Rentenalter 67: Politik mit Unterstellungen

Nr. 36 –

Würde das Rentenalter nach einem Ja zur AHV 21 auf 67 erhöht? Oder ist das bloss eine Irreführung der Linken, wie das Bürgerliche behaupten? Vorbereitungen dafür laufen jedenfalls im Parlament.

Plakat zu den AHV-Abstimmungen an einem Strassenrand
Der Stein des Anstosses: Bürgerliche empören sich über die aktuelle Plakatkampagne von Gewerkschaften und SP. Foto: Peter Schneider, Keystone

Welche Überraschung: Die Kampagne von Gewerkschaften und SP gegen die Frauen­rentenaltererhöhung operiert mit Zuspitzung und Provokation. So plakatiert sie «Bald bis 67 arbeiten? AHV-Abbau 2 x Nein». Bürgerliche empören sich darüber und werfen der Linken vor, sie hantiere mit einer Lüge. An dem Vorwurf ist zumindest insofern etwas dran, als am 25. September tatsächlich nicht über das Rentenalter 67 für alle abgestimmt wird. In einem ebenfalls kritisierten Video behauptet die Kampagne der Linken bei genauerem Hinschauen jedoch, dass das Parlament eine Erhöhung des Rentenalters auf 67 zwar nicht beschlossen habe, diese aber «programmiert» sei. Das entspricht den Tatsachen.

 

 

Rentenalter 67 ist in der Schweiz seit zwanzig Jahren ein Thema. Motor dieser Forderung sind die Freisinnigen. Altbundesrat Pascal Couchepin verlangte bereits 2003 das Rentenalter 67. Und er bekräftigte seine Forderung 2016. Daran führe kein Weg vorbei. Im gleichen Jahr folgte der Nationalrat einem Antrag der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit. Der sah jeweils gar eine automatische Rentenaltererhöhung vor, sobald der AHV-Ausgleichsfonds unter achtzig Prozent einer vollen Jahresrente gefallen wäre. Eingebracht hatte ihn der Zuger FDP-Nationalrat Bruno Pezzatti. Der Beschluss des Nationalrats fand schliesslich keinen Eingang in die Vorsorgevorlage von Alain Berset, die dann an der Urne knapp scheiterte. Damals hatte sich selbst die Linke mehrheitlich für eine Erhöhung des Rentenalters von Frauen eingesetzt, weil bei der damaligen Vorlage diverse Verbesserungen bei den Frauenrenten vorgesehen waren.

Bundesrat prüft Rentenalter 67

Inzwischen sind gleich drei bürgerliche Initia­tiven in Richtung generelle Rentenaltererhöhung auf dem Weg. Die bekannteste: die «Renteninitiative» des Zürcher FDP-Nationalrats Andri Silberschmidt, die bis 2032 Renten­alter 66 und schliesslich Rentenalter 67 für Männer wie Frauen anstrebt. Die bundesrät­liche Botschaft dazu liegt seit Juni vor. Der Bundesrat lehnt die Initiative ab, weil sie ihm zu wenig umfassend ist. Man könnte auch sagen: zu wenig rasch und radikal.

Die Botschaft des Bundesrats ist ein interessantes Dokument. Darin heisst es: «Aufgrund der stetig steigenden Lebenserwartung und der finanziellen Situation der AHV ist die Forderung nach einer Erhöhung des Renten­alters grundsätzlich berechtigt.» Dabei verweist die Regierung auch auf die vom Parlament überwiesene Motion der ständerätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit. Diese beauftragt die Regierung, bis Ende 2023 eine Vorlage zur Stabilisierung der AHV für die Zeit zwischen 2030 und 2040 vorzulegen. Im Hinblick auf diese Reform werde der Bundesrat auch prüfen, ob und wie in der Schweiz «allenfalls eine ausgewogene Verbindung von Lebenserwartung und Rentenalter geschaffen werden könnte». Dabei werde auch die Frage einer generellen Erhöhung des Rentenalters über 65 Jahre hinaus ein Thema sein.

Die beiden anderen Initiativen, die in der Pipeline sind, zielen auf eine generelle Rentenaltererhöhung. Die «Generationen­initiative» will die Pensionskassenrenten teilweise an die Entwicklung des Kapitalmarkts, an die Lebenserwartung und die Kaufkraft anpassen. Zustande gekommen ist auch die Initiative des bürgerlichen Komitees «Für eine sichere und nachhaltige Altersvorsorge». Wie bei Silberschmidts Vorstoss geht es zunächst darum, das Rentenalter schrittweise auf 66 Jahre anzuheben und danach mit der Lebenserwartung zu verknüpfen.

Druck aus der Wirtschaft

Der Arbeitgeberverband hat sich in einem Beitrag, der auch in der NZZ veröffentlicht wurde, bereits im Februar dazu verlauten lassen. Er folgt in etwa der oben formulierten bürgerlichen Agenda, kritisiert aber den Bundesrat unter anderem dafür, dass er den Renten­vorbezug in der Vorlage noch attraktiver ausgestaltet habe. Die AHV 21, so der Verband, sei nur ein erster Schritt zu deren Stabilisierung bis 2027. Dann müsse die politische Diskussion so weit fortgeschritten sein, dass eine zweite Reform­etappe in Kraft gesetzt werden könne, die auch eine schrittweise allgemeine Rentenaltererhöhung miteinschliesse. Eine Politik, die bei der AHV wiederum praktisch ausschliesslich auf die Karte Zusatzfinanzierung setze, würde «damit nicht nur die strukturellen Probleme der AHV weiter vor sich herschieben, sondern auch der Schweiz insgesamt schaden». Zwangsläufig müsste die Mehrwertsteuer in wenigen Jahren drastisch weiter angehoben werden.

Wie war das noch mal mit dem Lügenvorwurf, den übrigens nicht nur die NZZ, sondern auch die CH-Media- und die Tamedia-Zeitung kolportieren? Er fällt auf die Absender:innen zurück. Man muss sie nicht gleich der Lüge bezichtige­n, aber zumindest bewegen sich ihre Vorwürfe ziemlich nahe an einer Irreführung der Stimmbevölkerung. Sicher ist: Das bürgerliche Lager ist hoch nervös, die Provokation der linken Kampagne hat verfangen. Damit sind die Pläne für ein Rentenalter 67 rechtzeitig zurück in der Debatte. Übrigens: Der Gewerkschaftsbund bezeichnet in diesem Zusammenhang den Begriff der «Lüge» als «ehrverletzend» – und bittet darum, darauf künftig zu verzichten.