Die Überraschungswahl: «Unrueh» im Bundeshaus

Nr. 49 –

Elisabeth Baume-Schneider nach ihrer Wahl zur Bundesrätin
Elisabeth Baume-Schneider nach ihrer Wahl zur Bundesrätin. Foto: Peter Klaunzer, Keystone

Plötzlich machte am Dienstag in der Wandelhalle das Gerücht die Runde, selbst FDP-Präsident Thierry Burkart weible jetzt für Elisabeth Baume-Schneider, im Auftrag seiner Bundesrätin Karin Keller-Sutter. Die wolle mit Eva Herzog schliesslich kein Double im Bundesrat, spottete eine Nationalrätin. Ob das Gerücht nun stimmte oder nicht: Spätestens da war klar, dass Bewegung im Spiel ist. Am Mittwoch war die Überraschung dann perfekt: Zur neuen Bundesrätin der SP gewählt wurde die Aussenseiterin aus dem Jura.

Bis zu diesem Moment war es ein fürchterlich patriotischer Morgen. Der abtretende Ueli Maurer beschwor mit Wilhelm Tell die Freiheitsmythen, Simonetta Sommaruga den Zusammenhalt dank des Service public, draussen vor dem Bundeshaus ertönten Alphornklänge. Elisabeth Baume-Schneider hatte sich in ihrer Kampagne durchaus geschickt in die Schweizer Bauernstaatsideologie eingeschrieben – bis hin zu ihrem heimlichen Wappentier, dem Schwarznasenschaf.

Ist diese Wahl aus städtischer Sicht ein Problem? Nein.

Statt einen Bundesrat hat die Schweiz nun also einen Bauern- und Bäuerinnenrat: Winzer Guy Parmelin, Bauerntochter Baume-Schneider und der ebenfalls neu gewählte frühere Milchhändler Albert Rösti – so ländlich geprägt war die Regierung schon lange nicht mehr. Ist das aus städtischer Sicht ein Problem? Nein. Schliesslich kommt es auch darauf an, von welchen gesellschaftlichen Gruppen in der Stadt, in den Agglomerationen und auf dem Land jeweils die Rede ist.

Von den Linken im Bundeshaus, gerade auch den jungen Frauen, wurde Baume-Schneider entschieden wegen ihrer sozialpolitischen Vorstellungen gewählt. Immer wieder hat die studierte Sozialarbeiterin im Vorfeld der Wahl auf die rechtliche Prekarisierung von Menschen ohne Schweizer Pass, auf die finanziellen Nöte der Ärmeren hingewiesen, die im Jura ähnlich sind wie in Basel, Zürich oder Genf. Dass eine Kandidatin aus einem der ärmsten Kantone jene aus einem der reichsten schlägt, ist erfreulich, zumal Eva Herzog sich bis zuletzt für den ungebremsten Steuerwettbewerb einsetzte.

Ob und wie Elisabeth Baume-Schneider diese sozialen Ideen nun in den Bundesrat tragen kann, bleibt angesichts der Mehrheitsverhältnisse abzuwarten. Wenn sie das Justizministerium übernimmt, was durchaus möglich ist, weil Keller-Sutter mutmasslich ins Finanzdepartement wechseln möchte, wird sie ihre Möglichkeiten erhalten. Ob eine Erleichterung bei den Einbürgerungen oder die Verbesserung der Rechtsstellung von Geflüchteten: Von Keller-Sutter wurde in diesem Bereich bisher jeder Fortschritt blockiert.

Apropos Departementsverteilung: Zentral wird vor allem sein, wer das Energie- und Infrastrukturministerium Uvek übernimmt. Nachdem SP, Mitte und FDP die Grünen und die Grünliberalen bei der Aufteilung der Macht einmal mehr aussen vor gelassen haben, stehen sie umso stärker in der Pflicht, dass kein SVP-Vertreter die Umweltpolitik definiert. Die nächsten Jahre sind im Kampf gegen die Klimaerhitzung entscheidend. Erdöllobbyist Albert Rösti würde im Hinblick auf eine ökologische Transformation der Wirtschaft vor allem eines: bremsen und verhindern.

Für das Gremium Bundesrat zeichnen sich nach dieser Wahl zwei Dinge ab: zum Ersten eine längere personelle Kontinuität. Bei den kommenden Parlamentswahlen ist auf einen Gewinn des links-grün-progressiven Lagers zu hoffen. Bleiben allerdings grössere Verschiebungen aus, könnte der Bundesrat in dieser Zusammensetzung länger Bestand haben. Abwahlen sind bekanntlich selten. Zum Zweiten besteht ein prekäres Ungleichgewicht zwischen Regierung und Parlament. Im Bundesrat verfügen SVP und FDP über eine Mehrheit, im National- wie auch im Ständerat nicht. Aus diesem Grund werden bereits heute Vorlagen vom Parlament stark aus- und umgebaut.

Will der Bundesrat in dieser Situation handlungsfähig bleiben, müssen die Mitglieder politischer agieren als bisher. Besonders beim Europadossier, das derzeit vornehmlich den Staatssekretär:innen überlassen wird, kann das auch eine Chance sein. Weil die Herausforderung beträchtlich ist, braucht es einen Plan: Eine stärkere europäische Integration ist angesichts der Weltlage dringend. Doch eine neue Allianz dafür wird es innenpolitisch nur geben, wenn gleichzeitig der soziale Schutz für alle Beschäftigten gesichert wird.

Die Schweiz hat zwei neue Bundesrät:innen gewählt. In den Medien nahm das Ereignis sehr viel Platz ein, auch in dieser Zeitung. Besonders viel ändern wird sich in der Machtmechanik zugegebenermassen nicht. Doch wer die kleinen Erfolge nicht schätzt, braucht die grossen Fragen nicht zu stellen. Und vielleicht bringt die Wahl von Elisabeth Baume-Schneider in sozialer Hinsicht am Ende, was der aktuelle Kinohit über die anarchistischen Uhrmacher:innen im Jura in seinem Titel verspricht: etwas produktive «Unrueh».