Polizeigewalt in Deutschland: Vier Getötete und viele Fragen
Er habe «bedrohlich» gewirkt. Der Geflüchtete aus dem Senegal trug ein Messer auf sich und war in der Nähe der Jugendeinrichtung unterwegs, in der er wohnte. Ein Betreuer rief deshalb die Dortmunder Polizei. Elf Beamt:innen rückten aus. Der Sechzehnjährige soll sich gegen die Verhaftung gewehrt haben – woraufhin ein Polizist fünf Schüsse aus seiner Maschinenpistole auf ihn abgab.
Der Fall wirft hohe Wellen. «Es ist unerklärlich, warum es elf Polizisten nicht gelingt, einen 16-Jährigen in Gewahrsam zu nehmen», schrieb etwa die Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke (Die Linke) auf Twitter. Es handelt sich bereits um den vierten tödlichen Polizeieinsatz in Deutschland innerhalb von nur einer Woche. In Köln erschossen Polizist:innen einen 48-jährigen Mann bei einer Zwangsräumung. In Recklinghausen rückte die Polizei aus, weil ein 39-Jähriger in seiner Wohnung «randaliert» haben soll. Er wurde von den Polizist:innen mit Pfefferspray angegriffen und fixiert, bis er das Bewusstsein verlor – und schliesslich starb.
Der erste der vier Fälle ereignete sich in Frankfurt am Main. Im Bahnhofsviertel rückte das Spezialeinsatzkommando (SEK) Süd aus, weil eine Sexarbeiterin von einem Freier bedroht worden war. Als sich der Mann der Verhaftung widersetzt habe, feuerte ein Beamter sechs Schüsse auf ihn ab. Einer davon traf den Mann am Kopf. Das SEK Süd ist ein eher neues Kommando: Sein Vorgänger, das SEK Frankfurt, war letztes Jahr aufgelöst worden, weil seine Angehörigen in einer Chatgruppe volksverhetzende und nationalsozialistische Inhalte ausgetauscht hatten.
In allen vier Fällen tödlicher Polizeigewalt wird nun gegen die Beamt:innen ermittelt, wobei die Einsätze aus Neutralitätsgründen nicht von denselben Polizeikorps untersucht werden, denen die jeweiligen Beamt:innen angehören. Überaus fragwürdig ist das Vorgehen trotzdem: Den Polizeieinsatz in Dortmund untersuchen nun die Kolleg:innen in Recklinghausen – für den Einsatz in Recklinghausen sind die Polizist:innen von Dortmund zuständig.