Repression in Basel: Erlaubt ist, was den Verkehr nicht stört
Am feministischen Streik 2020 ging die Polizei in Basel hart gegen die Demonstrant:innen vor. Zwei von diesen standen nun als Rädelsführerinnen vor Gericht – vor den Augen Dutzender Schüler:innen.
Die einen demonstrierten am 14. Juni 2020 in Basel gegen Diskriminierung und das Patriarchat. Die anderen halten dem nun den Busfahrplan entgegen. Um eine Blockade des öffentlichen Verkehrs auf der Johanniterbrücke zu verhindern, kesselte die Basler Polizei an jenem Tag rund 280 Demoteilnehmer:innen auf ebendieser Brücke ein, hielt sie dort mehrere Stunden lang fest und blockierte während dieser gesamten Zeit das, was ihr angeblich so wichtig war: den Verkehr.
So begründete jedenfalls allen Ernstes der zuständige Einsatzleiter letzte Woche vor dem Basler Strafgericht die damalige Einkesselung. Er war dort als Zeuge geladen. Beschuldigt sind dagegen zwei Frauen, denen die Staatsanwaltschaft im Nachgang zur Demonstration wegen der Verkehrsblockade per Strafbefehl die «Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen» anlastet. Hinzu kommen die Vorwürfe, eine unbewilligte Kundgebung durchgeführt sowie gegen die zu jener Zeit geltende Covid-19-Verordnung verstossen zu haben: Wer eine Veranstaltung durchführte, brauchte damals noch ein Schutzkonzept.
Alle Demoteilnehmer:innen wurden nach der Einkesselung direkt gebüsst. Zehn von ihnen stellte die Staatsanwaltschaft später einen solchen Strafbefehl zu. Sie will sie als «Rädelsführerinnen» erkannt haben. Weil die zwei anwesenden Beschuldigten dagegen Einsprache erhoben, muss der Strafrichter über den Fall befinden.
Auf sehr wackligen Füssen
Schon vor Beginn der Verhandlung versammeln sich rund fünfzig Leute vor dem Gericht zu einer Solidaritätskundgebung. Danach sind die Plätze im Saal restlos besetzt. Die Verhandlung muss sogar in einen zweiten Raum live übertragen werden. Vor allem, weil Dutzende Schüler:innen zur «Prozessbeobachtung» daran teilnehmen. Eine der verantwortlichen Lehrpersonen ist Julia Klebs. Ihre Klasse habe Interesse an feministischen Themen geäussert, erzählt sie später. «Als ich ihnen dann vorschlug, sich diese Verhandlung anzusehen, waren sie alle sofort motiviert», sagt Klebs.
Das Gericht zeigte sich weniger begeistert. Nachdem die Lehrer:innen ihre Klassen zur Verhandlung angemeldet hatten, versuchte der Leiter der Gerichtskanzlei, sie davon wieder abzubringen. Das geht aus den Gerichtsakten hervor, die die Strafverteidigung zitiert. Der Prozess sei gar nicht interessant, habe der Mitarbeiter demnach einer Lehrperson telefonisch mitgeteilt: Die Beschuldigten würden bloss nach Aufmerksamkeit heischen. Das Vorgehen ist höchst fragwürdig. Zu Beginn des Prozesses distanziert sich der Richter davon.
«Wir wollen diese neue Praxis der Basler Behörden schon im Keim ersticken.»
Sonja Comte, Strafverteidigerin
Anina Jendreyko ist eine der Beschuldigten. Zur WOZ sagt sie später, sie hätte den Prozess politisch geführt, weil die Inhalte des Streiks 2020 auch heute noch aktuell seien: «Sexistische Gewalt ist keine Privatsache, sondern wurzelt in patriarchalen Strukturen», sagt sie. «Und die Gesundheitspolitik wird von der Logik des Profits statt vom Wohl der Menschen bestimmt – mit prekären Folgen für das Pflegepersonal.» Darauf geht sie auch in kürzeren Reden während der Verhandlung ein.
Der Richter spielt dagegen mehrere Beweisvideos ab, auf denen deutlich zu sehen ist, dass der Demonstrationsumzug wenig überraschend tatsächlich immer wieder den Verkehr blockierte. Auf einem Video sei ausserdem zu sehen, wie Jendreyko eine Rede halte. Daraus leitet die Staatsanwaltschaft den Vorwurf ab, sie müsse die Demonstration mitorganisiert haben – eine Voraussetzung für die Erfüllung der Tatbestände, eine unbewilligte Kundgebung durchgeführt und gegen die Covid-19-Verordnung verstossen zu haben.
Die Verteidigung fordert einen Freispruch. Mehr als fünf Stunden nach Beginn der Verhandlung gibt ihr der Richter in zwei von drei Anklagepunkten Recht. Nur am Tatbestand der Verkehrsbehinderung hält er fest. Die organisatorische Mitverantwortung der Beschuldigten könne nicht bewiesen werden. Eine gehaltene Rede reiche dafür nicht aus. Ihre Teilnahme an der Demonstration sei aber belegt, womit die Beschuldigten auch den Verkehr blockiert hätten. Er verhängt geringfügige Geldstrafen. «Gegen den einzigen umstrittenen Anklagepunkt haben wir verloren», sagt die Strafverteidigerin Sonja Comte zwei Tage später. Sie sei enttäuscht: «Die beiden anderen Vorwürfe waren von Beginn an beweismässig überhaupt nicht erstellt.»
Dass die Beeinträchtigung des Verkehrs sowohl die Einkesselung am 14. Juni 2020 als auch die jetzigen Geldstrafen rechtfertigen solle, sei absurd. «Dieser Gesetzesartikel wurde in den letzten dreissig Jahren bloss etwa zwei Mal pro Jahr angerufen», sagt Comte. Es sei ja auch völlig normal, dass bei einer Demonstration der Verkehr blockiert werde. Zwar habe das erstinstanzliche Urteil nur beschränkte Signalwirkung. Aber die Staatsanwaltschaft nehme den Entscheid sicher zur Kenntnis.
Zunehmende Kriminalisierung
Das Anrufen des Tatbestands ermögliche es, praktisch jede Teilnahme an einer Kundgebung wegen Verkehrsbehinderung zu bestrafen, so Comte. Sie würde damit immer – ob bewilligt oder unbewilligt – das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung mit sich bringen, so Comte. «Das würde die Versammlungsfreiheit faktisch massiv einschränken.» Und das zusätzlich zu der strafrechtlichen Verfolgung, die in den meisten Kantonen für die Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration sowieso schon vorgesehen ist.
«Derzeit prüfen wir eine Einsprache», sagt Comte. «Wir wollen diese neue Praxis der Basler Behörden schon im Keim ersticken.» Deren Eifer ist schon länger besorgniserregend. Just letzte Woche jährte sich zum vierten Mal die «Basel Nazifrei»-Demonstration, auf die die Behörden mit beispielloser Repression reagiert hatten. Und erst letzten Freitag feuerte die Basler Polizei Gummischrot auf eine Demonstration gegen Gewalt an Frauen und Queers. «Es lässt sich eine zunehmende Kriminalisierung solcher Demonstrationen beobachten», sagt auch Comte.
Anina Jendreyko sagt nach dem Prozess, sie habe sich gefreut, dass so viele junge Menschen an der Verhandlung teilgenommen hätten: «Es ist wichtig zu lernen, dass man sich wehren kann.» Die meisten von ihnen harren aber nicht bis zum Schluss aus. Als es schon dunkel geworden ist und die Verhandlung immer noch andauert, sagen vier von ihnen auf dem Weg nach draussen: «Das Thema hat uns eigentlich sehr interessiert! Aber man hätte es wohl spannender vermitteln können.»