Von oben herab: Rendezvous
Stefan Gärtner über Läckerli, Pro Schweiz und harte Neutralität
Es ist ja gar nicht wahr, dass kritischer Kolumnismus nichts oder nur Unerwünschtes bewirke, indem er den Affekt des Widerstands kathartisch in intellektuellen Selbstgenuss umleitet und die Verhältnisse sogar stabilisieren hilft, die ja so schlimm nicht sein können, wenn sie kritischen Kolumnismus erlauben. Gerade einmal sechs Jahre ist es her, dass ich mich an dieser Stelle ärgern musste, dass die blochersche «Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz» keine für eine neutrale und unabhängige war, damit, etwa aus Anlass einer General- oder auch Gründungsversammlung, Schlagzeilen möglich würden wie «Anus-GV in Winterthur» – und schon wird aus Auns die Organisation «Pro Schweiz», in der sich drei «Anti-EU-Vereinigungen» (watson.ch) zusammengeschlossen haben, um, so hiess eine der Vereinigungen denn auch, ihr «Nein zum schleichenden EU-Beitritt» zu untermauern.
«Orgasmusschwierigkeiten sind naturgemäss Frauensache.»
«Pro Schweiz» ist natürlich erheblich schwächer als Auns. Auf der Buchmesse traf ich am Freitag meinen lieben Kollegen Mark-Stefan Tietze, der ein grosser Fan der Band Turbonegro ist. Ich bin es nicht, schätze aber trotzdem deren Songtitel «Rendezvous with Anus». Das Internet hält den Songtext bereit: «Alright, I really want it / Oh yeah, I gotta have it», und wie passend wäre das als Eröffnungshymne bei der Anus gewesen! Die das doch wirklich braucht und haben will, die geile und harte Neutralität, denn bei der EU, da leben die Schleicher und Weichlappen, einerseits; andererseits ist es vielleicht genauso geil, von EU-Recht geknebelt und gegängelt zu werden, nein? Oh, gib es mir, Brüssel! Leg mich an die ganz kurze Kette! Führe mich vor und demütige mich mit absurden Rechtsvorschriften!
Derlei finden Christoph Blocher und Neupräsident Stephan Rietiker aber nur pervers, ja ekelhaft. Sie mögen auch die Sexualität am liebsten, wenn sie schön neutral vonstattengeht, als gleichberechtigtes Zusammenspiel von Mann und Weib, wobei «Gleichberechtigung» in diesem Zusammenhang zuallererst heisst zu respektieren, dass Orgasmusschwierigkeiten naturgemäss Frauensache sind und man der «schönsten Nebensache der Welt» (Adolf Musch) nicht mehr als zwei Minuten widmen muss. Adolf Hitler war eben darum erst gar nicht verheiratet, denn seine Braut war Deutschland, das er, kaum war er Kanzler, glücklich in die Neutralität geführt hat, um den schleichenden Beitritt zum Weltjudentum zu unterbinden.
Jedenfalls ist der Songtitel «Rendezvous with Pro Schweiz» keiner, den man sich wünschen müsste, und trotzdem haben Blocher und Rietiker unbedingt recht: Grossbritannien ist ja neuerdings EU-neutral, und wie herrlich blüht das Land! Russland ist die Neutralität der Ukraine sogar so wichtig, dass es dafür Leute in die Luft sprengt, und «überhaupt sieht Blocher Pro Schweiz als Kampforganisation» (watson.ch). Wie lange wirds dauern, und er tritt nur mehr im olivgrünen T-Shirt auf, freilich ohne den Westen um Hilfe zu bitten?
Ich bin bekanntlich ebenfalls pro Schweiz und schon darum nicht recht lustig, das Etikett den Tubeln zu überlassen. Mehrere Kilo Läckerli hab ich mir am Wochenende aus Basel mitgebracht, wo ich an einer Geburtstagsfeier war, und derart pro Schweiz bin ich mittlerweile, dass ich tatsächlich «an» der Feier war und nicht «auf». Aus medizinischen Gründen muss ich in den nächsten Tagen auf alles verzichten, was, Rendezvous with Anus!, ein Endoskop erblinden lassen kann, und da in den Läckerli womöglich Mandelschalenreste stecken, hab ich erst mal nichts davon; doch das Ziel heisst glasklare Neutralität im Unterbauch, und der Schriftsteller Heinz Strunk fastet darum dreimal im Jahr. Es muss ein tolles Gefühl sein, diese Autarkie, nichts von aussen zuzulassen und ganz und gar für und bei sich zu sein. Was im nationalen Fall allerdings heissen kann, nicht ganz bei Trost.
Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.
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