Bürgerliche Weltsicht: Der Unfug von der «Klima-RAF»

Nr. 45 –

In Deutschland müssen Klimaaktivist:innen präventiv hinter Gitter. Ähnlich autoritäre Träume hegen auch hiesige Bürgerliche.

Eine Debatte auf Abwegen, ein Staat im autoritären Fieber: In Deutschland ist gerade anschaulich zu beobachten, wie sich die bürgerliche Gesellschaft radikalisiert. Stein des Anstosses sind die Aktionen der Letzten Generation, die mit ihren Strassenblockaden und Suppenwürfen seit Wochen die Gemüter erhitzt.

Der wohl sichtbarste Ausdruck der medialen wie realpolitischen Eskalation ist dabei eine Episode aus Berlin von letzter Woche: Diverse Medien brachten den tragischen Unfalltod einer Velofahrerin vorschnell mit einer Blockade der Letzten Generation in Verbindung. «Das ist eure Schuld!», titelte etwa das Springer-Blatt «Bild». Obwohl unter anderem die behandelnde Notärztin den Zusammenhang zwischen den Ereignissen verneinte, waren die Meinungen schnell gemacht – so manche schienen nur darauf gewartet zu haben, den unbequemen Protest zu delegitimieren.

SVPler fordern, Protest wie jenen von Renovate Switzerland «mit aller Härte» zu bestrafen.

Wenig überraschend hatte der mediale Diskurs Einfluss auf die Realpolitik. Der rechte Hardliner Alexander Dobrindt (CSU) etwa fantasierte von der Entstehung einer «Klima-RAF» und forderte «Knast statt Geldstrafen». Und der hessische CDU-Justizminister schlug vor, Klimaaktivist:innen künftig wegen Terrorismus anzuklagen.

Die Behörden in Bayern waren da schon einen Schritt weiter. In München müssen Aktivist:innen der Letzten Generation für dreissig Tage präventiv in Haft – ohne dass es einen Prozess gegeben hätte. In der Geschichte der Bundesrepublik ist das ein besorgniserregendes Novum, möglich gemacht durch das bayerische «Polizeiaufgabengesetz». Es erlaubt, Menschen «zur Abwehr von Gefahr» zweimal für bis zu dreissig Tage in Haft zu nehmen. Verschärft wurde das Gesetz vor fünf Jahren mit Verweis auf islamistische «Gefährder».

Die Debatte dürfte aufmerksamen Beobachter:innen hiesiger behördlicher Entgleisungen bekannt vorkommen: Auch Exponent:innen der SVP fordern, Protest wie jenen der Gruppe Renovate Switzerland «mit aller Härte» zu bestrafen. Zwar steht dem Schweizer Staat die Massnahme der Präventivhaft aktuell nicht zur Verfügung. Doch mit dem «Polizeimassnahmengesetz» (PMT), das im Juni in Kraft getreten ist, haben sich die Behörden ein repressives Instrumentarium geschaffen. So gilt schon die «Verbreitung von Furcht und Schrecken» als «terroristische Aktivität», die mit einem ganzen Arsenal an präventiven Massnahmen – von Pflichtgesprächen bis zum Hausarrest – geahndet werden kann.

Die PMT-Gegner:innen hatten im Abstimmungskampf vor der Einstufung von Klimaprotest als «Terrorismus» gewarnt; von den Behörden waren ihre Befürchtungen aber stets als «alarmistisch» abgetan worden. Wie schnell aus einem Sitzstreik eine «staatsgefährdende Aktion» wird, zeigt nun der Blick ins Nachbarland. Und geht es nach dem Willen der SVP (und ihrer Unterstützer:innen von FDP und Mitte), ist auch die Einführung der Präventivhaft bloss eine Frage der Zeit.

Immer wieder brachte die Rechte die Massnahme in den letzten Jahren aufs Tapet; erst vor wenigen Wochen hiess die nationalrätliche Sicherheitskommission eine entsprechende Initiative des Zürcher SVP-Hardliners Mauro Tuena gut, wenn auch knapp. Dabei hatten Expert:innen wiederholt betont (und in juristischen Gutachten belegt), dass ein solcher Freiheitsentzug gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstösst.

Ob die präventive Inhaftierung der Aktivist:innen in Bayern oder der Ruf nach immer weiteren Verschärfungen hierzulande – letztlich sind das Ablenkungsmanöver: Statt die Umweltzerstörer:innen zu ahnden, werden lieber jene zur Gefahr stilisiert, die auf die Zerstörung hinweisen.

Über den Vorstoss der SVP wird demnächst das Parlament befinden. Bleibt zu hoffen, dass die Schweizer Bürgerlichen nicht ähnlich autoritären Versuchungen erliegen wie ihre deutschen Kolleg:innen.