Goldgeschäft: Die Sache mit der Wissenslücke

Nr. 36 –

Was treibt die Strafrechtler Niklaus Oberholzer und Marcel Niggli dazu, sich in einer Firma zu engagieren, deren Geschäftsführer eine der umstrittensten Figuren der Schweizer Goldbranche ist?

Die Meldung ging um die Welt, selbst Bloomberg und Al Jazeera berichteten: Im Juni wurden laut den Schweizer Zollbehörden drei Tonnen Gold mit Herkunftsbezeichnung Russland in die Schweiz eingeführt. Bei den hiesigen Goldverarbeitern liefen die Telefone heiss. Alle sagten, nicht sie hätten das Gold importiert. Aufgrund des enormen Medieninteresses publizierte das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) Ende Juni eine Medienmitteilung und schrieb, aus rechtlichen Gründen könne es «keine Angaben zu den Importeuren des Goldes» machen.

Die Nähe des «unabhängigen» Instituts zu Valcambi ist augenscheinlich.

Für Russland ist Gold nach Öl und Gas das wichtigste Exportprodukt. Da es direkt als Geldanlage dienen kann, spielt es ökonomisch eine ganz besondere Rolle. Seit den wegen des Angriffs auf die Ukraine verhängten Sanktio­nen gegen Russland ist es noch wichtiger geworden. Am 7. März hat die London Bullion Market Association (LBMA), die weltweit wichtigste Handelsorganisation für Gold, die russischen Raffinerien ausgeschlossen.

Kurze Zeit nach diesem Entscheid informierte die Edelmetallkontrolle (EMK), die dem BAZG untersteht, die hiesigen Edelmetallverarbeiter und Banken: Gold, das nach dem 7. März in Russland produziert worden sei, werde in der Schweiz nicht mehr akzeptiert und sei nicht mehr handelbar. Ihre dringende Empfehlung: kein solches Gold mehr anzunehmen.

Verbot nur für Dritte?

Wenig später tauchte eine neue Organisa­tion im Schweizer Goldbusiness auf: das am 24. Mai gegründete Swiss Precious Metals Institute (SPMI), das Schweizer Edelmetall­institut, das sich selbstbewusst als «Dach­organisation» bezeichnet, obwohl es keine Mitglieder hat. In seiner allerersten Medienmitteilung, am 4. Juli, schaltete es sich sogleich in die Diskussion über das Russlandgold ein. Den Import der drei Tonnen bezeichnete es als «weder ausserordentlich noch widerrechtlich»: Gold, das nach dem 7. März von russischen Raffinerien produziert worden sei, könne in der Schweiz zwar nicht mehr direkt gehandelt werden – jedoch von Schweizer Raffinerien importiert, verarbeitet und (sofern die Voraussetzungen aus Sicht des Edelmetallkontroll- und des Geldwäschereigesetzes erfüllt seien) auch in Verkehr gebracht werden.

Das Bundesamt für Zoll bestätigt dies auf Anfrage. Es schreibt, dass sich das Verbot des Handels auf Dritte beziehe, zum Beispiel Banken oder Investoren – nicht aber auf Inhaber einer sogenannten Prüfer-Schmelzer-Bewilligung, über die die hiesigen Raffinerien alle verfügen. Der Grund: Prüfer-Schmelzer müssen im Rahmen ihrer Sorgfaltspflicht die rechtmässige Herkunft des Materials abklären und belegen, dass die Ware weder gestohlen noch unrechtmässig erworben wurde.

Im Zentrum steht also diese Sorgfaltsprüfung. Dass die EMK den hiesigen Raffinerien trotzdem empfahl, kein entsprechendes Gold anzunehmen, liege am Risiko, dass sanktionierte Personen oder Organisationen am Gold oder an der Transaktion beteiligt sein könnten, lässt sich einer Antwort des BAZG auf eine entsprechende Anfrage der WOZ ­entnehmen.

Das neu gegründete Institut kritisiert derweil die EMK in ihrer Medienmitteilung scharf. Sie verbreite «falsche Informationen» und hantiere mit widersprüchlichen Aussagen, die «Gift für den Schweizer Finanzplatz» seien: Gezielte Angriffe auf die Akteure des Edelmetallsektors, die die regulatorischen Vorgaben korrekt umsetzten, seien nicht nur ineffizient, sondern führten auch zu einer Rufschädigung des Schweizer Finanzplatzes.

Wenige Tage nach dem ersten öffentlichen Auftritt des Instituts meldete sich die Schweizerische Vereinigung Edelmetallfabrikanten und -händler – der offizielle Dachverband, der seit über vierzig Jahren besteht und dem alle relevanten Akteure der Goldbranche angehören. Man sei über die Position des SPMI verwundert und wolle einige Punkte klarstellen: «Dubioses Gold hat in der Schweiz keinen Platz.» Dabei gehe es nicht nur um legale, sondern auch um ethische Fragen. Zudem habe der Dachverband dem privaten Institut nicht erlaubt, in seinem Namen zu sprechen. Der Verband wie seine Mitglieder sprächen «sich gegen die Kommunikationsmethoden und Positionen dieses Privatunternehmens» aus, steht in der Medienmitteilung.

Die Köpfe hinter dem Institut

Das Schweizer Edelmetall­institut ist als Aktiengesellschaft organisiert. Die Aktien werden von den Verwaltungsräten gehalten. Einer der wichtigsten Akteure in diesem Gebilde ist Federico Domenghini, selbst Verwaltungsrat sowie CEO des SPMI. Er sagt gegenüber der WOZ, das Institut wolle ein Dienstleistungs- und Kompetenzzentrum sein, das Weiterbildungs- und Beratungsdienstleistungen auf Honorarbasis anbiete. Aufgrund des Know-hows und der Erfahrung der Persönlichkeiten, die das SPMI gegründet hätten, seien sie in der Lage, «fachlich, unabhängig und objektiv zu ver­mitteln».

Die offizielle Adresse des Instituts ist identisch mit jener von Domenghinis Kanzlei in Luzern. Dieselbe Adresse hat auch die Global Gold Refineries AG. Dahinter wiederum steht der indische Schmuckgigant Rajesh Exports. Dieser hat 2015 die Tessiner Edel­metallraffinerie Valcambi gekauft. Deren Verwaltungsratspräsident von 2015 bis Anfang 2022: Federico Domenghini.

In dieser Zeitspanne sorgte Valcambi immer mal wieder für Schlagzeilen. Wiederholt berichtete die NGO Public Eye über umstrittene Afrikageschäfte der Firma. Darauf reichte Valcambi 2019 eine Klage gegen Public Eye ein. Als Anwalt trat Domenghini selbst auf, seine Kanzlei vertritt Valcambi in diesem laufenden Verfahren noch immer, wie Pu­blic Eye bestätigt. Aus einer 2020 von der NGO Swissaid publizierten Goldstudie ergibt sich zudem der Verdacht, dass Valcambi Gold aus umstrittenen Quellen in den Vereinigten Arabischen Emiraten bezogen hat. Auch dagegen reichte Valcambi Klagen ein. Auch diese Verfahren laufen.

Mit Claudio Berger als Vize­präsident des Verwaltungsrats sitzt zudem ein weiterer bekannter Exponent aus der Edelmetallindustrie im SPMI. Von 1984 bis 2020 war er bei der Credit Suisse im Edelmetallhandel tätig – eine Zeit, in der Valcambi noch vollständig der Grossbank gehörte (bis 2003). Heute berät Berger die Edelmetallindustrie und sitzt im Verwaltungsrat von Aurofin, einem Edelmetallhandelsunternehmen, das derselben Gründerfamilie wie Valcambi entstammt und mit dieser noch immer enge Beziehungen pflegt.

Alles nur «Prävention»?

Die Nähe des angeblich unabhängigen Instituts zu Valcambi ist augenscheinlich, insbesondere die Rolle von Domenghini – umso mehr, als die Gründung des Instituts schon geplant war, als Domenghini noch VR-Präsident bei Valcambi war, wie er gegenüber CH Media bestätigte.

Dass Industrievertreter versuchen, ihre Interessen über solche «Institute» einzubringen, ist zwar problematisch, jedoch nicht weiter verwunderlich. Erstaunlicher ist, dass der Verwaltungsrat von Strafrechtsprofessor Marcel Niggli präsidiert wird und auch Alt-SP-Bundesrichter Niklaus Oberholzer in diesem Gremium sitzt – beides renommierte Strafrechtsexperten, die sich bislang nicht öffentlich zu juristischen Fragen rund um den Edelmetallhandel geäussert haben. Die WOZ hat beide gefragt, weshalb sie sich in diesem Institut engagieren.

Oberholzer sagt, dass in der Gesetz­gebung verschiedene Fragen nicht geklärt seien und sich die schweizerische Rechtsprechung nur selten mit der Thematik befasst habe. Auf Nachfrage schreibt er, dass ihn die aktuelle Tendenz, die Entscheidung kontroverser Fragen weitgehend allein den Strafbehörden zu überlassen, störe. Statt nachträg­liche Bestrafung im Rahmen eines repressiven Strafverfahrens wünsche er sich Prävention: «Damit aber die Betroffenen ihr Verhalten auch auf die gesellschaftlichen Erwartungen ausrichten können, bedarf es klarer Regeln, was denn nun erlaubt und was allenfalls unter Strafandrohung verboten ist.»

Auch Niggli thematisiert die Wissens­lücke im Edelmetallbereich, die bezüglich Wirtschaftsstrafrecht noch grösser sei als anderswo. Er schreibt: «Das SPMI soll primär Ausbildung betreiben und ein Kompetenzzentrum für rechtliche Fragen im Bereich des Edelmetallbereichs aufbauen. Mein Engagement am Institut ist dieser Zielsetzung gewidmet.»

Auf die heikle Nähe zu Valcambi angesprochen, nennt Oberholzer zunächst die in den Statuten festgehaltenen Absichten des SPMI, eine «menschenrechtskonforme, sozial- und umweltverträgliche Gewinnung und Produktion sowie eine verantwortungsvolle Lieferkette von Edelmetallen zu fördern». Als die WOZ eine Präzisierung wünscht, fragt er zurück: «Kann nur unabhängig sein, wer keine Vergangenheit hat und losgelöst von allen sozialen Beziehungen sich im luftleeren Raum bewegt?» Allein aufgrund eines «von der individuellen Sozialisation geprägten Vor­verständnisses» könne er grundsätzlich nichts Schlechtes an der personellen Zusammensetzung des Instituts sehen.

Auch Niggli winkt ab. Angesprochen auf die Definitionsmacht, die jenen zukommt, die Wissenslücken füllen, schreibt er: «Das SPMI will klären und aufklären helfen. Das geschieht nicht dadurch, dass wir selbst definieren (und uns dadurch Definitionsmacht aneignen), sondern, dass wir versuchen, auf die Defizite der bestehenden Regeln und Regulierungen hinzuweisen.»

Warum aber wurden nicht Leute ins Institut geholt, die dem Goldhandel kritisch gegenüberstehen? Nigglis Antwort: «Ich hatte bis jetzt eigentlich angenommen, dass Herr Oberholzer und ich zu den kritischen Stimmen zählen.»

Offenlegung der Warenflüsse

Anfang August übernahm der Bundesrat die neusten EU-Sanktionen gegen Russland. Import, Verarbeitung und Handel mit russischem Gold, das nach dem 3. August in Russland hergestellt wird, sind seither für alle Beteiligten verboten. Wie und ob sich das Institut in Zukunft öffentlich äussern wird, bleibt ebenso abzuwarten wie die Positionierung von Niggli und Oberholzer.

Sicher ist: Wäre der Öffentlichkeit bekannt, wer die drei Tonnen Gold aus Russland von wem importiert hat, könnten viele der hier geschilderten Unklarheiten und Spekulationen geklärt werden. Entsprechende Daten kommuniziert die Zollverwaltung mit Verweis auf das Steuer- und das Geschäftsgeheimnis aber nicht. Niggli indes zeigt sich dafür offen: «Ich würde die Offenlegung der Warenflüsse mit Angabe aller exportierenden und importierenden Beteiligten begrüssen.» Er präzisiert jedoch, dass dies nicht die Zollverwaltung, sondern ein privates Institut tun solle. Wen er damit meint, lässt er offen. Die Aufgabe des SPMI, so Niggli, sei dies jedenfalls nicht.