Internationale Energiecharta: Mehr als zwanzig Jahre Verspätung

Nr. 49 –

Eine Reform des umstrittenen Energiecharta-Vertrags ist gescheitert, stattdessen verabschieden sich immer mehr Staaten von dem Abkommen. Nicht so die Schweiz, die vorerst zuwartet. Das sind schlechte Nachrichten fürs Klima.

Den Anfang machte Italien schon 2015, mittlerweile hat ein wahrer Exodus eingesetzt. Eine ganze Reihe weiterer europäischer Länder hat angekündigt, aus dem Energiecharta-Vertrag (ECT) auszutreten, darunter Spanien, die Niederlande, Frankreich und Deutschland. Das Investitionsschutzabkommen mit über fünfzig Mitgliedstaaten in Europa und Asien trat 1998 in Kraft, um die Integration der europäischen und postsowjetischen Energiemärkte voranzutreiben. Seither ist es zum meistgenutzten Investitionsschutzabkommen der Welt geworden: 150 Mal haben Privatfirmen damit bereits einzelne Vertragsstaaten vor private Schiedsgerichte gezerrt. Darunter sind berühmte Fälle wie jener des deutschen Energiekonzerns RWE, der von den Niederlanden eine Milliardenentschädigung forderte, als diese einen raschen Kohleausstieg beschlossen.

Reform auf Eis

Investitionsschutzabkommen erlauben es Firmen und Konzernen, gegen demokratisch legitimierte Gesetzgebungen vorzugehen, sobald diese ihren kalkulierten Profit gefährden. Im Rahmen des ECT waren es zwar zu einem beträchtlichen Teil Produzenten erneuerbarer Energie, die Länder wie Spanien verklagten, als Subventionen in diesem Bereich gekürzt wurden. Oft waren es aber auch Firmen aus dem fossilen Sektor, die sich gegen Klimaschutzmassnahmen wehrten, die ihre Investmentrenditen bedrohten.

«Selbst in modernisierter Form wäre dieses Abkommen eine Katastrophe.»
Fabian Molina, SP-Nationalrat

Innerhalb der EU, die selbst ECT-Vertragspartnerin ist, hat das Abkommen auch deshalb einen zunehmend schweren Stand, weil auf dessen Basis vor allem innereuropäische Zwiste verhandelt werden: Es sind zumeist Firmen mit Sitz in Europa, die andere EU-Staaten verklagen. 2019 gab der EU-Rat der EU-Kommission den Auftrag, eine Modernisierung auszuarbeiten; diese legte im Juni einen Reformvorschlag vor. Unter anderem sollte demnach innert neun Monaten der Schutz für neue Investitionen in den fossilen Sektor fallen, jener für bestehende Investitionen in zehn Jahren auslaufen.

Als die Reform aber im November im mongolischen Ulan-Bator besiegelt werden sollte, schaffte sie es am Ende doch nicht auf die Traktandenliste. Denn mehrere EU-Länder hatten sich in der Zwischenzeit gegen die Anpassung und für den Austritt entschieden. Darunter Deutschland, dessen Wirtschaftsminister Robert Habeck verlauten liess, der ECT sei auch in modernisierter Form «schlicht nicht vereinbar mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens». Dieser Schritt entspricht grundsätzlich der Forderung von Klimaaktivist:innen und Umweltverbänden, hat aber einen Haken: Der Austritt eines Mitgliedstaats wird erst nach zwanzig Jahren effektiv wirksam. Dass die Bundesregierung zugleich eine Vielzahl kleinerer Freihandelsabkommen abschliessen und etwa den heftig umstrittenen Ceta-Vertrag zwischen der EU und Kanada ratifizieren will, sorgt darüber hinaus für Unmut.

Abwarten beim Bund

Und die Schweiz? Auch sie ist ECT-Mitglied und beheimatet Firmen, die auf dieser Grundlage Vertragsstaaten verklagen. Und auch sie selbst dürfte zum Ziel von Klagen werden, sollte sie etwa einer Firma wie dem aserbaidschanischen Erdöl- und Erdgasunternehmen Socar mit echten Klimaschutzbestrebungen die Profitaussichten trüben. Noch am 9. November hat der Bundesrat der Vertragsreform zugestimmt und eine baldige «Auslegeordnung» durch das zuständige Umwelt- und Energiedepartement angekündigt; nun, da die Reform vorerst gescheitert ist, wird damit aber zugewartet. Die Handlungsoptionen würden dargelegt, sobald sich «in Sachen Genehmigung des modernisierten ECT wieder etwas bewegt», sagt Marianne Zünd, Medienverantwortliche beim Bundesamt für Energie (BFE). Erst dann werde der Bundesrat über Verbleib oder Austritt entscheiden können. «Wann das sein wird, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen.»

SP-Nationalrat Fabian Molina hofft, dass auf parlamentarischer Ebene schon während der Frühlingssession Bewegung in die Sache kommt. Dann könnte im Nationalrat seine Motion vom März 2021 behandelt werden, in der er den Bundesrat aufforderte, «die nötigen Massnahmen» für einen Austritt der Schweiz aus dem ECT zu treffen. In seiner ablehnenden Antwort verwies der Bundesrat damals noch auf die angestrebte Vertragsreform, die jetzt auf Eis liegt. «Selbst in modernisierter Form wäre dieses Abkommen noch immer eine klimaschutztechnische Katastrophe», sagt Molina, «und heute ist klarer denn je: Die Schweiz muss schleunigst daraus austreten.»