Asylsuchende: Die Schweiz hat Platz

Nr. 44 –

«Sie flüchten in die Schweiz, doch Platz ist hier kaum mehr vorhanden.» So steigt der «Blick» in einen Bericht über Geflüchtete ein, die unter prekärsten Bedingungen leben müssen, zusammengepfercht in einem unterirdischen Bunker. Der Bericht soll anrühren. Und festigt gleichzeitig die zynische Erzählung, die derzeit wieder überall bemüht wird: Man sei am Anschlag. Die Kapazitätsgrenzen seien erreicht, es habe «kaum mehr Platz».

Was stimmt, ist: Derzeit flüchten so viele Menschen in die Schweiz wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr; neben den Menschen aus der Ukraine gelangen seit dem Sommer auch wieder vermehrt Geflüchtete aus anderen Kriegs- und Krisengebieten ins Land, etwa aus Afghanistan, Syrien oder der Türkei. Das Staatssekretariat für Migration rechnet für das gesamte Jahr mit mindestens 80 000 Geflüchteten aus der Ukraine und etwa 24 000 aus anderen Regionen. Was sicher nicht stimmt: dass die reiche Schweiz dies nicht verkraften würde.

Geflüchtete werden als potenziell gefährliche Sondergruppe wahrgenommen.

Die aktuelle Situation lässt sich besser verstehen, wenn man zurückblickt: Als die Schweiz 2015 zuletzt mit relativ hohen Asylzahlen konfrontiert war, schürte die SVP auf dem Rücken der Geflüchteten Ressentiments und gewann nach einer kurzen Welle der Solidarität mit Hetze und Ausländer:innenhass im Herbst die nationalen Wahlen. Die Schweizer Asylpolitik lässt sich seit über zwei Jahrzehnten als ein Kuschen vor den Rechtspopulist:innen zusammenfassen. Geflüchtete werden als potenziell gefährliche Sondergruppe wahrgenommen – die vom Rest der Landesbewohner:innen möglichst abgeschottet werden muss.

Davon zeugt das repressive System der Bundesasylzentren, die mit der letzten Asylgesetzrevision 2019 eingeführt wurden. Die Zentren brachten den Geflüchteten, die während des Asylverfahrens in der Regel dort bleiben müssen, den Fortschritt beschleunigter Verfahren. Gleichzeitig wurden jedoch die Rekursfristen verkürzt. Zudem gleichen die Zentren Gefängnissen. Die Asylsuchenden werden ständig überwacht, dürfen sich nicht frei bewegen; mehrfach wurde in Unterkünften Gewalt durch Sicherheitsleute nachgewiesen.

Dass im laufenden Jahr die Solidarität bislang nicht in Ressentiments gekippt ist, obwohl bereits doppelt so viele Menschen angekommen sind wie im gesamten Jahr 2015, hat viel damit zu tun, wo bislang die meisten der Geflüchteten herkamen und wie sie aussehen. Ukrainer:innen müssen kein Asylgesuch stellen, sondern erhalten automatisch den Schutzstatus S. Sie dürfen, sofern sie einen Job finden, sofort arbeiten und müssen nicht monatelang in abgeschotteten Bundesasylzentren leben. Ein Grossteil der Ukrainer:innen kommt bei Privatpersonen unter, die sich bereit erklärt haben, sie aufzunehmen. Die Solidarität mit den Ukrainer:innen ist längst nicht perfekt, doch bringt sie zumindest eine vage Idee davon zurück, wie eine Flüchtlingspolitik aussehen könnte, die auf Humanität baut.

Wer derzeit davon spricht, das Land sei bald voll, sollte einmal durch die Villenquartiere der Zürcher Goldküste spazieren und nach Zug fahren, um die Briefkästen der Rohstofffirmen zu zählen, die mit Wladimir Putins Öl den Reichtum erwirtschaften, den die Rechten vor den Geflüchteten verteidigen zu müssen glauben. Die Menschen, die zurzeit wieder vermehrt in der Schweiz ankommen, stammen aus Weltregionen, die teils seit Jahrzehnten in Krieg und Terror versinken. Doch für sie hat man ein System gebaut, das möglichst abschrecken soll und dessen Ausbau mit enorm viel Bürokratie verbunden ist. Das Staatssekretariat für Migration will nun die Kapazitäten in den Bundesasylzentren von derzeit 8726 auf 9500 Plätze ausbauen und nimmt die Kantone vermehrt in die Pflicht.

Was es stattdessen dringend bräuchte: viel mehr Mittel. Endlich einen Kurswechsel. Abschreckungspolitik und Repression dürfen nicht die Schweizer Reaktion auf diese Welt sich überlappender Krisen sein, Bunker nicht die Antwort.

Artikel zum Thema in der gleichen Ausgabe: «Rückschaffungszentrum Gampelen: Nesurasa Rasanayagam kam nicht mehr zurück»