Energiecharta-Vertrag: Wenn Spekulanten Staaten verklagen
Mit dem Energiecharta-Vertrag können Firmen Staaten verklagen, wenn sie glauben, ihre Investitionen im Energiegeschäft seien nicht geschützt worden. Eine Studie dokumentiert, wie sich daraus eine moderne Art der Wegelagerei entwickelt hat. Auch die Schweiz hat den Vertrag ratifiziert.
Der Report trägt den Titel «Ein Vertrag, sie alle zu knechten». Das klingt polemisch, doch wenn man das neunzig Seiten starke Papier liest, wird einem mulmig. Es geht um den Energiecharta-Vertrag (Energy Charter Treaty, ECT). Publiziert wurde die Studie von den beiden europäischen Nichtregierungsorganisationen Corporate Europe Observatory und Transnational Institute. Sie beschreibt, wie der ECT entstanden ist und wie er heute funktioniert.
Es begann nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Die Energiemärkte Osteuropas und der ehemaligen UdSSR sollten für westliche Firmen zugänglich werden. Den Staaten versprach man, private Investoren würden ihre maroden Energieversorgungssysteme modernisieren. Im Kern ging es aber darum, die ausländischen Investitionen abzusichern. 1994 wurde der ECT unterzeichnet, rund fünfzig Staaten sind dabei, darunter auch die Schweiz.
Unternehmen können nun also einen Staat einklagen, wenn sie glauben, sie hätten aufgrund einer staatlichen Intervention mit ihren Investitionen Geld verloren. Es werden von den Beteiligten drei AnwältInnen ernannt, die dann unter Ausschluss der Öffentlichkeit Schlichtungsverhandlungen führen. Laut Studie wurden Regierungen bisher schon zu Schadenersatzzahlungen in der Höhe von 43 Milliarden Euro verpflichtet. Allein in den letzten fünf Jahren wurden 75 neue Investor-Staat-Klagen eingereicht.
Private Fonds kassieren
Vattenfall gegen Deutschland ist wohl der bekannteste Fall. Der schwedische Energiekonzern, der in Deutschland einige Atomkraftwerke besitzt, hat die deutsche Regierung auf Schadenersatz in der Höhe von über 4 Milliarden Euro verklagt, weil sie nach der AKW-Katastrophe in Fukushima den Atomausstieg vorangetrieben hat (siehe WOZ Nr. 32/2017 und WOZ Nr. 48/2017 ). Noch steht der Entscheid aus.
Spanien sieht sich ebenfalls mit gigantischen Schadenersatzforderungen konfrontiert. Weil das Land wegen der Finanzkrise ökonomisch in Schieflage geraten war, reduzierte die Regierung die Subventionen für Solar- und Windanlagen. In der Folge klagten an die vierzig Firmen, die in Spanien in erneuerbare Energien investiert hatten, weil sie mit guten Renditen gerechnet hatten. Es geht um eine Klagesumme von 7,5 Milliarden Euro.
Der ECT werde zunehmend von spekulativen Finanzinvestoren genutzt, resümieren die Autorinnen der Studie: «In 88 Prozent der Fälle, in denen gegen zurückgenommene Subventionen für erneuerbare Energien in Spanien geklagt wurde, ist die klagende Partei kein Unternehmen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien, sondern ein Fonds oder anderweitiger Finanzinvestor, der oftmals auch in Kohle, Öl, Gas und Atomenergie investiert.»
Das Schlichtungsgeschäft wird von einigen wenigen AnwältInnen dominiert: «25 Schiedsrichter*innen sassen in 44 Prozent der ECT-Tribunale. Zwei Drittel von ihnen traten in anderen Investor-Staat-Klagen auch als Anwält*innen auf, was Fragen nach Interessenkonflikten aufwirft», konstatiert die Studie. Fünf Elite-Anwaltskanzleien waren zudem an fast der Hälfte aller bekannten ECT-Verfahren beteiligt.
Die Schweiz und der Vertrag
Das Monster, das hier heranwächst, ist eine sich selbst erhaltende Umverteilungsmaschine. Inzwischen haben nämlich Investmentfonds das ECT-Verfahren als Geschäftsmodell entdeckt: Sie schiessen als Prozessfinanzierer die Prozesskosten vor und erhalten – falls der Investor gewinnt – einen Teil der zugesprochenen Entschädigung. Die Prozessfinanzierer riskieren wenig, da sich die eingeklagten Staaten zur Hälfte an den Prozesskosten beteiligen müssen, selbst wenn sie recht bekommen. Die AnwältInnen verdienen immer, weil sie horrende Honorare verrechnen können. Es ist hier eine moderne Form von Wegelagerei entstanden, gegen die sich vor allem Regierungen ärmerer Länder schlecht wehren können.
Die Schweiz kommt im Report noch kaum vor. «Sie ist zwar Mitglied, aber es ist keine Klage gegen sie bekannt», sagt Pia Eberhardt, Mitautorin der Studie. «Aber Schweizer Investoren haben auf Basis des Vertrags bereits geklagt, unter anderem der Energieversorger Alpiq, der in Rumänien in einen der grössten Energiepreisskandale Osteuropas verwickelt war.»
Dass die Schweiz nicht stärker involviert ist, hat damit zu tun, dass der Schweizer Strommarkt noch nicht privatisiert ist. Die meisten Schweizer Energieunternehmen – ausser eben Alpiq – gehören noch der öffentlichen Hand. Doch sollte der hiesige Markt vollständig liberalisiert werden, wie das die Schweizer Regierung möchte, wird sich das schnell ändern, weil vermehrt ausländische Firmen in den Markt drängen dürften. Aber schon heute könnten sie ein zurzeit unrentables Wasserkraftwerk kaufen. Die neuen Eigner hätten jederzeit die Möglichkeit, den Staat zu verklagen, falls sie glauben, dass ihre Investition nicht geschützt worden ist.
Das ist den PolitikerInnen vermutlich nicht bewusst. Sie sollten den Report lesen, bevor sie zum Strommarkt weitere Entscheidungen fällen.
Der Report (englisch) und eine deutsche Zusammenfassung finden sich auf corporateeurope.org.