Steuer auf Übergewinne: Was macht Maurer?
Das Finanzdepartement ist gegen eine Sondersteuer für Energiekonzerne. Irritierend daran: Es hat sich noch nicht einmal damit befasst. So könnte es gehen.
Ueli Maurer will nicht. Der SVP-Finanzminister hat keine Lust auf eine Sondersteuer für Energiefirmen, die angesichts kriegsbedingt steigender Preise riesige Gewinne einstreichen. Auf entsprechende Fragen von Balthasar Glättli (Grüne), Gerhard Pfister (Mitte) und Anna Giacometti (FDP) antwortete sein Departement lediglich mit einer langen Stichwortliste angeblicher Probleme.
Übergewinne seien schwer zu identifizieren und würden bereits durch die Gewinnsteuer erfasst; die Steuer widerspreche der Verfassung und schade dem Standort Schweiz. Und sowieso hätten Erdöl- und Erdgasproduzenten – auf die Maurer in seinen Antworten fokussiert – ihren Steuersitz nicht in der Schweiz, sodass der Bund gar nichts tun könne.
Fragt sich, warum das so viele Regierungen anders sehen. Etliche haben die Übergewinnsteuer bereits eingeführt; die konservative EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will sie europaweit, und inzwischen denkt auch Energieministerin Simonetta Sommaruga (SP) über sie nach. Auf Anfrage wiederholt ihr Departement die Idee, indem es auf die Internationale Energieagentur verweist: Diese schlage in ihrem «10-Punkte-Plan» vor, in der Krise «diese Finanzierungsart zu prüfen».
Wo ist denn da der Wettbewerb?
Die steigenden Profite der Energiefirmen sind das Geld, das alle anderen weniger im Portemonnaie haben. Und hat der Bund in der Bankenkrise, der Coronapandemie und auch jetzt mit der Axpo-Rettung nicht Milliarden in die Hand genommen, um Firmen zu stützen? Die Profite rückzuverteilen, sollte gerade für alle selbsterklärten Liberalen ein Herzensanliegen sein: Nach Lehrbuch sollte der Wettbewerb dafür sorgen, dass Firmen die Margen auf ihre Erzeugnisse nicht einfach erhöhen können. Gehen diese auf einmal durch die Decke, herrscht offenbar kein Wettbewerb.
Entsprechend schwach ist der Einwand, dass die Übergewinne bereits durch die normale Steuer belastet würden: Die Übergewinne dürfte es nicht geben. Es wäre also legitim, sie ganz abzuschöpfen.
Wie begründet Maurer sein Nein? Während etwa die deutschen Behörden zahlreiche Expert:innenberichte erarbeiten liessen, existiert in Maurers Departement nichts, wie es auf Anfrage heisst. Mehr noch: Es gebe auch «keine Überlegungen» dazu. Man reibt sich die Augen.
Dabei führt bereits der Einwand, dass Erdöl- und Erdgasfirmen in der Schweiz keine Steuern zahlten, in die Irre. Die hiesigen Rohstoffgiganten sind nebst Händlern teils auch Produzenten, Glencore fördert etwa Öl in Kamerun. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Konzerne auch einen Teil der andernorts erwirtschafteten Profite in der Schweiz versteuern. Vor allem aber streichen sie aktuell auch mit dem Handel von Öl oder auch Getreide Riesenprofite ein. Glencore hat diese im ersten Halbjahr 2022 auf 19 Milliarden US-Dollar verdoppelt.
Wie der Preisüberwacher auf Nachfrage sagt, hat er eine Untersuchung der hiesigen Treibstoff- und Heizölbranche auf mögliche überhöhte Margen eröffnet. Zum Business gehören der Raffineriebetreiber Varo Energy in Cressier, Grosshändler wie Migrol, Coop oder Shell sowie Tankstellen. Ein weiteres offenes Geheimnis ist, dass grosse Stromfirmen wie BKW, Alpiq und Axpo für die nächste Zukunft riesige Profite erwarten. Die gerade erst vom Bund mit einem Kreditrahmen in Höhe von 4 Milliarden Franken gerettete Axpo hat ihren Gewinn bereits im ersten Halbjahr 2022 auf 1,1 Milliarden Franken verdoppelt.
Auch das Argument, Übergewinne liessen sich nicht identifizieren, hält einer Überprüfung nicht stand. Entgegen dem Einwand des Finanzdepartements gibt es Methoden, um Übergewinne zu identifizieren: Eine besteht darin, eine marktübliche Rendite zu definieren; alles, was (zumindest zu einem bestimmten Prozentsatz) darüber liegt, wird als Übergewinn höher besteuert. In einer anderen Variante, wie sie die EU für die Öl- und Gasfirmen vorsieht, wird die marktübliche Rendite als Durchschnitt der letzten Jahre definiert.
Für die Stromproduzenten könnte die Schweiz auch an von der Leyens Vorschlag für die Branche anknüpfen: Gemäss diesem sollen die Firmen sämtliche Einkünfte, die sie mit einem Preis von über 180 Euro pro Megawattstunde erwirtschaften, dem Steueramt abgeben. Heute wird der Strompreis gemäss dem «Merit-Order-Prinzip» an den Börsen von den teuren Gaskraftwerken bestimmt. Entsprechend machen Produzenten von Atom-, Kohle- und erneuerbarer Energie mit ihren viel tieferen Kosten riesige Profite. 180 Euro sind immer noch weit mehr als die Spitzenpreise, die vor Russlands Angriff auf die Ukraine bestanden – sodass den Produzenten von erneuerbarer Energie genug Gewinn für Investitionen bliebe.
Mit Dringlichkeitsrecht
Da der Schweizer Strommarkt teilreguliert ist, müssen Axpo, BKW und Alpiq den privaten Haushalten und den meisten Firmen den Strom zu Selbstkosten anbieten. Bei rund 33 000 grösseren Firmen, die auf dem freien Markt einkaufen, machen die Stromkonzerne jedoch angesichts der hohen Preise riesige Übergewinne. Es sei «denkbar», schrieb das Energiedepartement auf eine Frage der SP, dass man sich dem EU-Modell anschliesse.
Falls die EU die Übergewinnsteuer einführt, würde Maurers Standortargument zerbröseln – die Schweiz würde sich durch Nichtstun vielmehr einen Vorteil erschleichen. Doch ohnehin gilt: In Kantonen wie etwa Luzern zahlen Firmen laut dem Forschungsinstitut BAK heute halb so viel Steuern wie in Luxemburg (21 Prozent), mit dessen Finanzplatz Maurer die Schweiz gern vergleicht.
Bleibt der Einwand, dass der Bund laut Verfassung maximal 8,5 Prozent Steuer erheben darf. Die Steuer könnte jedoch zeitlich beschränkt per Dringlichkeitsrecht eingeführt werden. So könnte sie etwa Anfang 2024 rückwirkend auf 2023 eingesetzt werden. Falls sie für länger als ein Jahr geplant würde, unterstünde sie dem obligatorischen Referendum.
Übergewinne gegen Hungerkrise
Der Staatsrechtler Markus Schefer ist gegenüber diesem Weg skeptisch. Für ihn sei die Dringlichkeit zur Abschöpfung von Übergewinnen nicht gegeben. Gleichzeitig weist er jedoch darauf hin, dass andere Jurist:innen und der Bund die Dringlichkeit offener auslegten. «Ich glaube nicht, dass das Bundesamt für Justiz das Dringlichkeitsrecht für eine solche Steuer als Möglichkeit ablehnen würde.» Uneinig sind sich die befragten Jurist:innen darüber, ob es sich bei der EU-Einnahmeobergrenze für Stromfirmen überhaupt um eine Steuer handeln würde, die in der Verfassung verankert sein müsste.
Die Steuereinnahmen von Rohstoffkonzernen, die ihre Gewinne im Ausland machen, müssten Leuten ausserhalb der Schweiz zugute kommen. Nationalrat Glättli fordert in einer neuen parlamentarischen Initiative für eine Kriegsgewinnsteuer, dass ein Teil für den Wiederaufbau der Ukraine und für die Bekämpfung der weltweiten Hungerkrisen eingesetzt würde. Sommarugas Departement schreibt, dass die Übergewinne der Stromkonzerne für Firmen und Haushalte verwendet werden könnten, die von «hohen Energiepreisen stark betroffen» seien.
Beharrt Maurer auf seinem Nein? Falls ja, muss er mehr liefern als seine fünfzehnzeilige Antwort auf Fragen von Parlamentarier:innen.