Knatsch bei der SGG: Noch agiler geht nicht

Nr. 42 –

Die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft blickt auf eine lange Geschichte zurück. Die letzten eineinhalb Jahre waren turbulent, wie Recherchen zeigen. Das liegt auch am neuen Präsidenten, dem GLP-Politiker Nicola Forster.

Nicola Forster
Brachte einen neuen Groove in die altehrwürdige Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft: Nicola Forster hat einst die Operation Libero mitbegründet. Foto: Paolo Dutto, 13 Photo

Aus festen Arbeitsplätzen wurden «mobile Stationen». Desktopcomputer wurden durch Laptops ersetzt. Statt mit E-Mails kommuniziert das Team der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) jetzt mit der Plattform «Slack». Das Arbeiten im Homeoffice habe einen «agilen Schub» ausgelöst, heisst es im neusten Geschäftsbericht. Die neu gewonnene Agilität war aber kaum nur eine Folge des Homeoffice, sondern sie geht auch mit einem Wechsel an der Spitze der SGG einher: Seit Ende 2020 wird diese von Nicola Forster präsidiert.

Agiler als Forster zu sein, ist kaum möglich. Gleich mehrere «Politik-Start-ups» hat er schon mitgegründet: den Thinktank «foraus», die «Operation Libero» und das «Staatslabor». Ausserdem ist er Präsident der Grünliberalen Partei (GLP) des Kantons Zürich. Und inzwischen eben auch der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft. Dort hängt jetzt aber der Haussegen schief, wie Recherchen der WOZ zeigen. Zwei Mitarbeiter:innen der Geschäftsstelle wurden in den letzten zwölf Monaten entlassen. An der letzten Generalversammlung (GV) kam es zu heftigen Diskussionen – unter anderem über die grosse Entscheidungskompetenz des Vorstands, dem Forster angehört.

14 Millionen Franken Kapitalertrag

Die SGG wurde 1810 vom Zürcher Stadtarzt Hans Caspar Hirzel gegründet, um die «geistige und materielle Wohlfahrt der Schweizerischen Bevölkerung» zu fördern. In den letzten Jahrzehnten wurde sie von einflussreichen Wirtschaftsvertreter:innen präsidiert, zuletzt von Jean-Daniel Gerber, ehemaliger Direktor des Seco und Verwaltungsrat des Pharmaunternehmens Lonza. Unzählige Projekte hat die SGG schon umgesetzt, etwa den Kauf der Rütliwiese 1859*, die sie bis heute verwaltet. Ihr grösstes Verdienst sind Gründungen verschiedener unabhängiger gemeinnütziger Organisationen, etwa von Pro Juventute, Pro Senectute und der Berghilfe.

Eineinhalb Jahre nach Amtsantritt habe Forster das Organisations­reglement noch nicht vorgelegt.

Heute ist die SGG auch deshalb bedeutend, weil sie reich ist: Sie verfügt über ein Kapital von mehr als hundert Millionen Franken, das hauptsächlich aus Investitionen stammt, etwa in Aktien von Nestlé und des Schweizerischen Bankvereins zu Beginn der 1980er Jahre. Angetrieben hatte die renditegetriebene Investitionspolitik der damalige Vizepräsident Robert Karrer, Mitinhaber der Zürcher Anwaltskanzlei Bär & Karrer. Die finanzielle Erfolgsgeschichte dauert bis heute fort. 2021 erzielte die SGG einen Anlageerfolg von über 14 Millionen Franken. Die Mitgliederbeiträge spülten dagegen gerade einmal 60 000 Franken in die Vereinskasse.

Dem Vereinsvorstand obliegt die Verantwortung für die Finanzplanung und -kontrolle. Dies, seit an der GV 2021 die Statuten entsprechend angepasst wurden – jedoch unabhängig von Forsters Amtsantritt. Dem Vorstand steht es zudem zu, die Geschäftsleitung, die mit der operativen Leitung des Vereins betraut ist, zu ernennen oder abzuberufen.

Von diesen Kompetenzen machte der Vorstand unter dem neuen Präsidenten Forster Gebrauch. Diesen Juni entliess er mit Lukas Niederberger den seit neun Jahren amtierenden SGG-Geschäftsleiter. Nicola Forster sagt, «Differenzen in Führungsfragen» hätten zur ordentlichen Kündigung mit Freistellung und sechsmonatiger Lohnfortzahlung geführt. Aus rechtlichen Gründen dürften dazu jedoch keine weiteren Informationen kommuniziert werden. Niederberger selbst sagt gegenüber der WOZ lediglich, ihm sei schon Mitte April mitgeteilt worden, dass er bei der SGG keine Zukunft mehr habe. Er hätte sich gewünscht, weiterhin inhaltlich für die SGG tätig zu sein, in die er viel Herzblut investiert habe. Daraus sei aber nichts geworden.

Niederbergers Abgang von der Geschäftsstelle war nicht der einzige seit dem Amtsantritt von Nicola Forster. In den letzten zwölf Monaten hätten acht unbefristet angestellte Personen die SGG verlassen, schreibt die Kommunikationsverantwortliche Laura Curau. Allerdings aus verschiedenen Gründen, wie sie betont: Neben drei Pensionierungen habe es drei ordentliche Kündigungen seitens Mitarbeiter:innen gegeben. «Dazu kam die Trennung vom ehemaligen Geschäftsleiter und von einer/m weiteren Mitarbeiter:in.»

Es wurden nicht nur die Abgänge ersetzt, inzwischen sind auch diverse neue Stellen entstanden. 21 Personen sind heute beim Verein angestellt, 8 mehr als noch zu Beginn des letzten Jahres.

Ein grosser Teil davon entfällt auf einen sogenannten «Think + Do Tank » mit dem Titel «Pro Futuris». Das Projekt steht beispielhaft für den neuen Groove, der bei der SGG herrscht. Beschlossen wurde es schon vor Forsters Zeit – als «Sprechsaal der Nation». Daraus wurde nun die erwähnte Denkfabrik. Rund 300 000 Franken investierte die SGG letztes Jahr in das Projekt. 2022 werde dieser Betrag noch etwas höher sein, schreibt Laura Curau auf Anfrage.

Pro Futuris erinnert, nun ja, an ein Politik-Start-up – mit dem entsprechenden Personal. Dazu zählt etwa Ivo Scherrer, der schon «foraus» und die «Operation Libero» mitgegründet hat – gemeinsam mit Nicola Forster. Nicht alle Teammitglieder von Pro Futuris weisen freilich eine Verbindung zum SGG-Präsidenten auf. Doch eine weitere Mitarbeiterin hat zuvor bei «foraus» gearbeitet – zwei weitere hinwiederum für den eher konkurrierenden liberalen Thinktank Avenir Suisse.

«Die Themen, derer sich Pro Futuris annimmt, sind seit jeher Kernthemen der SGG», sagt Forster dazu. Er stellt ausserdem klar, dass er bei der Besetzung der offenen Stellen zwar mitgeredet habe, die Personalentscheide habe aber die Geschäftsleitung gefällt. «Es wurden gezielt Leute mit Thinktank-Erfahrung eingestellt.» Dass er seine eigenen Leute zur SGG geholt habe, weist er entschieden zurück.

Kritik an der Generalversammlung

An der letzten GV bot ein weiteres Projekt der SGG für Gesprächsstoff: die Kampagne #LiebeSchweiz, die letztes Jahr vor der Abstimmung über das Covid-Gesetz lanciert wurde. Rund 200 000 Franken machte der Vorstand dafür locker. Er wollte damit gegen die Spaltung der Gesellschaft aufrufen. Der mit Abstand grösste Teil der Summe entfiel auf Zeitungsinserate. Der Auftrag für die Arbeit an der Kampagne wurde aber zur Hälfte an Farner Consulting, zur anderen Hälfte an die Agentur Digital Organizing vergeben, wie Nicola Forster auf Anfrage offen kommuniziert. Im Geschäftsbericht 2021 wird die Kampagne zwar mehrfach erwähnt, in der Erfolgsrechnung aber nicht separat ausgewiesen, sondern unter «Kommunikation und Publikationen» abgebucht.

Die Kritik: SGG-Vorstandsmitglied Martin Hofer ist auch Mitarbeiter von Farner Consulting. Hinzu kommt ein geringer vierstelliger Betrag, mit der die Arbeit von Nicola Forster selbst vergütet wurde. Die Notwendigkeit der Kampagne habe sich kurz vor der Abstimmung gezeigt, sagt Forster dazu. «Dafür, noch eine grosse Ausschreibung zu machen oder die nächste GV abzuwarten, blieb schlicht keine Zeit.» Vor allem betont er, dass die Kampagne «ein grosser Erfolg» gewesen sei, man habe 35 000 Personen «zum Einstehen für Dialog und Zusammenhalt» mobilisiert.

Mehrere Vereinsmitglieder kritisierten dem Vernehmen nach Forster an der letzten GV im Juni scharf dafür, dass er auch eineinhalb Jahre nach seinem Amtsantritt das vorgesehene Organisationsreglement noch nicht vorgelegt habe. Es brauche verbindliche Regelungen zum Umgang des Vorstands mit den Vereinsfinanzen, etwa hinsichtlich Transparenz, Vergabekriterien und Ausstandsregeln. «Ich hatte im Dezember 2020 einen entsprechenden Entwurf verfasst und dem Vorstand vorgelegt», sagt dazu der entlassene Lukas Niederberger.

Nicola Forster sagt, dass der Vorstand von der Vehemenz der Kritik überrascht gewesen sei – und dass seine Finanzkompetenzen nicht nur in einem Organisationsreglement, sondern übergeordnet in den Statuten geregelt werden müssten, wie dies nun von Mitgliedern beantragt wurde. «Als Vorstand unterstützen wir diese Forderung und möchten die Finanzkompetenzen auf der Ebene der Statuten und folgend in einem Organisationsreglement klären», sagt Forster. Der Antrag wird an einer ausserordentlichen GV im November behandelt.

An der Generalversammlung 2021 schaffte die SGG auch die «Zentralkommission» (ZK) ab. In dieser hatten unter anderem die kantonalen gemeinnützigen Gesellschaften Einsitz. Gemäss den alten Statuten ernannte die ZK die Geschäftsleitung. Sie fasste ausserdem Beschluss über Projekte mit einem Aufwand von mehr als 100 000 Franken und das gesamte Richtbudget der SGG.

* Korrigenda vom 20. Oktober 2022: In der Printversion sowie in der ursprünglichen Onlineversion hiess es, die SGG habe die Rütliwiese 1985 erworben. Tatsächlich hat sie die Wiese 1859 gekauft (für 55 000 Franken).