Wichtig zu wissen: Zumbrunnen, bis er bricht

Nr. 44 –

Ruedi Widmer über Übernahmen und orange Fürstentümer

Saudi-Arabien übernimmt die Credit Suisse, Elon Musk Twitter und sich selber. Und die Schweiz übernimmt wie 130 andere Staaten die OECD-Mindeststeuer von fünfzehn Prozent, die international tätige Firmen mit einem Umsatz über 750 Millionen Franken betrifft (das sind 2000 in der Schweiz) und die für die Volkswirtschaften ruinöse Steuervermeidung verhindern soll. Die 600 000 national tätigen KMUs sind nicht betroffen. Gegen das bürger- und gewerbefreundliche Gesetz ist nur die Bürger- und Gewerbepartei SVP, deren Maurer Ueli sagt: «Ein Angriff auf das Tiefsteuerland Schweiz.»

Doch die Fürsten fanden: Meine Region fürst!

Auch die Migros hat sich übernommen. Unsere nationale Lebensmittelversorgungsanstalt (Umsatz 2021: immerhin 28,9 Milliarden Franken) hat markante Gewinneinbussen erlitten. Migros-Chef Fabrice Zumbrunnen trat zurück, weil die zehn regionalen Genossenschaften der Migros, die von sogenannten Regionalfürsten regiert werden, partout nicht machten, was der Migros-Chef wollte. Dieser befahl nämlich, die Genossenschaften sollten beim Wareneinkauf zusammenarbeiten. Doch die Fürsten fanden: Meine Region fürst! Einer wie Putin hätte da wohl gewaltsam mit Sonderaktionen (Fischstäbchen 2.90 statt 9.50 Franken) durchgegriffen, aber der hat kein Interesse am Lebensmittelhandel, wie er mit der Aufkündigung des Getreideabkommens jüngst wieder bewiesen hat. Wer nur Kaviar isst, braucht kein Brot.

Mir tut Zumbrunnen leid, denn ich bin klar auf seiner Seite. So viel Autonomie ich den ehemaligen GUS-Republiken gegenüber Russland wünsche, so wenig Verständnis habe ich für Fürstentümer, Kantone und dergleichen (Kantaten, Kanonen). Dezentralisierung ist nicht immer gut, vor allem in der kleinen Schweiz nicht, wenn an jeder Weggabelung wieder ein anderer Regionalfürst mit seinen eigenen Gesetzen und Ungesetzen lauert. Die Kleinheit unseres Landes prägt unser Denken und führt auch dazu, dass wir grosse Länder generell kleiner einschätzen, als sie sind. Für viele Schweizer sind Donezk, Luhansk und die Krim ungefähr gleich gross wie die Innerschweiz plus die Petersinsel im Bielersee. Deshalb finden sie auch, die Ukraine soll doch nicht so ein Geschiss wegen ein paar Landstrichen machen. Wir haben den Kanton Zug schliesslich auch an Russland verloren. Und Uri auch (Suworow).

Das Kleine und Kleingeistige der Schweiz ist aber wiederum klimafreundlich. Wenn wir eine andere Landschaft wollen (Tourismus), müssen wir nur schwuppdiwupp um den nächsten Hügel gehen, und schon sind wir komplett woanders. Meist reicht dafür das Fahrrad, wogegen man in grösseren, gleichförmigeren Ländern wie der Ukraine schnell mal ein Auto braucht, um innerhalb eines Tages nur schon bis zum nächsten Weizenfeld zu gelangen. Die Ukraine ist das zweitgrösste Flächenland Europas.

Item, wie Kenner:innen der Lebensmittelbranche sagen, wirke sich bei der Migros der Umbau der grossen Filialen in den Einkaufszentren negativ auf das Betriebsergebnis aus. Diese zeichnen sich neu durch ukrainegrosse Leerflächen zwischen den Gestellen aus, damit die Kundschaft ihr Einkaufserlebnis zwischendurch verarbeiten kann.

Kleine Migrosse sind da viel schweizerischer, denn wenn man nur schon um die Ecke beim Brotgestell geht, gelangt man bereits in eine völlig andere Einkaufslandschaft, nämlich zum Milchgestell. Das wirkt sich positiv auf die Einkaufsdauer aus und erhöht erst noch den Umsatz pro Quadratmeter. Das müsste jedem Betriebswirtschafter auffallen, sei er nun Zumbrunnen oder ein Regionalfürst. Und die Fünfzehn-Prozent-OECD-Mindeststeuer kann die Migros dann aus der Portokasse bezahlen.

Die Migros muss in Schweizer Hand bleiben, notfalls auch in jener der Regionalfürsten, selbst wenn die zum Brunnen gehen, bis er bricht. Sie darf keinesfalls ins Wüstentum Saudi-Arabien verkauft werden.

Interessenbindungen des Autors: problematisch. Ruedi Widmer ist befangen, weil er Vegifischstäbli aus der Migros sehr mag.