Bundesratswahl: Elisabeth wer?

Nr. 46 –

Die aufregendste Bewerbung für die Bundesratsnachfolge der SP ist jene von Elisabeth Baume-Schneider. Jetzt muss die jurassische Ständerätin bloss noch bekannter werden.

Bundesratskandidatin Elisabeth Baume-Schneider vor dem Haupteingang des Bundeshauses
«Ich bin gegen die Macht, wenn sie den Dialog verhindert»: SP-Bundesratskandidatin Elisabeth Baume-Schneider vor dem Haupteingang des Bundeshauses.

Früher Abend im Bundeshaus, Elisabeth Baume-Schneider, eben aus einer Kommissionssitzung gekommen, wird von einem Mann aufgehalten, der eine grosse Gruppe Besucher:innen dirigiert. Der Mann fragt Baume-Schneider, ob sie ein Gruppenfoto schiessen könne, und drückt ihr sein Handy in die Hand. «Wie heissen Sie denn?», will er wissen. «Elisabeth», sagt Baume-Schneider. Er und seine Gruppe seien von einem renommierten Reiseveranstalter, der Mann nennt den Namen seiner Firma und schaut erwartungsvoll: «Uns kennen Sie bestimmt.» Schliesslich merkt einer der Reiseleute, wer da vor ihnen steht: «Das ist doch die Bundesratskandidatin Schneider-Baume!» Nur beinahe richtig, aber Elisabeth Baume-Schneider lacht bloss belustigt.

Wer kennt Elisabeth Baume-Schneider?

Das ist eine der zentralen Fragen im Vorfeld der Kandidat:innenkür der SP für die Wahl der Nachfolgerin von Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Sie selber sagt, obwohl sie die wichtige Umweltkommission des Ständerats präsidiert: «Komme ich aufs Ticket, muss ich sehr, sehr viel arbeiten, um in der Deutschschweiz bekannt zu werden.» In der Romandie ist die jurassische Ständerätin seit Jahren eine allseits respektierte politische Grösse, Westschweizer Medien reagierten auf ihre Ankündigung rundweg positiv. Und für die Deutschschweiz lässt sich zumindest so viel sagen: Es lohnt sich, Elisabeth Baume-Schneider kennenzulernen.

«Engagiert, aber fröhlich»

Geboren am 24. Dezember 1963 in Saint-Imier im Berner Jura. Hineingeboren in eine Zeit einschneidender politischer Kämpfe. Aufgewachsen auf einem Bauernhof in Les Bois, Franches-Montagnes. Zu Hause spricht die Familie konsequent nur Berndeutsch, der Vater ist ein überzeugter Berner, rundherum in den Freibergen aber drängt die jurassische Autonomiebewegung auf Unabhängigkeit. Der Vater politisiert für die konservative Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB), die später in der SVP aufgeht – die Tochter geht an die Handelsschule in La Chaux-de-Fonds und wird dort von der revolutionären marxistischen Liga angezogen. War sie eine wütende junge Linke? Baume-Schneider winkt ab: «Eigentlich war ich sehr fröhlich. Engagiert, aber fröhlich.»

«Ich kenne die Leute, die es nicht einfach haben.»
Elisabeth Baume-Schneider

Frohen Mutes wirkt sie noch heute, wenn man sich mit ihr unterhält. Offenherzig sei sie und für alle zugänglich, sagen Leute, die sie gut kennen – zunächst an den Menschen interessiert, erst dann an der Sache. Eine, die alle Sprachen beherrsche, jene der Macht und jene der Strasse. Eine, die trotz beachtlicher Karriere nie den Kontakt zur Basis verloren habe: Elisabeth Baume-Schneider, ein in der Westschweiz hochgeschätztes «animal politique», das in der Deutschschweiz bis jetzt verkannt geblieben ist.

Vielleicht hilft die Geschichte ihrer Politisierung, sie einzuordnen. Einerseits erfolgt diese an der Schule in La-Chaux-de-Fonds, wo sich die Schüler:innen von der sozialistischen Arbeiter:innenstadt abheben, indem sie sich den radikaleren Marxist:innen anschliessen. Andererseits erfolgt sie zu Hause, auf dem eigenen Hof, wo die Eltern – stets nur Pächter:innen – eines Tages den Bescheid erhalten, dass sie den Bauernhof aufgeben müssen. Die Eigentümer wollen auf dem Land einen Golfplatz anlegen. «52 Hektaren gutes Agrarland, damit ein paar wenige Golf spielen können? Und das ausgerechnet in den Freibergen, wo wir schon den Waffenplatz verhindert hatten, um die Landwirtschaft zu schützen? Das ging mir nicht in den Kopf», sagt Baume-Schneider. Sie empfand die Argumentation als demütigend, der Golfplatz würde das Dorf aus der Mittelmässigkeit heben.

In einer Abstimmung verloren die Gegner:innen des Golfplatzes knapp, doch eine von Baume-Schneiders Handlungsmaximen formte sich damals: «Es ist wichtig, sich zu wehren. Wenn die andere Seite gewinnen will, muss sie wissen, dass sie dafür kämpfen muss.» Und dann sagt sie einen Satz, der angesichts ihrer politischen Karriere rätselhaft klingt. Sie sagt ihn erst auf Deutsch, und dann, wie um sich zu vergewissern, dass er auch richtig verstanden wird, noch auf Französisch: «Ich bin gegen die Macht, wenn sie den Dialog verhindert – je suis contre le pouvoir.» Ein Satz, gemeint als politische DNA, die sie sich in den langen Jahren der Spitzenpolitik bewahrt hat, in unzähligen Auseinandersetzungen, Arrangements und Kompromissen.

Denn an der Macht war sie lange selber im Jura. 2002 wurde sie als junge SP-Kantonsabgeordnete in die jurassische Regierung gewählt, wobei sie sich völlig überraschend gegen Schwergewichte der Partei durchsetzte. Mit ihr in der Regierung, das sei, wie mit einem Militärvelo das Radrennen Paris–Roubaix zu bestreiten, ätzte damals der Grandseigneur der jurassischen Politik, Jean-François Roth. Heute prophezeit der frühere CVP-Ständerat Baume-Schneider im Westschweizer Fernsehen beste Wahlchancen und lobt sie für ihr lösungsorientiertes Politisieren in den höchsten Tönen.

Doch Baume-Schneider eckte auch oft an. Als sie 1995 erstmals ins kantonale Parlament gewählt worden war, nahm sie ihren Sohn Théo an die Sitzungen mit und stillte ihn in den Pausen, was zu Beginn für Diskussionen sorgte: «Es ging dann gut, weil er immer strahlte. Hätte er geweint, wären die Reaktionen anders gewesen.» Dass heute, bald dreissig Jahre später, noch die gleichen Bedenken gegenüber jungen Müttern in der Politik vorgebracht würden, mache sie wütend. Sie hat die Vorbehalte auch oft selber gehört.

Als sie für den Regierungsrat kandidierte, hätten ihr viele Frauen im Umfeld geraten, doch noch zu warten, bis die Kinder älter seien. «Niemand sagt dir, dass es nicht gut ist, als Mutter Politik zu machen. Aber sie sagen alle, dass sie es anders gemacht hätten.» Diese manchmal fehlende Solidarität unter den Frauen habe sie verletzt. Als sie Regierungsrätin wurde, kümmerte sich dann vor allem ihr Mann um die Kinder. «Ich hatte volles Vertrauen in ihn, auch wenn ich hörte, dass die Kinder ab und zu in komischen Kleidern rumgelaufen sind.»

Den Golfplatz nie betreten

Dreizehn Jahre lang blieb Baume-Schneider Erziehungsdirektorin im Jura. Ihr Erfolg mit der grössten Ausstrahlung: dass sie als Regierungspräsidentin massgeblich dazu beitrug, die «jurassische Frage» zu einem versöhnlichen Ende zu bringen. In einer von ihr mitgestalteten Abstimmungskaskade entschied sich 2013 der Berner Jura grossmehrheitlich für den Verbleib im Kanton Bern; danach aber die Gemeinde Moutier für einen Kantonswechsel in den Jura. Wäre eine erste jurassische Bundesrätin eine Anerkennung für den zurückgelegten Weg? «Es wäre ein Zeichen, und es würde eine neue Erzählung über meinen Kanton ermöglichen.» Nicht mehr die Geschichte des Jammerkantons, sagt sie, der bloss die Hand nach Geldern aus dem Finanzausgleich aufhalte.

Wie gross ihre Wahlchancen sind, ist schwer zu sagen. Denn vieles dreht sich in diesen Tagen um die passende Repräsentation. Nie wird die Frage gestellt, für welche Politik die Kandidat:innen stehen und welche Teile der Gesellschaft sie vertreten. Elisabeth Baume-Schneider ist die einzige SP-Kandidatin mit linkem Profil.

Sie sagt, sie verstehe sich als Vertreterin der Randregionen. Sie wolle die Stimme jener sein, die in der sehr reichen Schweiz keine Stimme hätten. «Ich war Sozialarbeiterin, ich kenne die Leute, die es nicht einfach haben.» Für sie wolle sie Politik machen. Etwa Klimapolitik, die nur dann gelingen könne, wenn sie mit sozialer Gerechtigkeit einhergehe. «Es darf den Leuten trotz Verzicht nicht schlechter gehen», sagt sie. Das sei ihre rote Linie, die sie auch eingehalten habe, als sie im Kanton Jura Sparprogramme vertreten habe.

Das zweite dringliche Dossier: Asylpolitik. Baume-Schneider fordert, die positiven Erfahrungen mit dem Sonderstatus für Geflüchtete aus der Ukraine müssten auf andere Gruppen übertragen werden. Zudem müsse sich die Schweiz solidarischer bei der Übernahme von Geflüchteten aus Italien oder Griechenland zeigen und die Einhaltung der Menschenrechte an den Grenzen zur Priorität erklären.

Das wären linke Akzente, aber sind diese innerhalb der bürgerlichen Mehrheit möglich? Elisabeth Baume-Schneider glaubt: Ja. Indem sie die Dossiers eng begleite, sie breit abstütze, indem sie offen und zugänglich bleibe. Nur in einem Fall in ihrer langen Politkarriere zeigte sie sich unversöhnlich: Auf den Golfplatz in Les Bois hat sie auch als jurassische Sportministerin nie einen Fuss gesetzt.