Energiekrise: Bürgerliche Planwirtschaft

Nr. 48 –

Eine erstaunliche Kehrtwende des Bundesrats: Im Liberalisierungsrausch der nuller Jahre war unter der Bundeshauskuppel 2007 beschlossen worden, dass Grossfirmen ihren Strom künftig frei auf dem Markt einkaufen dürfen; noch 2021 schlug der Bundesrat vor, dass die Privathaushalte folgen sollten. Und nun? Letzte Woche verankerte er ganz leise eine Hintertür, durch die Grossverbraucher zurück in die Grundversorgung schleichen können. Ein implizites Eingeständnis, dass die Strommarktliberalisierung gescheitert ist.

Auf einmal sind die Apostel der Liberalisierung ganz still.

Um die Rückkehr gebettelt hatte vor allem der Gewerbeverband. Die Liberalisierungsapostel sind seit den riesigen Preisschwankungen an den Strombörsen auf einmal ganz still.

Corona, der Krieg gegen die Ukraine und die Klimaerhitzung führen wie die Finanzkrise 2008 wieder vor Augen: Wir brauchen zum Leben verlässliche Zahlungssysteme, Spitäler, Impfstoffe, Energie – und vor allem einen Planeten, auf dem es sich weiterhin leben lässt. Doch der entfesselte Markt richtet es oft nicht: weil einzelne Banken ganze Länder in den Abgrund reissen können; weil sich mit Spitälern Profit nur auf dem Buckel von Personal und Patient:innen erzielen lässt; weil Pharmariesen ihre Impfstoffe an die Meistbietenden verkaufen; weil Energiekonzerne Krisen nutzen, um die Preise hochzuschrauben; oder weil das Profitstreben von Konzernen nicht zu weniger CO₂-Ausstoss führt.

Gut also, dass Firmen in die Grundversorgung zurückkönnen. Nur: Kehrt ein Teil der 34 000 Firmen, die frei einkaufen, zurück, wird der Strom für uns alle in der Grundversorgung teurer. Denn die Grundversorger müssen den zusätzlichen Strom teuer dazukaufen. Dies, nachdem Grossfirmen jahrelang auf dem Markt von billigem Strom profitiert haben. Entsprechend hatte sich der Bundesrat Anfang November gegen die Rückkehrmöglichkeit ausgesprochen. Nun hat er jedoch eine bereits bestehende Gesetzeslücke per Verordnung explizit bestätigt: Schliessen sich Firmen zusammen, die etwa mit Solarpanels Strom herstellen, können sie sich als Neukunde für die Grundversorgung anmelden.

Irritierend ist, dass der Bundesrat kaum Bedingungen stellt: Die Firmen müssen nur zehn Prozent ihres Bedarfs selber decken. Und nach sieben Jahren dürfen sie wieder in den freien Markt zurück. Bis dahin zahlen die Kund:innen der Grundversorgung die Zeche.

Ein bekanntes Muster: Greift der Bund ein, so tut er dies stets im Interesse der Wirtschaftsverbände und deren Vertreter:innen im Parlament, die dort die Mehrheit haben. Bereits 2008 nahm der Bund der UBS für 39 Milliarden US-Dollar Ramschpapiere ab, ohne jegliche Mitsprache in der Bank zu verlangen. Im ersten Coronajahr pumpte er Milliarden in die Wirtschaft, während Immobilienfirmen keinerlei Mieteinbussen hinnehmen mussten und ABB, die TX Group oder die NZZ-Mediengruppe trotzdem fröhlich Dividenden auszahlten. Die Gewinne privat, die Kosten dem Staat.

Kürzlich stellte der Bund der Axpo, die trotz kantonaler Eigentümer als profitorientierte Holding aufgestellt ist, einen Notkredit von 4 Milliarden Franken bereit, während sich das Parlament zuvor geweigert hatte, entsprechende Auf‌lagen zu formulieren, wie SP-Energieministerin Simonetta Sommaruga mahnte – und sich SVP-Bundesrat Ueli Maurer gegen eine Übergewinnsteuer für Energiekonzerne stellt. Auf Initiative von unter anderem Ruedi Noser (FDP) beschloss das Parlament, Solarprojekte in den Bergen mit bis zu 60 Prozent der Investitionen zu subventionieren. Der Bund wirft so Stromkonzernen Milliarden hinterher. Beim in Gondo geplanten Solarkraftwerk sitzen auch Privataktionäre mit am Tisch. Repower, das ebenfalls Projekte plant, gehört zu 22 Prozent einer UBS-Anlagegesellschaft. Flösse dieses Geld in den Sozialstaat, ginge das «Venezuela!»-Geschrei los.

Wo sind die Auf‌lagen für die Rückkehr in die Grundversorgung? Wo jene für die Axpo-Rettung? Wo bleibt die Übergewinnsteuer? Wo die Einschränkung fossiler Energie, die Solarpanels auch ohne Milliardensubventionen profitabel machen würde? Und warum verschenkt der Bund Milliarden, statt das Geld selber in Solarenergie zu investieren? So wird der Staat zum Selbstbedienungsladen.