Steuerpolitik: Die Brit:innen können sich Liz Truss nicht leisten

Nr. 40 –

Während des Duells um die Tory-Führung im Sommer mutmassten manche politischen Expert:innen, dass Liz Truss als Premierministerin wohl kaum so radikal auftreten würde wie im Wahlkampf. Ihr libertäres Wirtschaftsdogma, die Deregulierungswut und der Steuersenkungsfanatismus: Damit wolle sie vor allem die Tory-Basis ansprechen und sich die Wahl sichern. Als Regierungschefin werde sie ihre Pläne kaum in dieser extremen Form umsetzen, hiess es – sie könne doch nicht im Ernst glauben, mit diesem Margaret-Thatcher-Abklatsch durchzukommen.

Heute, einen Monat nach ihrer Wahl, wissen wir: Doch, genau das glaubt sie. Die Tory-Vorsitzende Liz Truss und ihr Schatzkanzler Kwasi Kwarteng haben Pläne vorgelegt, bei denen man sich die Augen reibt. Sie haben die Obergrenze für die Boni der Banker:innen, die von der EU nach der Finanzkrise von 2008 eingeführt wurde, abgeschafft; die geplante Erhöhung der Körperschaftssteuer ist abgeblasen worden, der Satz bleibt bei 19 Prozent, dem tiefsten der G20-Staaten; die Sozialleistungen für Arbeitslose werden beschränkt, damit diese aktiver nach Arbeit suchen; und gleichzeitig sollten die reichsten Brit:innen ein bisschen mehr Geld in der Tasche haben, indem der oberste Steuersatz von 45 auf 40 Prozent gesenkt wird.

Diese letzte Massnahme sorgte selbst bei abgebrühten Tories im Unterhaus für Konsternation – immerhin fragen sich derzeit Millionen von Brit:innen, wie sie angesichts steigender Energiepreise in diesem Winter über die Runden kommen sollen. Am Ende wurden Truss und Kwarteng zu einem Rückzieher gezwungen, sie sagten die Steuersenkung für die Reichsten am Montag ab.

Aber an der allgemeinen Stossrichtung ihres Wirtschaftsprogramms ändert sich überhaupt nichts. Am gleichen Tag liess die Regierung durchblicken, dass die Sozialleistungen wohl trotz Inflation nicht heraufgesetzt werden. Zudem sollen die öffentlichen Ausgaben um achtzehn Milliarden Pfund gekürzt werden – Schulen und Spitäler haben bereits Alarm geschlagen. Eine Rückkehr zur Sparpolitik, die den britischen Sozialstaat im vergangenen Jahrzehnt bereits dramatisch ausgehöhlt hat, wäre fatal. Kein Zweifel: Grossbritannien kann sich diese Regierung nicht leisten.

Da stimmt es zuversichtlich, dass es Millionen von Menschen genauso sehen: Die Streikwelle, die seit dem Sommer durchs Land rollt, bricht nicht ab, und die sozialen Bewegungen sind auf dem Vormarsch – man würde nicht wetten wollen, dass sich diese Regierung lange halten kann.