieser Änderung sind derzeit noch schwer abzuschätzen. Die genannten Kantone wollen oder können keine Prognose abgeben. Die finanzielle Entlastung der Kantone sei aber auch nicht das Hauptanliegen der SODK gewesen, sagt die Glarner Regierungsrätin und SODK-Vizepräsidentin Marianne Lienhard (SVP) gegenüber der WOZ. Sie begründet den Entscheid anders: «Dass manche der Personen mit Status S ein Einkommen oder Vermögen haben, hat zu immer mehr Diskussionen geführt», so Lienhard. «Mit der Anpassung unserer Empfehlungen haben wir darauf reagiert.» Das Ziel sei die Gleichbehandlung mit den anderen Sozialhilfebezüger:innen.
Amine Diare Conde sagt, Ukrainer:innen würden immer noch gut die Hälfte aller Nutzer:innen von «Essen für alle» ausmachen. Der Andrang habe aber deutlich abgenommen. Das sei allerdings kein gutes Zeichen, so Conde. «Der Grund ist, dass viel weniger Personen aus anderen Kantonen anreisen als im Frühling», erklärt er. Zu Beginn des Krieges ermöglichte die «Alliance SwissPass» Ukrainer:innen noch Gratiszugang zum öffentlichen Verkehr. Am 1. Juni wurde die Sonderregelung aufgehoben. Personen, die in Kantonen ohne Angebote wie «Essen für alle» wohnen, gehen seither leer aus.