Goldhandel: Maschine zum Reinwaschen

Nr. 26 –

Die Schweiz importiert derzeit grosse Mengen russisches Gold. «Alles rechtens», versichern Zollbehörden und Raffinerien – doch die Branche ist höchst intransparent.

Symbolbild: ein Goldbarren wird gegossen
«Ethisch fragwürdig»: Wird russisches Gold in der Schweiz zu neuen Barren umgeschmolzen, ist die ursprüngliche Herkunft nicht mehr erkennbar. Foto: Denis Balibouse, Keystone

In der Schweiz gilt ein Verbot, Gold aus Russland «zu kaufen, es einzuführen oder zu transportieren». Das hat der Bundesrat letzten August beschlossen. Doch allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres sind 38 Tonnen Gold russischen Ursprungs aus Grossbritannien in die Schweiz gelangt. Seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine sind es rund 75 Tonnen im Wert von über vier Milliarden Franken, so die offiziellen Zahlen des Bundesamts für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG). In den Jahren vor dem Krieg wurden im Schnitt jährlich nur etwa 20 Tonnen Gold russischen Ursprungs importiert.

«Es ist alles rechtens», sagt die Zollverwaltung auf Anfrage. Sie habe diese Importe geprüft. Das Gold komme zwar ursprünglich aus Russland, sei aber bereits vor Kriegsbeginn im Februar 2022 nach Grossbritannien exportiert worden. Es stamme also nicht direkt aus Russland und diene somit auch nicht der direkten Kriegsfinanzierung.

Einschmelzen und neu Stempeln

In einer gemeinsamen Recherche richteten die WOZ und das SRF-Magazin «Rundschau» eine Anfrage zu den Importeur:innen des russischen Goldes aus Grossbritannien an das BAZG, gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz. Doch das Bundesamt verweigerte entsprechende Auskünfte. Auch die Schweizer Raffinerien, die mutmasslich einen Grossteil dieses Goldes verarbeiten, äussern sich auf Anfrage nicht dazu.

Bernhard Schnellmann kennt das globale Goldhandelssystem und die tragende Rolle der Schweizer Raffinieren darin wie kaum ein Zweiter. Er war viele Jahre als Goldhändler für die Credit Suisse, die UBS sowie für die grosse Schweizer Raffinerie Argor-Heraeus tätig. Heute führt er ein eigenes Beratungsinstitut in diesem Bereich. «Im Goldhandel spielt die London Bullion Market Association, kurz LBMA, eine herausragende Rolle. Sie ist der wichtigste globale Goldhandelsplatz», sagt Schnellmann. Enorme Mengen an Gold lagern dort – zurzeit rund 8000 Tonnen.

«Speziell in Ländern wie China und Indien ist die Goldnachfrage derzeit hoch», sagt Schnellmann, und an diesem Punkt komme die Schweiz als weltweit wichtigster Raffineriestandort ins Spiel: «Weil in den LBMA-Tresoren sogenannte Standardbarren mit einem Gewicht von 12,5 Kilogramm liegen, von chinesischen Importeur:innen aber beispielsweise mehrheitlich 1-Kilogramm-Barren verlangt werden, muss dieses Gold umgeschmolzen werden.» Dazu schicken internationale Banken, die dieses Gold handeln, zurzeit grosse Mengen aus den Londoner Tresoren zur Verarbeitung in die Schweiz.

Die LBMA akzeptiert zwar bereits seit dem 7. März 2022 kein Gold aus Russland mehr, doch stammt ein grosser Teil der gelagerten Bestände aus russischer Vorkriegsproduktion. Als Grund nennt Schnellmann einerseits die überragende Qualität von russischem Gold: «Es weist überdurchschnittlich oft einen Feinheitsgrad von 99,99 Prozent auf: Genau das fragen chinesische Importeure nach.» Andererseits weist der Goldexperte auf eine spezielle Marktsituation hin: «Lange interessierte es Investmentfonds kaum, woher ihr Gold stammte, solange es von der LBMA geprüft und damit international anerkannt war.» Dies änderte sich im letzten Jahr. Viele Kund:innen würden mittlerweile kein russisches Gold mehr wollen, die Fonds versuchten deshalb, es abzustossen. «Die Folge ist ein leichter Discount für russisches Gold auf dem Markt», sagt Schnellmann, was Gold russischen Ursprungs für die handelnden Banken zusätzlich attraktiv mache.

Die Lösung für das Problem der unerwünschten russischen Herkunft bieten die Schweizer Raffinerien: Wenn sie das Gold einschmelzen und in kleinere Barren giessen, verschwindet die russische Ursprungsbezeichnung, das Gold verlässt die Raffinerie mit dem unbedenklichen Schweizer Stempel versehen – und die Banken machen mit dem Handel derzeit wohl zusätzlichen Gewinn.

Auf Anfrage wollen zwei der vier grossen Raffinerien, Valcambi und MKS Pamp, nicht sagen, ob sie zurzeit entsprechendes russisches Gold aus London verarbeiten. Argor-Heraeus schreibt, «bis November 2022 kein Gold russischen Ursprungs verarbeitet» zu haben, dies inzwischen aber wieder zu tun. Und Metalor antwortet, dass es zurzeit kein solches Gold verarbeite und insgesamt seit 2020 nur wenige Kilos verarbeitet habe – «aufgrund ethischer Bedenken».

Das Umschmelzen von russischem zu Schweizer Gold bestätigt auch Christoph Wild, Präsident des Verbands der Schweizer Edelmetallindustrie. Er sagt dazu: «Sofern eindeutig belegt werden kann, dass es sich um Gold handelt, das vor Kriegs- und damit Sanktionsbeginn aus Russland nach Grossbritannien exportiert wurde, sehe ich kein ethisches Problem.» Man lasse auch kein Russengold verschwinden, sondern verfolge ein normales Geschäftsmodell: «Ein Rohstoff wird nachgefragt, und wir verarbeiten ihn.»

Die Rolle der Emirate

Der Basler Strafrechtsexperte Mark Pieth ist ganz anderer Meinung. Er verweist darauf, dass die russische Nationalbank nach der Annexion der Krim 2014 fast die gesamte russische Goldproduktion – immerhin die zweitgrösste der Erde – aufgekauft und ihre Reserven in den folgenden fünf Jahren verdoppelt hat, um die Sanktionen abzufedern. Ab 2019 beendete die Zentralbank den Aufkauf, und die russische Goldindustrie exportierte bis zum Kriegsbeginn über 700 Tonnen Gold im Wert von rund dreissig Milliarden Franken, fast ausschliesslich nach Grossbritannien. «Ich sehe schlichtweg keinen anderen Grund für die erhöhten Exporte als Kriegsvorbereitung», sagt Pieth. Dies auch, weil die russische Goldindustrie sehr eng mit dem Regime verbunden sei.

Wenn Schweizer Raffinerien dieses Gold nun importieren und umschmelzen würden, sei das rechtlich unproblematisch, ethisch aber sehr fragwürdig. Zwar verdient das russische Regime nicht an den Geschäften. Doch Pieth sagt: «Dass die Schweiz dieses Gold nun importiert und umschmilzt, bestätigt das, was das Ausland über uns denkt: dass wir alles annehmen, was wir nach dem Buchstaben des Gesetzes dürfen.»

Marc Ummel, Goldexperte bei der NGO Swissaid, teilt Pieths Ansicht – und er weist auf ein weiteres problematisches Geschäftsfeld hin: Zugenommen haben seit März 2022 nicht nur die Goldimporte aus Grossbritannien, sondern auch jene aus den Vereinigten Arabischen Emiraten; von 125 Tonnen 2021 auf über 140 Tonnen 2022 und bereits 78 Tonnen im ersten Quartal 2023.

Der Golfstaat, der die Sanktionen gegen Russland nicht mitträgt, ist gemäss Analysen der Agentur Reuters der zentrale Umschlagplatz für Gold aus Russland, das auch heute noch das Land verlässt. Die Importe aus den Emiraten sind damit äusserst heikel. Schweizer Raffinerien laufen Gefahr, russisches Gold zu verarbeiten, das nach Kriegsbeginn in Russland produziert wurde, was gegen die Sanktionen verstossen würde. Der Golfstaat macht nicht öffentlich, welche seiner Goldexporte ursprünglich aus Russland stammen: Wie die Schweiz deklariert das Land den Rohstoff nach dem Einschmelzen um.

Auf dem Prüfstand

Auf Nachfrage der WOZ und der «Rundschau» geben die drei grossen Raffinerien MKS Pamp, Argor-Heraeus und Metalor zu Protokoll, dass sie derzeit kein Gold aus den Vereinigten Arabischen Emiraten beziehen.

Valcambi hingegen will sich gegenüber der WOZ nicht äussern. Der Verdacht liegt nahe, dass Valcambi für einen Grossteil der Goldimporte aus den Emiraten verantwortlich ist – die Frage, wie das Unternehmen ausschliessen will, dass unter dem importierten Gold auch russisches aus aktueller Förderung ist, bleibt unbeantwortet. Die Intransparenz von Valcambi ist besonders stossend, aber auch die anderen Schweizer Raffinerien ebenso wie die Zollbehörden tragen dazu bei, dass sich die Herkunft des in der Schweiz verarbeiteten Goldes kaum nachvollziehen lässt.

Doch das System der Intransparenz steht auf dem Prüfstand: Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat ein Gerichtsverfahren angestrengt, das von den Raffinerien verlangt, die Herkunft ihres importierten Goldes und ihre Lieferanten offenzulegen. Obwohl sowohl der Öffentlichkeitsbeauftragte des Bundes sowie das BAZG das Anliegen unterstützt hatten, entschied das Bundesverwaltungsgericht Ende 2022, dass die Öffentlichkeit wegen des Steuer- und Geschäftsgeheimnisses kein Recht auf diese Informationen habe. Das Bundesgericht prüft zurzeit den Entscheid. Sein Urteil wird wegweisend sein.

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Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den Recherchierfonds des Fördervereins ProWOZ. Dieser Fonds unterstützt Recherchen und Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten der WOZ übersteigen. Er speist sich aus Spenden der WOZ-Leser:innen.

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