Pop: Im Archiv der Vergeblichkeit

Nr. 49 –

Es beginnt mit einer offensichtlichen Zumutung: einem 41-minütigen Song, der dazu erst nach elf Minuten richtig Fahrt aufnimmt. Zuerst gibt es kaum Konturen, die Band streunt umher, genauer: durch den Wald. Die Welt seines neuen Albums sei nämlich einem Videospiel nachempfunden, erklärte Richard Dawson dem «Guardian», und am Anfang des ersten Songs auf diesem Album, «The Hermit» heisst er, hören wir nur Umgebung, ohne jegliche Handlung, reine Atmosphäre. Es wirkt wie ein Eignungstest, bevor man sich in diese Welt einloggt. Dann erzählt er die Geschichte dieses Einsiedlers, in einem Folksong, der scheinbar ewig dauern könnte, ohne bemüht zu klingen.

Dawson hat keine Angst vor Theatralik; da sind die aufbäumenden Momente in seinen Songs, seine zwischen Glück und Verzweiflung flatternde Stimme. Wie er sich in seinen Geschichten verlieren kann, hat etwas Verschrobenes, die Melodien, die er unterwegs aus dem Hut zaubert, sind oft hinreissend.

«The Ruby Cord» heisst sein neues Album, und es ist nach «Peasant» (2017) und «2020» (2019) das letzte einer Trilogie; nach Vergangenheit und Gegenwart sind wir jetzt in der Zukunft gelandet. Es ist eine dystopische Zukunft, die eher urtümlich anmutet, nach einer Katastrophe vermutlich. Im Song «Museum» imaginiert Dawson eine Kulturstätte ohne Menschen, ein «Archiv der Vergeblichkeit», wie er singt. Aber, man denke dabei an die Idee des Videospiels, das hier ist erst mal eine spielerische Simulation; Dawson als humorlosen Apokalyptiker zu hören, würde ihm nicht gerecht.

Mit seiner Musik ist es ähnlich – sie mag zuerst altertümlich anmuten; er sei ein «old-fashioned melody man», sagt der Brite. Aber seine Songs schweifen zu konsequent ab, zelebrieren Merkwürdigkeiten am Wegrand, betten den Barden und seine Gitarre in eine flimmernde Welt ein, die man sich nicht nur am Bildschirm, sondern gut auch in verschobenen Bewusstseinszuständen vorstellen kann.

Cover der CD «The Ruby Cord» von Richard Dawson

Richard Dawson: «The Ruby Cord». Weird World/Domino. 2022.