Kost und Logis: Dunkel und stickig

Nr. 44 –

Karin Hoffsten lernt den neuen Gotthardbasistunnel kennen

Nach langer Zeit mal wieder Ferien im Tessin, viel Betrieb im Eurocity, wir landen im Familienabteil, um uns herum gut gelaunte Familien mit Kindern vom Säugling bis zum Teenie. Um ein Getränk zu besorgen, steht zu viel im Weg, aber nach Bellinzona sinds ja nur noch anderthalb Stunden ­– dank neuster Technik ein Katzensprung.

Um 12.59 Uhr hält mitten in einem Tunnel der Zug. Züge halten immer mal wieder, seis auf offener Strecke oder im Tunnel. «Noch dreizehn Minuten bis Bellinzona», sage ich zu meinem Begleiter. Nach zehn Minuten steht der Zug immer noch, er steht auch noch nach zwanzig Minuten. Schliesslich teilt eine beruhigende Männerstimme mit, man habe eine Störung, arbeite kräftig an deren Behebung, könne aber leider noch nicht sagen, wann es weitergehe. Okay. Eltern spielen mit ihren Kindern, Erwachsene schauen ins Handy oder in ihr Buch. Ab und zu flackert das Licht.

Nach weiteren zwanzig Minuten heisst es, man könne die Störung leider nicht beheben, aber es komme ein anderer Zug, der unseren rausziehen werde. Die Stimme sagt noch: «Jetzt kommt grad ein Wagen von Schutz und Rettung» – und dann ist Schluss. Der Strom ist ausgefallen und damit auch Lautsprecher, Licht und Klimaanlage. Zum Glück neige ich nicht zu Klaustrophobie, aber ich stelle mir vor, wie es jetzt Menschen geht, die darunter leiden.

Eine Stunde später werden wir am Zielort erwartet. Ich will Bescheid sagen, aber mein Handyakku ist leer. Aufladen geht nicht, weil ja kein Strom aus der Steckdose kommt. Ein Mitreisender leiht mir sein Gerät. Die Lampen im Tunnel werfen einen gelblichen Schein in den Zug; wer noch Strom hat, leuchtet den Kindern mit dem Handy auf ihre Spiele. Niemand regt sich auf. Nur die Luft wird immer mehr zum Problem, zum Schneiden dick regt sie bedrohliche Gedanken an. «Wie lange hier wohl noch der Sauerstoff reicht?», fragt sich mein Begleiter, und ich bekomme Kopfweh.

Ein paar Passagier:innen laufen durch den Zug und bringen Gerüchte mit: Man könne die Bremsen nicht lösen, wir würden evakuiert. Eine junge Zugbegleiterin eilt vorbei, ja, das stimme, aber sie wisse auch nicht mehr. Ungefähr um 15 Uhr verdichtet sich das Gerücht: Wir sollen aussteigen.

Auf dem schmalen Bahnsteig weiss zuerst niemand, wohin es geht. Als aus weiter Ferne über dem Lärm irgendwas gerufen wird, wählt man diese Richtung. Und so ziehen, wie einst das Volk Israel ins Heilige Land, rund 800 Menschen mit Sack, Pack und Kinderwagen an der Tunnelwand entlang, bis ein Durchgang zu einem Paralleltunnel führt, in dem ein leerer Zug wartet. Erst dort lösen sich die Zungen, wird die Angst zum Thema. Mulmig war es allen. Als wir nach einigen Minuten endlich wieder Tageslicht sehen, ist es 16 Uhr.

Als tröstliches Fazit bleibt: Viele Menschen sind sehr hilfsbereit! Aber bezüglich Evakuationen sollte die SBB vielleicht noch ein paar Trainings ansetzen, im Fokus: die Kommunikation.

Nie mehr ein böses Wort über die SBB wolle sie hören, schrieb Karin Hoffsten in ihrer letzten Kolumne. Das schliesse ja die Benennung von Tatsachen nicht aus, ergänzt sie heute.