Bundesratswahl: Das Machtdilemma der SP

Nr. 49 –

Eine kleine Sensation: Statt der Favoritin Eva Herzog hat die Bundesversammlung Elisabeth Baume-Schneider für die SP in den Bundesrat gewählt. Was bedeutet dies für die Partei ein Jahr vor den Wahlen?

«Gewählt ist mit 123 Stimmen: Frau Elisabeth Baume-Schneider.» Ein lauter Jauchzer hallt von links durch den Parlamentssaal. Gleichzeitig gibt es in der linken Ratshälfte – bei all jenen, die die Basler Ständerätin Eva Herzog im Bundesrat wollten – auch betrübte Gesichter. Es ist eine kleine Sensation. Als sich drei Stunden zuvor das Bundeshaus mit Politiker:innen, Journalistinnen und Parteifunktionären zu füllen begann, glaubte kaum jemand ernsthaft, dass es die Aussenseiterin Baume-Schneider machen würde.

 Elisabeth Baume-Schneider mit SP-Kolleg:innen am Mittwoch im Bundeshaus
Da gehts in Richtung sozialere Schweiz: Elisabeth Baume-Schneider mit SP-Kolleg:innen am Mittwoch im Bundeshaus. Foto: Anthony Anex, Keystone

Die Wahl für die Nachfolge von Simonetta Sommaruga war dann auch erst einmal von einem patriarchalen Störmanöver geprägt. 58 Stimmen gingen im ersten Wahlgang an Daniel Jositsch, der das Frauenticket offenbar nicht verkraftet hatte und bis zum Schluss nicht von seiner wilden Kandidatur abrückte. Wie sich die Stimmen für ihn im dritten Wahlgang auf die beiden Frauen verteilen würden, diese Frage hielt die vereinigte Bundesversammlung und die Journalist:innen in Atem.

Die SP ist auf Erfolge angewiesen, die die Partei als lösungsorientiert zeigen.

Als schliesslich das Resultat klar ist und Baume-Schneider ans Rednerpult gerufen wird, steht sie bereits mit einem grossen Strahlen vorne auf dem Podest: Ja, sie nehme die Wahl an, sagt sie. «Die Stärke des Volkes misst sich am Wohl der Schwachen», sagt sie in ihrer Antrittsrede – von diesem Wert habe sie sich ein Leben lang leiten lassen, und diesen wolle sie nun auch in den Bundesrat tragen. Themen, die sie ansprach: Sicherung des Wohlstands, Wahrung der Grundrechte, soziale Gerechtigkeit, der Kampf gegen den Klimawandel.

Auch wenn kaum jemand wirklich an dieses Ergebnis geglaubt hatte, so hatte sich die Überraschung im Vorfeld doch leise angekündigt: Erst zeigten die Bäuer:innen Sympathien für die bodenständige Jurassierin. Je länger der Wahlkampf dauerte, desto lauter wurde das Raunen über ihre intakten Wahlchancen. Ein Vertreter der Mitte-Partei sprach in der WOZ von einem «offenen Rennen», am Tag vor der Wahl sagte ein SVP-Vertreter gar: «Jetzt haben wir die Stimmen dann zusammen.»

Baume-Schneider hat am Ende gewonnen, weil sie es geschafft hat, in allen Fraktionen zu punkten. Westschweizer SP-Parlamentarier:innen um den Waadtländer Nationalrat Samuel Bendahan* führten vor dem Wahlmittwoch eine hartnäckige Kampagne für die Jurassierin. «Wir haben mit ganz vielen Leuten gesprochen», sagt Bendahan nach der Wahl in der Wandelhalle. Entscheidend war wohl, dass sich am Ende gar bei der FDP die Stimmen aufteilten. Wie FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt nach der Wahl bestätigt, waren darunter wohl auch taktische Stimmen von Parlamentarier:innen mit eigenen Ambitionen. Doch viele Bürgerliche hat die Jurassierin schlicht mit ihrer Art und ihrer Kompetenz überzeugt. Und Baume-Schneiders Konkurrentin Herzog hatte in den letzten Tagen in den eigenen Reihen für Ärger gesorgt, indem sie zusammen mit Economiesuisse, FDP, SVP und Teilen der Mitte-Partei die OECD-Mindeststeuer torpedierte.

Mit Baume-Schneider rückt der Bundesrat ein kleines Stück nach links. Während von der SVP auf den Blocher-Intimus Ueli Maurer der linientreue Albert Rösti folgt, kommt mit der Jurassierin für die eher rechte Sozialdemokratin Simonetta Sommaruga eine Frau mit deutlich linkeren Positionen (siehe WOZ Nr. 46/22). Eine, die nah an den sozialen Nöten der Menschen politisiert und für Minderheiten einsteht. Eine Frau mit engem Kontakt zur Basis. Es ist eine Linie, die zu Mattea Meyer und Cédric Wermuth passt, die 2020 das SP-Präsidium mit dem Projekt übernommen hatten, die SP pointiert links zu positionieren.

Missachtete Erfolge

Baume-Schneiders Wahl fällt für die SP in eine nicht ganz einfache Zeit. Als Meyer und Wermuth mitten in der Coronapandemie im Herbst 2020 die Partei übernahmen, schien diese ein Jahr nach ihrer Wahlniederlage geradezu aufzublühen. Gegen den Widerstand der Rechten drückte die SP zusammen mit den Grünen mit vollem Einsatz Wirtschaftshilfen für gefährdete KMUs und Selbstständige durch.

Die Gunst der Wähler:innen gewann die Partei damit jedoch nicht: Bei den kantonalen Wahlen hat die SP seither Mühe, ihre Sitze zu halten. Laut Umfragen wird sie auch bei den nationalen Wahlen 2023 einige Stimmen verlieren – während die SVP, die während der Pandemie die Menschen im Regen stehen liess und vor allem noch mit der Machete politisiert, zulegen soll. Auch die jüngsten Erfolge bei der Stempel- und der Verrechnungssteuer scheinen sich schwer in Wähler:innenstimmen übersetzen zu lassen.

Viele Medien machen es der SP nicht leicht: Die beiden Kopräsident:innen werden gerne als verbohrte Marxist:innen karikiert. Und obwohl sich die Linke seit Jahrzehnten für strengere Regeln für das Geschäft mit russischem Öl und russischen Oligarchen ausspricht, war es Anfang des Jahres ausgerechnet der Zuger Rohstoffplatzvertreter und Mitte-Präsident Gerhard Pfister, der sich in den Medien als Freund der Ukraine inszenieren durfte.

Ein Jahr vor den Wahlen ist die SP auf Erfolge angewiesen, die sie als lösungsorientierte, staatstragende Partei zeigen. Doch die heillos zersplitterte Mitte-Partei will nicht richtig mithelfen. Bei der Berufsvorsorge stellte sich diese von Anfang an mit FDP und SVP hinter die Pläne der Versicherer. Und nun macht der SP auch noch die Frauenorganisation Alliance F Konkurrenz, die sich mit einem eigenen Plan als Stimme der Frauen zu positionieren versucht – obwohl dieser hochgradig unsozial ist.

Noch im Sommer hatte Mitte-Präsident Pfister mit der SP einen Deal für höhere Prämienverbilligungen vereinbart, der letzte Woche von seinen eigenen Leuten im Ständerat abgeschossen wurde. Bei der Umsetzung der OECD-Mindeststeuer lehnte sich die SP weit zur Mitte-Partei rüber, um die Rechte zu blockieren: Doch am Ende scheiterte Anfang der Woche selbst diese Kompromisslösung.

Cédric Wermuths Kompromisse ein Jahr vor den Wahlen bringen ihm wiederum in den eigenen Reihen Kritik ein: Zugeständnisse bei der OECD-Steuer oder sein kürzlicher Tweet, in dem er der Nati mit einem Bild einer Schweizer Fahne vor dem Matterhorn zum Sieg gegen Serbien gratulierte, stiessen selbst bei Weggefährten auf Unverständnis. Der Spagat zwischen dem Parteipräsidium, das für eine Wahlniederlage geradestehen müsste, und einer konsequent linken Haltung: Er ist nur schwerlich zu schaffen.

Im engen Korsett der Konkordanz

Auch die Bundesratsfrage ist für die SP seit jeher ein Spagat: Wie kapitalismuskritische Bewegung bleiben und gleichzeitig die bürgerliche Bundesratspolitik mittragen? Vor den Wahlen stellte die Juso gegenüber der Mutterpartei die Forderung auf: Man müsse sich in die Oppositionsrolle begeben, wenn man nicht mehr Einfluss im Bundesrat gewinne. Gegenüber der WOZ stellte Juso-Präsident Nicola Siegrist die Grundsatzfrage: «Woran arbeiten wir im Bundesrat mit? Das ist doch der entscheidende Punkt.» Die Linke werde in naher Zukunft keine Mehrheit im Bundesrat stellen. «Dann müssen wir es aber zumindest schaffen, linke Kandidat:innen in die Regierung zu bringen.»

Auch Elisabeth-Baume Schneider wird das SP-Machtdilemma nicht auflösen können. Auch sie ist nun ins enge Korsett der bürgerlich dominierten Konkordanz eingebunden. Doch ihre Wahl könnte der SP ein Jahr vor den Wahlen Schwung verleihen. Baume-Schneider sei ein enorm wichtiges Signal an die Wähler:innenschaft, glaubt Bendahan. «Sie vertritt nicht die stereotype städtische SP-Wählerschaft und steht dennoch für pointiert linke Werte.» Bereits im Wahlkampf wurde Baume-Schneider von einzelnen Medien mit patriotischem Pathos als potenzielle «Landesmutter» beschrieben. Bendahan sagt: «Sie könnte zur Identifikationsfigur werden für ein ländliches Wählersegment, das sich von den SVP-Werten nicht abgeholt fühlt.» Dieser Meinung sind auch viele andere SP-Parlamentarier:innen: Baume-Schneider sei eine gewinnende Person, sie werde eine beliebte Bundesrätin sein. Offen ist, ob sich das in Wähler:innenstimmen umsetzen lässt.

Der Waadtländer Bendahan sieht aber auch eine parteiinterne Signalwirkung: «Die anderen haben Baume-Schneider für uns gewählt», sagt er, die SP sei bis zum Schluss gespalten gewesen. «Das ist für uns die wichtige Lehre: Man muss sich nicht rechts von der Partei positionieren, wenn man als Sozialdemokrat in eine Machtposition strebt.»

* Korrigenda vom 8. Dezember 2022: In der Printversion sowie in der alten Onlineversion wurde Nationalrat Samuel Bendahan fälschlicherweise als Neuenburger bezeichnet, tatsächlich vertritt Bendahan den Kanton Waadt.

WOZ Debatte

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Kommentare

Kommentar von duri

Do., 08.12.2022 - 10:31

Ich sehe das Fehlen einer städtischen Vertretung und die Absenz der Geberkantone im BR durchaus schwerwiegender als es der Artikel einschätzt. Sowohl im Parlament wie jetzt noch mehr im BR fehlen die Erfahrungen von Schweizer Grossstädten. Die Pauperisierung und Ghettobildung ist in den kleinen Siedlungen höchstens marginal vorhanden, also nicht erlebbar.
Zudem fehlt das Verständnis, dass Geberkantone sich ärgern über den immer noch vorhandenen Steuerwettbewerb. Gerne eine Verteilung von reicher zu ärmer, nicht aber, wenn die die Nehmerkantone die Steuern senken und die Krankenkassenprämien einen Bruchteil ausmachen im Vergleich zu den Geberkantonen.
Ein kleiner Beleg meiner These ist der Support der Bauernlobby für Baume-Schneider.

Kommentar von Politikus

Fr., 09.12.2022 - 12:49

Hier etwas für die WOZ_NEWS:

"Viele Medien machen es der SP nicht leicht: Die beiden Kopräsident:innen werden gerne als verbohrte Marxist:innen karikiert."

Nichts gegen Gendern, aber nicht verbohrt, immer im Wissen, dass mit der deutschen Sprache vieles, aber (leider) nicht alles, möglich ist.

Viele Medien machen es dem SP-Co-Präsidium nicht leicht: Sie karikieren Frau Meyer und Herrn Wermuth mit Vorliebe als unbeirrte Marxistin und verbohrter Marxist.

Kommentar von Urs.zeder@bluewin.ch

Fr., 09.12.2022 - 15:46

Ja, da bedanken wir uns Basler doch sehr als „stereotypische städtisch SP-Wahlerschaft“ für die Wertschätzung durch den Wadtländer Bendahan für unsere konstant gewährleistete Unterstützung der Romandie bei den nationalen Abstimmungen.