Auf allen Kanälen: Sparen mit Tamedia
Bei Stellenabbau lautet das Zauberwort bei Tamedia: Frühpensionierung. Das klingt freundlicher – und kommt den Konzern billiger.
Die bislang billigste Sparmassnahme von Tamedia war zum dritten Advent in der «SonntagsZeitung» zu lesen: Ein Artikel aus dem Jahr 2015 über die unterschiedlichen Erwartungen von Männern und Frauen angesichts der Festtage wurde da ungeniert nochmals abgedruckt – weil er seinerzeit «viel Freude» ausgelöst und seither angeblich «nichts von seiner Gültigkeit verloren» habe, wie es in der Fussnote hiess.
Um einiges findiger geht Tamedia vor, wenn beim Personal gekürzt werden soll. Derzeit läuft die letzte Runde des riesigen Sparprogramms, das der Mutterkonzern TX Group im Sommer 2020 den Tamedia-Bezahlmedien verordnet hatte: Bis Ende 2022 sollen dort siebzig Millionen Franken eingespart werden. Allein im Ressort Leben (Gesellschaft, Kultur, Wissen) werden nun insgesamt rund 600 Stellenprozente gestrichen. Darunter eine freiwillige Kündigung und eine Entlassung, bei den übrigen Fällen lautet das Zauberwort: Frühpensionierung, das klingt freundlicher.
Doch die Wahrheit sieht anders aus. Die Älteren müssen zwischen einer Kündigung mit Abgangsentschädigung und einer unfreiwilligen Frühpensionierung wählen. Letztere kommt den Konzern billiger. Doch wer sich für eine Frühpensionierung entscheidet, muss bis zur ordentlichen Pensionierung stempeln gehen, wenn er oder sie keine Beitragslücken in Kauf nehmen will. Das ist im beschlossenen Sozialplan so vorgesehen. Vorzeitig pensioniert heisst hier also: wenige Jahre vor dem Pensionsalter nochmals Dutzende von Bewerbungen schreiben, um Arbeitslosengelder zu beziehen.
Kosten auf den Staat abwälzen
Wenn Tamedia darauf verweist, dass der Stellenabbau durch den Sozialplan abgefedert werde, so heisst das eigentlich: Abgesehen von der Abgangsentschädigung ist es die Arbeitslosenkasse, die den Abbau abfedern soll. Ganz nach der bewährten Devise: Profite werden privatisiert, die Kosten möglichst auf den Staat abgewälzt. Auch Stephanie Vonarburg von der Mediengewerkschaft Syndicom hält diese Praxis für stossend: «Die Kosten für den Abbau werden hier teilweise an die Sozialwerke delegiert. Das ist angesichts der Gewinne des Konzerns effektiv fragwürdig.»
Fragwürdig, aber so weit rechtens. Gemäss einer gesetzlichen Ausnahmeregelung dürfen Frühpensionierte, die «aus wirtschaftlichen Gründen» die Stelle verlieren, zwar Arbeitslosengelder beziehen. Aber mit diesen wirtschaftlichen Gründen ist das so eine Sache bei einem Konzern, der zuletzt wieder Dividenden in Höhe von rund siebzig Millionen Franken ausgeschüttet hatte. Nach pandemiebedingten Verlusten und Dividendenverzicht im Jahr 2020 vermeldete die TX-Holding für 2021 bereits wieder riesige Betriebsgewinne. Die Bezahlmedien von Tamedia, die immer noch fast die Hälfte des gesamten Umsatzes im Konzern ausmachen, verzeichnen dabei die tiefste Gewinnmarge. Dank des Geschäfts mit digitalen Marktplätzen wie Ricardo und Homegate stieg der Gewinn der TX Group im vergangenen Jahr dennoch auf über 830 Millionen Franken.
KI braucht keinen Sozialplan
Erst kürzlich lancierte der Konzern zudem einen eigenen Fintech-Investmentfonds im Umfang von hundert Millionen Franken. Die andere frivole Pointe zur jüngsten Sparrunde beim Journalismus, im einstigen Kerngeschäft des Konzerns, lieferte dann dessen einstiges Flaggschiff, der «Tages-Anzeiger». Im Vorfeld der von Konzernchef Pietro Supino feierlich eröffneten «TX Conference» zum Thema «Künstliche Intelligenz» durften vierzig Journalist:innen im «Tagi» quasi die mediale Begleitmusik zur Tagung liefern, mit einem grossen Onlinespecial und auf neun Sonderseiten in der Printausgabe. Dabei gingen sie auch der Frage nach, was Textgeneratoren für die Zukunft des Journalismus bedeuten könnten – und das nur wenige Wochen nach den Kündigungsgesprächen bei Tamedia.
Schon 2018 hatte Tamedia bekanntlich zweimal einen Textroboter namens Tobi für die lokale Berichterstattung über eidgenössische Abstimmungen eingesetzt – angeblich mit grossem Erfolg. «Der Algorithmus», so liess der Konzern damals verlauten, «ersetzt nicht die Arbeit von Journalisten, sondern ermöglicht es, Artikel zu schreiben, die bisher kein anderes Medium liefern konnte.» Seit Ende 2018 ist Tobi indes verschollen. Wie praktisch: Für Textroboter brauchts keinen Sozialplan.