Autobahnen : Schwungvoll gegen Strassen

Nr. 46 –

Dank eines kollektiven Efforts wurde sie gerade vor der Insolvenz gerettet, die geschichtsträchtige St. Galler Genossenschaftsbeiz Schwarzer Engel. Die drei, die sich an diesem Abend hier treffen, wollen ein weiteres Stück Stadt retten. Léonie Schubiger, Peter Olibet und Florim Sabani haben vor kurzem den Verein «Gegen den Autobahnanschluss beim Güterbahnhof» mitgegründet. Und sie können einen ersten Erfolg feiern: Letzte Woche hat sich das St. Galler Stadtparlament gegen den Anschluss ausgesprochen, der dereinst einen Teil des Verkehrs der Autobahn A1 mitten in der Stadt ausspucken soll – auf dem letzten grossen freien Areal im Zentrum. Die Stadt solle sich beim Kanton und beim Bundesamt für Strassen (Astra) gegen den Autobahnanschluss zur Wehr setzen: Dieses Postulat hat das Stadtparlament überwiesen.

Der St. Galler Beschluss ist ein wichtiges Zeichen für die Bewegung gegen Autobahnen.

«Hoffentlich ist das der Auftakt für eine neue Erzählung», sagt SP-Stadtparlamentarier Olibet. Die alte Erzählung, die Mitte-Rechts seit letzter Woche unermüdlich wiederholt, lautet: Die Bewegung gegen den Autobahnanschluss hat 2016 eine Abstimmung verloren; was sie jetzt macht, ist Zwängerei. «Aber den Klimastreik gibt es erst seit 2018. Er hat in vielen Köpfen etwas verändert», sagt Klimaaktivistin Schubiger. Sie hat gerade die Matura hinter sich; 2016 war sie erst dreizehn.

Verhindert ist der Autobahnanschluss allerdings noch lange nicht. Die Stadtregierung stehe weiterhin hinter dem Projekt, liess der parteilose Baudirektor Markus Buschor umgehend verlauten. Gleich tönt es beim Kanton. Und doch ist der Parlamentsbeschluss ein wichtiges Zeichen für die Bewegung gegen Autobahnen. Sie hat in den letzten Jahren in der ganzen Deutschschweiz an Schwung gewonnen, sich immer besser vernetzt. In Biel gelang es ihr, die Westast-Stadtautobahn zu verhindern. In der Stadt Luzern wurde ein Teil des Autobahnausbaus an der Urne versenkt (siehe WOZ Nr. 6/22). Vor einem Jahr lud die SP St. Gallen Aktivist:innen aus beiden Städten ein, um von ihren Erfahrungen zu lernen. «Die Begegnung hat uns Mut gemacht», sagt Olibet. Dass die St. Galler:innen einen parteiunabhängigen Verein gegründet haben, ist eine Konsequenz aus dem Treffen. «Wir wollen eine lebenswerte Stadt – das ist doch nicht nur ein linkes Anliegen», sagt Forstingenieur Sabani, der gleich oberhalb des Areals wohnt, wo der Verkehr aus dem Boden kommen soll.

Was die Bewegung auszeichnet: Sie setzt auf allen Ebenen an – parlamentarisch, aktionistisch, juristisch. Die in früheren Jahrzehnten verbreiteten Grabenkämpfe scheinen Geschichte; Léonie Schubiger etwa ist im Klimastreik, in der Juso und im VCS aktiv. Radikaler Pragmatismus kann sich lohnen: Die Bieler Westast-Gegner:innen arbeiteten einen detaillierten Gegenvorschlag zum offiziellen Bauprojekt aus – so konnte niemand mehr sagen, es gebe keine Alternative.

Anfang 2022 haben sich verschiedene lokale Gruppen zur Bewegung «Verkehrswende Jetzt!» zusammengeschlossen. Es gibt weiterhin viel zu tun: in Basel gegen den Rheintunnel, in Bern gegen den Ausbau des Anschlusses Wankdorf und der A1 beim Grauholz, in Luzern gegen den sogenannten Bypass – die Liste ist längst nicht vollständig.

Das «St. Galler Tagblatt» empört sich über die Opposition gegen den Autobahnanschluss: «Der motorisierte Individualverkehr wird zunehmen.» Als wäre das ein Naturgesetz. Aus der übervollen Strassenkasse des Bundes fliesst weiterhin Geld, als hätte noch niemand vom Klima gehört; dauernd müssen neue «Engpässe beseitigt werden». Das Argument, mit der Elektrifizierung sei das Auto rehabilitiert, überzeugt nicht: Elektroautos sind alles andere als klimaneutral; zudem sorgen sie genauso wie Benziner für die Zubetonierung der Landschaft und für verstopfte Städte. In kaum einem Bereich verhält sich die Gesellschaft so irrational, wie wenn es ums Auto geht.

«Weniger Autos: Das muss das Ziel der Politik sein», sagt Léonie Schubiger. Und Florim Sabani ergänzt: «Die Klimakrise muss in jede Entscheidung einfliessen, sei sie noch so klein – oder so gross.»

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Kommentare

Kommentar von Axel H Schubert

So., 20.11.2022 - 11:16

wen es wundert, warum der Bund in seinen Kosten-Nutzen-Berechnungen - die wichtige Entscheidgrundlage in den Parlamentskammern sind - darauf kommt, die Autobahnausbauprojekte seien bzgl. Klima nicht so relevant, die*der hat vielleicht Interesse an einer Methodenkritik, die ich zur Vernehmlassung verfasst habe:

https://klimaverantwortungjetzt.ch/rheintunnel-basel-und-step-nationalstrassen-klimapolitisch-schoengerechnet/

Fragwürdige Reise- & Zuverlässigkeitsgewinne wichtet das ASTRA fast 10 mal so stark, wie "Klima". Wo juristisch gegen solch anachronistische Projekte vorgegangen wird, unbedingt prüfen, ob auch auf dieser Methodenebene!

Kommentar von TheoS

Mo., 21.11.2022 - 16:54

Vielen Dank für den Artikel, bin mit allem einverstanden. Auch die Schlussfolgerungen von Axel Schubert scheinen mir plausibel. Um die Klimaziele zu erreichen müssen die Anzahl Fahrten und Fahrzeuge oder ihre Geschwindigkeiten und Gewichte reduziert werden. Ob eher der erste oder der zweite Weg zum tragen kommt: es braucht keine neuen Autobahnen.
Die Regierungen von den Gemeinden bis zum Bundesrat wissen dies, handeln aber gegenteilig und machen der Bevölkerung falsche Versprechen.