«Katar-Gate»: Geldsäcke in Brüssel

Nr. 50 –

Die belgischen Behörden ermitteln wegen Korruptionsvorwürfen gegen mehrere Politiker:innen mit Verbindungen zum EU-Parlament.

Es gilt zwar immer noch die Unschuldsvermutung – aber dass die Polizei bei ihren inzwischen zwanzig Haus- und Bürodurchsuchungen offenbar in mindestens drei Fällen auf Taschen und Koffer voll mit Geldscheinen gestossen ist, kommt doch einem recht deutlichen Befund gleich. Alles deutet darauf hin, dass sich im Lauf der Ermittlungen die Vorwürfe gegen hochrangige Politiker:innen erhärten werden. Diese lauten: «Bandenmässige Korruption und Geldwäsche». Geliefert haben soll die Geldscheine gemäss Medienberichten der Golfstaat Katar.

Am Montag teilten die belgischen Behörden mit, dass bis zu diesem Zeitpunkt sechs Personen verhaftet worden seien, darunter etwa die am Dienstag ihres Amtes enthobene Vizepräsidentin des EU-Parlaments Eva Kaili und ihr Partner Francesco Giorgi sowie der ehemalige EU-Parlamentarier Pier Antonio Panzeri, der ironischerweise die NGO Fight Impunity (deutsch: Bekämpft die Straffreiheit) präsidiert, und der italienische Gewerkschafter Luca Visentini, Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbunds. Visentini wurde am Sonntag unter Auflagen wieder freigelassen. Vier der fünf übrigen Verdächtigen befanden sich bei Redaktionsschluss weiterhin in Untersuchungshaft.

Fragwürdige Fraktion

Welche Gegenleistungen die Verdächtigen für die Zahlungen genau erbracht haben sollen, ist noch nicht bekannt. Die griechische Parlamentarierin Eva Kaili, die bis zu ihrem inzwischen erfolgten Ausschluss der Sozialdemokratischen Fraktion (S&D) in Brüssel angehörte, hatte sich zuletzt im Parlament für den Golfstaat starkgemacht und vor fast leeren Rängen dessen grosse Fortschritte im Bereich Arbeitsrecht betont. Das ist zwar stossend (und ziemlich peinlich), aber auch von bescheidenem politischen Gewicht. Bis zur jetzigen Enthüllung der Korruptionsaffäre hatte wohl noch kaum jemand ausserhalb des EU-Parlaments je von dieser Rede gehört.

Welche Gegenleistungen die Verdächtigen genau erbracht haben sollen, ist nicht bekannt.

Entscheidender als die Huldigung Kailis ist die mögliche direkte Einflussnahme Katars auf Parlamentsbeschlüsse. Die belgischen Behörden teilten am Wochenende mit, es bestehe der Verdacht, dass «Drittparteien in politischen oder strategischen Positionen innerhalb des Europäischen Parlaments grosse Geldsummen oder substanzielle Geschenke angeboten wurden, um Entscheide des Parlaments zu beeinflussen». Diese Woche hätten die Parlamentarier:innen über die Aufhebung der Visumspflicht für katarische Staatsbürger:innen befinden sollen. Diese Abstimmung wurde jetzt vertagt. Erst im November verabschiedete das Parlament eine Resolution, die Katar vor dem Hintergrund der derzeit stattfindenden Fussballweltmeisterschaft für die Situation der Gastarbeiter:innen verurteilte. Beunruhigend ist, dass schon damals ein erheblicher Teil der sozialdemokratischen Fraktion gegen die Resolution stimmte. Neben Kaili haben sich inzwischen vier weitere Mitglieder der S&D vorsorglich aus dem politischen Tagesgeschäft zurückgezogen – allerdings ohne selbst offiziell verdächtigt oder angeklagt worden zu sein.

Eine Affäre von vielen?

Dass die Affäre noch deutlich grössere Kreise ziehen wird, ist nicht auszuschliessen. Eva Kaili ist nicht die Einzige, die sich in den letzten Monaten öffentlich für Katar einsetzte. Ihre jetzige Verhaftung rückt auch weitere Fürsprecher:innen in ein schlechtes Licht. So vertrat etwa auch der Internationale Gewerkschaftsbund die Position, das Land habe im Bereich der Arbeiter:innenrechte seit der WM-Vergabe viele Fortschritte gemacht und weitreichende Reformen beschlossen. Mindestens auf dem Papier trifft das freilich zu: Dazu zählt etwa die Abschaffung des sogenannten Kafala-Systems, das es Arbeiter:innen untersagte, ihren Job zu wechseln.

Gewerkschaftspräsident Luca Visentini beteuert nach seiner Freilassung gegenüber der Zeitung «La Repubblica», er selbst sei bloss in die Untersuchung hineingeraten, und zwar, weil er in der Vergangenheit mit der NGO Fight Impunity zusammengearbeitet habe. Er habe nun der Justiz alle erforderlichen Informationen zugestellt. Visentini ist ein politisches Schwergewicht der europäischen Linken. Auch in der WOZ ist er in der Vergangenheit schon ausführlich zu Wort gekommen (siehe WOZ Nr. 22/21). Der Internationale Gewerkschaftsbund betonte in einer Stellungnahme, gegen ihn würden die belgischen Behörden keine direkten Vorwürfe erheben.

Roberta Metsola, Präsidentin des EU-Parlaments, versicherte in einer Rede am Montag, dass «nichts unter den Teppich gekehrt» werde. Und sie kündigte unter anderem eine interne Untersuchung sowie Reformen zur Stärkung der Transparenz an. Regelrecht bestürzt zeigte sie sich: «Die Feinde der Demokratie werden vor nichts haltmachen», so die Präsidentin. Ob es der einzigen direkt von der europäischen Bevölkerung gewählten EU-Institution gelingen wird, das Vertrauen der Wähler:innen zurückzugewinnen – das muss sich noch zeigen. Es wird vor allem auch davon abhängen, wie viele dieser «Feinde» selbst Teil davon sind. Die Regierung Katars streitet bis jetzt jegliche Korruptionsversuche ab.