Kost und Logis: Hände weg vom Kaktus!

Nr. 40 –

Bettina Dyttrich entdeckt, dass Chemie manchmal politisch korrekter ist

Der US-Autor Michael Pollan macht gern Selbstversuche. Lange schrieb er vor allem übers Gärtnern, Jagen, Sammeln und Kochen, heute mehr über Drogen – noch um einiges erfolgreicher. Sein Buch «Verändere dein Bewusstsein» über psychedelische Therapien (siehe WOZ Nr. 21/19) wurde sogar als Netflix-Dokuserie verfilmt.

Auch in seinem neusten Buch, «Kaffee Mohn Kaktus», geht es um Drogen – und Selbstversuche: Pollan übt, mit dem Kaffeetrinken aufzuhören («Ich fühlte mich wie ein stumpfer Bleistift»), pflanzt Schlafmohn im Garten (zum Preis der Paranoia) und versucht, die seltene Droge Meskalin aufzutreiben.

Dieses Kapitel ist das interessanteste des Buches – es führt mitten hinein in die heftigen Debatten um kulturelle Aneignung. Denn Meskalin ist der Wirkstoff des Peyote-Kaktus, der in Mexiko wahrscheinlich schon seit Jahrtausenden eine religiöse Bedeutung hat. Unter den Indigenen Nordamerikas verbreiteten sich Peyote-Zeremonien Ende des 19. Jahrhunderts und halfen vielen, vom Alkoholismus wegzukommen und neues kulturelles Selbstbewusstsein zu finden. Auch in den indigenen Widerstandsbewegungen um 1968 war Peyote wichtig – gleichzeitig fingen die Hippies an, sich dafür zu interessieren.

Und hier begann das Problem. In den USA wächst der Kaktus bloss in einem kleinen Gebiet in Texas. Dort darf man ihn nur für den Gebrauch der – offiziell anerkannten – Native American Church ernten, aber natürlich gibt es einen Schwarzmarkt. Als Pollan versucht, mehr über die heutigen Rituale zu erfahren, stösst er auf Misstrauen: «Sie sind weiss, oder?», fragt ihn ein Zeremonienleiter aus Arizona. Und meint, wenn er mehr über die heilsame Wirkung des Kaktus erzähle, führe das doch nur wieder zu einer höheren Nachfrage. Die wächst ohnehin, auch wegen weisser Psychedelikfreaks, die pflanzliche Drogen legalisieren wollen – und darum ausgerechnet mit Indigenen Streit haben, die sie sonst gern idealisieren.

Der Autor weist auf etwas Wichtiges hin. Der Begriff «kulturelle Aneignung» stimme hier nicht ganz – die Aneignung finde «im endlichen Reich des Materiellen» statt: Der Kaktus wird knapp. Ähnliches gilt für viele Konflikte zum Thema. Der Vorwurf, es gehe um die «Reinheit» von Traditionen, stimmt selten. Es geht um Macht- und materielle Fragen: Was bedeutet es, wenn die Kindeskinder der Kolonisator:innen indigene Rituale nachahmen, vielleicht damit auch Geld verdienen, und dadurch die Rituale der Kolonisierten bedrohen, weil der Kaktus ausstirbt? «Sie können so viel Meskalin synthetisieren, wie sie wollen, aber von den Wildpopulationen sollen sie bitte die Finger lassen», zitiert Pollan eine indigene Aktivistin. Die Lösung für weisse Mittelstandskinder mit psychedelischen Bedürfnissen heisst hier tatsächlich: synthetische Chemie statt Pflanze. Wer ganz sicher gehen will, hat sogar eine Schweizer Alternative: LSD wurde bekanntlich in Basel entdeckt.

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin. Das Buch «Kaffee Mohn Kaktus» von Michael Pollan ist im Verlag Antje Kunstmann erschienen.