Auf allen Kanälen: Auf eigene Faust

Nr. 46 –

Wenn gesunde Skepsis zum zerstörerischen Zweifel wird: Verschwörer wie Kryptoanlegerinnen propagieren, man müsse die Wahrheit selber herausfinden. Was bedeutet das für den Journalismus?

Symbolbild: stilisiertes Bild eines Mikroskop-Binokular

Mach deine eigenen Recherchen, do your own research, das Englische chic eingedampft zu DYOR. Klingt unschuldig als Slogan. Und doch ist der Satz zum geflügelten Wort unter Verschwörungstheoretikern und anderen Raunerinnen geworden. Kürzlich etwa nach dem Anschlag auf Paul Pelosi, den Gatten der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses. Kein schwieriger Fall, möchte man meinen. Der Täter war bald als Rechtsextremer identifiziert, als Trumpist und Verbreiter von Verschwörungstheorien. Er hatte es auf die Politikerin der Demokrat:innen abgesehen – die nicht da war, als er, ihren Namen rufend, ins Haus eindrang. Doch in Kürze wurden ganz andere Versionen laut: Der Täter sei in Wahrheit ein Linksextremer, ein «Hippie-Nudist». Oder: Es sei gar niemand eingebrochen, Pelosi sei von seinem Sex Worker attackiert worden. Je absurder die Theorie, desto erfolgreicher, so schien es.

Die Zündler:innen, zu denen auch Journalisten und republikanische Politikerinnen gehörten, stacheln das Publikum an, eigene Recherchen anzustellen. Für fast jede Behauptung lassen sich heute im Netz «Belege» finden. Und wenn sich aus solchen Privatrecherchen am Ende auch keine handfeste Alternative herausschält, so lassen sich doch an der offiziellen Version Zweifel säen. Eine Parallelwahrheit wird geschaffen, geformt aus einem Zuviel an ideologisch befeuertem Drauflosrecherchieren in trüben Datenquellen. Von aussen betrachtet wirkt dieses Paralleluniversum womöglich völlig irr, von innen kann es trotzdem logisch erscheinen; siehe Donald Trumps nachhaltige Lüge vom «Wahlbetrug».

Mutwillige Recherchefaulheit?

Weiterhin gibt es aber auch ein Zuviel an vorschnellen Gewissheiten. Nehmen wir die von einem Lastwagen totgefahrene Radfahrerin in Berlin. Da sich in der Nähe des Unfallorts Klimaaktivist:innen auf die Strasse geleimt und den bereits stockenden Morgenverkehr weiter behindert hatten, war für viele sofort klar: Die Demonstrant:innen haben den Tod der Radfahrerin in Kauf genommen, gar verschuldet. Vom fatalen Lastwagen war meist keine Rede mehr.

Und obwohl die Notärztin vor Ort bei der Untersuchung klar angab, die Proteste hätten auf Leben oder Tod der Radfahrerin keinen Einfluss gehabt, wird weiterhin ein Zusammenhang behauptet: «Klimakleber gefährden Menschenleben», titelt etwa die NZZ, Seite an Seite mit der «Bild»-Zeitung: «Radfahrerin (44) hirntot: Das ist auch eure Schuld, ihr Klima-Kleber!» Mutwillige Recherchefaulheit oder einfach ideologische Voreingenommenheit, nachdem man die Klimaaktionen zuvor bereits wochenlang verunglimpft hat?

Die kleine Investigativplattform «Übermedien» sticht NZZ und Co. locker aus mit ihrer abwägenden Recherche zum «politisch-medialen Überbietungswettbewerb», in dem Möglichkeiten zu Tatsachen wurden: Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass ein Klimaprotest dereinst eine Rettungsaktion behindere. Man müsse sich aber auch fragen, warum das nie Thema gewesen sei, als etwa Bauern mit ihren Traktoren die Strassen blockiert hätten.

Ohne Autorität

Eine Ausstellung in der Zürcher Kunsthalle, die selber den Titel «DYOR» trägt, hat zwar keine Lösung zum Rechercheproblem parat, zeigt aber auf, wo der Slogan ebenfalls Konjunktur hat: im viel diskutierten, kaum durchschaubaren Universum der Kryptowährungen. Diese sind dezentral konstruiert. Es gibt also keine Autorität, keine an einem Ort gebündelte Verantwortung. Anleger:innen werden angehalten, selbst zu recherchieren, sich nicht auf Finanztipps im Netz zu verlassen. Die Ausstellung zeigt dezentral organisierte Gebilde eher als Chancen denn als Bedrohungen – auch für darbende Künstler:innen – und bleibt so knapp hoffnungsfroh. Kann es selbstorganisierte Schwarmintelligenz in autonom wuchernden Netzwerken richten?

Die zaghafte Schlussfolgerung für die Welt ausserhalb digitaler Kunstwerke und Schaltkreise: Eine Dezentralisierung der Wahrheitsfindung ist an sich wohl weder gut noch schlecht. Recherchieren ist so oder so eine meist mühevolle, vor allem unspektakuläre Kleinarbeit, selten eine aufregende Schatzsuche. Man muss dabei abwägen, welche Quellen verlässlich sind, welche Vorurteile eine ergebnisoffene Wahrheitsfindung verzerren. So lassen sich Fake News weiterhin ganz gut von Fakten scheiden.