Model Home: Alles verschwimmt so schön
Model Home aus Washington D. C. haben eine lärmige, uferlose Spielart von Rap erfunden. Am besten klingt das spätnachts im Club.
Man muss sich das so vorstellen: Ein Model Home steht meist an exponierter Stelle an einer Strassenecke einer neu gebauten US-amerikanischen Siedlung. Ein Anschauungsobjekt, in dem potenzielle Käufer:innen ein paar Schritte tun dürfen, sich das bodengeheizte Badezimmer anschauen, die Einbauküche, den sauber umzäunten Vorgarten, meist sind da auch einige innovative Extras – ist es doch dazu da, sich ein Bild zu machen, wie sich das Wohnen in der Siedlung anfühlen könnte. Den Kaufentscheid zu erleichtern.
Das alles hat rein gar nichts mit dieser Band zu tun. Model Home wären wahrscheinlich nicht einmal im Keller eines solchen Häusleins zu finden. Sie kommen von woanders, aus dem Internet, aus dem Club, verwurzelt in Washington D. C. Bestehend aus Pat Cain, zuständig für allerhand elektronisches Gerät – er arbeitet vor allem mit diversen Synthesizern, auch selbstgebauten, mit dem Computer und mit Tape-Aufnahmen –, und Nappynappa, zuständig für die Stimme, ergibt das zusammen eine ziemlich uferlose Spielart von Rap, der sich recht heftig in die Clubmusik verliebt hat.
Wild gewordener Synthesizer
Fest steht, dass das Duo einen unglaublichen Output hat: Das erste Mixtape, «model home», erschien im Juni 2018, es folgten «2», «3», «4» und so weiter bis zur «20», das diesen Oktober herauskam, die meisten mit verwischten oder collagierten Modellzeichnungen von Model Homes auf dem Cover. Sieht schon hübsch aus. Aber falls jetzt irgendwer «Jubiläum» rufen will: Lohnt sich doch nicht bei diesem Tempo – und ausserdem fehlt sowieso die «8», aus unerklärten Gründen. Und dazwischen erschienen auch noch andere Alben, nach der «16» das erste, «One Year» (2020), im Mai und Juni dieses Jahres «Saturn in the Basement» und «A Saturn Companion», zusammen mit einem Fanzine. Erst diese Woche dann das Livealbum «Live at the White Hotel», bestehend aus einem einzigen, langen Track, und ausserdem einige Kompilationen und Kollaborationen mit anderen Künstler:innen.
Wobei Model Home an sich ja schon eine Kollaboration für sich sind, eine sehr fruchtbare dazu. Aber es hat immer Platz für mehr: Für einige Aufnahmen arbeiten Cain und Nappynappa mit der Undergroundgrösse Phew zusammen, einer japanischen Sängerin, die sich seit Anfang der Achtziger im Spannungsfeld zwischen Punk, Noise und Jazz bewegt. Auf dem lustig dahintrabenden «naked intentions» vom Album «Saturn in the Basement» vermischen sich die Stimmen von Nappynappa und Phew mit einem wild gewordenen Synthesizer, man hört kaum, wer wer ist oder sein will.
Weil man anders gar nicht kann
Auf all den Mixtapes oder Alben dieses ausladenden Werks befinden sich jeweils um die zehn Tracks, die mal abgeschlossen wirken, oft aber auch skizzenhaft anmuten. Die auch ein bisschen ineinander verschwimmen – mit dem guten Effekt, dass die von Pat Cain erzeugte Nervosität durch die schnellen Beats und vielen Breaks auf einmal in den Hintergrund rückt. Man hört dann auf, Anfänge oder Enden zu suchen oder die Fäden zu sehr sortieren zu wollen, eher fühlt sich das an wie ein mutiges, brachiales, natürlich auch forderndes Set in einem Club irgendwann spät in der Nacht, auf das man sich eben einlässt, weil man gar nicht mehr anders kann. Cain ist ein Meister der Verzerrung, der falschen Fährten.
Und Nappynappa ist ein virtuoser Rapper. Das hört man auch seinen Soloarbeiten an, wo er einen ebenfalls beeindruckenden Output hat und die etwas näher an klassischem Hip-Hop sind, Anleihen aus dem Mumble- oder Cloudrap und deren vermeintliche Nachlässigkeit in sich tragen. Die Wörter fallen Nappynappa wie zufällig aus dem Mund, ganz schnell nacheinander, er scheint sie mit einer Restverwunderung zu betrachten – dann erinnert die Wut eher wieder an Trap. «Für mich ist Rap eher Sport als Kunst», hat Nappynappa in einem Interview mal gesagt, wegen des so hohen Energielevels. Und obwohl er natürlich auf dem Podest steht, fehlt bei ihm jede Spur von Arroganz oder übertriebenem Stolz.
Worte, Rufe, Silben
Bei Model Home wird seine so bewegliche Stimme zu einem Instrument. Was da genau gesagt wird und gemeint ist? Es bleibt kaum Zeit, sich damit aufzuhalten, schon werden seine Worte, Rufe, Silben zerschnippelt, zerrupft und wieder zusammengesetzt. Da kann es auch sein, dass Cain zwanzig Minuten Rap auf drei runterbastelt, wie er in einem Radiointerview erklärt – eigentlich gehen Model Home also recht ähnlich mit der Stimme um wie mit den elektronischen Geräten, die Cain so hart und präzise beherrscht.
Wenn Model Home live auftreten, entsteht vieles erst beim Spielen auf der Bühne. Ein bisschen erklärt das übrigens auch die vielen Releases, weil einige von ihnen, wie etwa das Mixtape «20», fast ausschliesslich aus solchen nachgebesserten Livetracks bestehen. Das passt gut dazu, wie die beiden ihre Arbeitsweise beschreiben: als Ausdruck «des Potenzials von zwei Personen». Da ist eben nicht einfach einer, der die Beats macht, und ein anderer, der darüberrappt. Vielmehr ein Hin und Her, ein Zuwerfen, ein gemeinsames Erspinnen von Ideen. Es kann schliesslich alles ein Spielzeug sein.
Jüngste Releases von Model Home: «Live at the White Hotel», 2022, Disciples. «20», 2022, ohne Label. «A Saturn Companion», 2022, Disciples. «Saturn in the Basement», 2022, Disciples.
Live: Samstag, 22. Oktober 2022, 00.15 Uhr, Salle des Fêtes, am Lausanne Underground Film & Music Festival (vgl. «Lieber einfach Lärm»).
Festival in Lausanne : Lieber einfach Lärm
So richtig wollte sich der Ruf dieses so eigenwillig kuratierten Festivals noch nicht in der Deutschschweiz verbreiten. Dabei findet dieses Jahr schon die 21. Ausgabe des Lausanne Underground Film & Music Festival (Luff) statt: Musik, Film und Workshops an verschiedenen Orten in der Lausanner Innenstadt, ausserdem immer auch ein Programm, das ohne Festivalpass besucht werden kann.
Die etwas abgegriffene Bezeichnung «experimentell» verstehen die Macher:innen, so schreiben sie im Editorial zum Musikprogramm, weniger als Genrebezeichnung denn als Grundeinstellung: keine moralischen oder politischen Festivalprogramme, lieber einfach Lärm. Das ist natürlich kokett, schliesslich ist gerade auch ein so nischig zusammengestelltes Programm durchaus als politisch zu verstehen. Neben Model Home spielen dieses Jahr etwa die Deli Girls aus New York mit ihrem feministischen Emo-Noise, die Measure Maniacs aus Glasgow, die auf eine menschliche Sprache gänzlich verzichten und nur noch mit Instrumenten kommunizieren wollen, oder Yeah You: Das Elektro-Noise-Duo aus Newcastle besteht aus Vater Gustav Thomas und Tochter Elvin Brandhi, die den grössten Teil ihrer Musik während Autofahrten aufnehmen, auch mal spontane Strassenkonzerte spielen und das alles in ziemlich lustigen Videos verarbeiten.
Viel Sex derweil im Filmprogramm, ausserdem ein Fokus auf Körper und Identitäten: «Seeds» von Andy Milligan oder «Thundercrack!» von Curt McDowell erkunden die Möglichkeiten von Camp, also absichtlich überdrehter Ästhetik. Zwei Retrospektiven widmen sich ausserdem Filmemacherinnen: Gezeigt werden Werke der bulgarisch-österreichischen Künstlerin Mara Mattuschka, die viel mit ihrem eigenen Körper an der Schnittstelle zwischen Performance und Film gearbeitet hat, sowie der New Yorker Filmemacherin Roberta Findlay, die sich in den siebziger Jahren mit Filmen im Sexploitation-Genre einen Namen gemacht hat. Beide werden am Festival anwesend sein.
Lausanne Underground Film & Music Festival, noch bis Sonntag, 23. Oktober 2022, verschiedene Spielorte in Lausanne. Infos unter 2022.luff.ch.