Wichtig zu wissen: Gekribbeltes Gedribbel
Ruedi Widmer über ein Kunstunglück neben dem Kunstrasen
Fussball, Milliarden, Katar, Bestechung. Da lohnt es sich, den Fokus mal zu ändern. Es wird auch hierzulande Fussball gespielt, und zwar nicht scheichgefördert, sondern als Vereinsarbeit von unten, Freiwilligenarbeit.
Der FC Tössfeld in Winterthur hat unweit von meinem eigenen Daheim mit städtischer Beteiligung auf dem Sportplatz Talgut ein neues Vereinslokal erhalten. Der Aufenthaltsraum hat nun Bekanntheit erlangt dank der Künstlerinnen Maureen und Stefanie Kägi mit ihrer «Kunst am Bau» im Auftrag der Stadt. Als ich das Bild davon im «Landboten» sah, war mir sofort klar, dass das wieder mal eine dieser «Kunstdiskussionen» auslösen würde.
Der Raum wurde mit knallblauem Spray gestaltet. Auf den ersten Blick ein Gekribbel, rasant angebrachte Linien, kreuz und quer über Wände und Decke hinweg, auf den zweiten sind darin fussballspielende Figuren zu erkennen, Fussballschuhe, Tränen. Eine durchaus kühne Zeichnung, die die Dynamik des Spiels beschreiben könnte, oder eine Spielskizze Murat Yakins aus der Pause bei Schweiz gegen Portugal, um die verwirrten Spieler noch mehr zu verwirren.
Das alles scheint mir ein tragisches strukturelles Unglück zu sein.
Der Vereinsvorstand und die Junioren empfinden die Kunst aber als störend. Sie seien nicht in den Entstehungsprozess miteinbezogen worden (haben es angeblich aber auch versäumt, sich dafür zu interessieren). Die Kunst nehme so viel Raum ein, dass sie sonst nichts mehr aufhängen könnten, Fotos, Tabellen, Auszeichnungen. Der Raum sei ungemütlich. Sie müssten ja nun mit diesem Kunstwerk leben. Die Empörung in der Onlinecommunity des «Landboten» und von «20 Minuten» ist gross («Vandalenakt», «Geschmier», «Das kann ich auch»), und wie immer bei Kunstempörung werden die Kosten des Kunstwerks thematisiert (28 000 Franken).
Ich kann dieses Unverständnis nachvollziehen, warum Kunst an einen Ort soll, wo für die Vereinsarbeit jeder Rappen umgedreht werden muss. Was in der Kunstgalerie funktioniert, ist beim FC Tössfeld am falschen Ort. Entweder erkennt die den Prozess begleitende Arbeitsgruppe von Kultur-, Bau- und Sportdepartement diese sozialen Welten nicht, was ich mir kaum vorstellen kann, oder dann ist es Kunsterziehung mit der Brechstange.
Ich kenne die Kunst- und die Sportvereinswelt, und beide sind eher selbstbezogene Systeme mit wenigen Überlappungen. Da in einen Dialog zu treten, braucht Fingerspitzengefühl, gegenseitiges Kennenlernen und Respekt. Es ist nicht so, dass Sportler:innen einfach nichts von Kunst verstehen. Und die Kunst des «Malerduos» (Tele Top) ist auch nicht schlecht, sondern Resultat eines stringenten Arbeitsprozesses, wie viele weitere Werke von Maureen und Stefanie Kägi zeigen. Die Künstlerinnen stellen zurzeit auch in der Dezemberausstellung des Kunstvereins im Kunstmuseum Winterthur aus.
Das alles scheint mir einfach ein tragisches strukturelles Unglück zu sein.
Ich habe in der WOZ Nr. 15/14 über ein Werk von Blanca Blarer berichtet, das mich damals in seinen Bann gezogen hat: einzelne minim unterschiedlich gekippte Fassadenplatten am SBB-Bürogebäude «Stellwerk» beim Bahnhof Winterthur. Ich fühlte mich da selber provoziert, weil das Werk so minimalistisch ist, dass kaum jemand, auch die Lokalpresse, überhaupt ein Kunstwerk dahinter erkannte. Dieser Umstand schlug bei mir sehr schnell in Sympathie für das Werk um.
Nun hat auch niemand registriert, dass Blarers Werk verschwunden ist. Beim Umbau der Bahnhofsunterführung vor drei Jahren wurde es mit weiteren «normalen» Fassadenplatten demontiert und ist nach dem Umbau nicht wieder an seinen Platz zurückgekehrt.
Diese Arbeit war das Gegenteil vom Werk der Kägis. Wer sie erkannte, hatte seinen Spass für sich, obwohl Hunderte jeden Tag daran vorbeigingen. Subtile Kunst. Geheime Kunst. Ohne empörte Öffentlichkeit.
Ruedi Widmer ist Cartoonist in Winterthur und sowohl Kunst- als auch Sportfreund.