Tamedia: Dividenden statt Journalismus
Der finanzstärkste Medienkonzern der Schweiz schliesst zwei Druckereien und baut 290 Stellen ab. Das wirkt sich auf das gesamte Mediensystem und die Demokratie aus.
Das Muster ist altbekannt: Sobald bei den Tamedia-Zeitungen die Profite sinken, reagiert der Konzern mit Stellenabbau. Und schiebt dann jeweils die (lächerliche) Copy-Paste-Begründung vor: Um Qualitätsjournalismus nachhaltig finanzieren zu können, sei ein Stellenabbau unumgänglich. Das war auch am Dienstag dieser Woche nicht anders. Allerdings ist das Ausmass des Abbaus enorm. Als wäre die TX Group, zu deren Holding Tamedia gehört, in arger wirtschaftlicher Bedrängnis.
Dabei hat der reichste Medienkonzern der Schweiz in den vergangenen fünfzehn Jahren einen kumulierten Gewinn von 2,2 Milliarden Franken eingefahren. 670 Millionen Franken an Dividenden liess VR-Präsident Pietro Supino an die Aktionär:innen ausschütten, insbesondere an den eigenen Coninx-Clan; Verwaltungsrat und Unternehmensleitung hat er deutlich über 100 Millionen ausgezahlt. Eine Gewinnmarge von zwei Prozent wie aktuell scheint für die knallharten Kapitalist:innen von der Werdstrasse nicht hinnehmbar.
Dafür müssen jetzt Druckereimitarbeiter:innen und Journalist:innen bluten: Der Konzern schliesst bereits im März 2025 seine Druckerei in Bussigny VD und jene in Zürich Ende 2026, 200 Vollzeitstellen gehen verloren. Die Druckerei in Bern bleibt bestehen und soll gar ausgebaut werden. Grund für die Schliessungen sei die zu tiefe Auslastung über die drei Druckereien von bloss noch fünfzig Prozent. Auf den Redaktionen streicht Tamedia neunzig Stellen.
Wen es wo trifft, gaben die Verantwortlichen am Dienstag noch nicht bekannt. Klar ist hingegen die strategische Neuausrichtung: Vorderhand verändert sich im Print nichts, alle Titel erscheinen wie bisher; neu aufstellen wird sich Tamedia online. Hier setzt der Verlag auf vier «Future Brands»: «Tages-Anzeiger», «24 heures», «Basler Zeitung» und «Berner Zeitung». Kleinere wie der «Landbote» aus dem Grossraum Winterthur verschwinden als eigene Titel aus der Onlinewelt von Tamedia – und so aus dem Bewusstsein der Nutzer:innen.
Die Folgen im Print
Dass der Druckumfang bei sinkenden Auflagen nachgibt, ist nachvollziehbar. Dass darum dieser radikale Schnitt notwendig ist, bezweifelt Michael Moser von der Mediengewerkschaft Syndicom. «Damit verschwinden Druckkapazitäten für immer. Dass andere diese je wieder ersetzen, ist unwahrscheinlich», sagt er. Damit werde Print zur Scheintoten erklärt. Moser sagt, Tamedia hätte genügend finanziellen Spielraum für einen weniger radikalen Umgang mit den aktuellen Herausforderungen. Die Tamedia-CEO Jessica Peppel-Schulz, die von Supino vorgeschickt wurde, liess in einem NZZ-Interview offen, wie lange die letzte Druckerei in Bern bestehen bleibt. «Es gibt kein Enddatum für die gedruckten Zeitungen.»
Von den einst stolzen Zeitungsdruckereien in der Schweiz sind ohnehin nicht mehr viele übrig. Die NZZ hat ihre Druckereien aufgegeben. Ende September schliesst Ringier die letzte eigene Druckerei (Zeitschriften). Das andere grosse Medienhaus, CH Media, unterhält noch zwei Zeitungsdruckereien in St. Gallen und Aarau (hier wird auch die WOZ gedruckt). Der Konzern könnte von den rückläufigen Druckkapazitäten mittelfristig profitieren. Weniger rosig sieht es aber für alle jene kleinen und grossen Medienhäuser aus, die keine eigenen Druckereien mehr besitzen.
Möglich, dass die letzten noch bestehenden Druckereien bald den Tarif durchgeben. Die begehrten Druckslots in der Nacht sind beschränkt. Michael Moser sagt: «Es ist nicht ausgeschlossen, dass bald nur noch der Meistbietende wie bisher tagesaktuell erscheinen kann. Direkt vor dem Erscheinen am Morgen gibt es schlichtweg keinen Platz mehr für alle. Wer es sich nicht leisten kann, müsste zwei oder drei Tage alte Geschichten drucken lassen.» Das klingt besorgniserregend, und es beeinflusst die Konkurrenzfähigkeit und die Qualität dieser Printzeitungen. Entscheidend ist auch die zeitnahe und zuverlässige Zustellung der Post. Diese beklagt sich, dass ihr Service nicht kostendeckend sei, und spricht von einem Fehlbetrag von sechzig Millionen im Jahr 2023.
Die Folgen für die Demokratie
Der radikale Einschnitt von Tamedia wirkt sich somit auf das gesamte Mediensystem der Schweiz aus. Die Sicherheit der Versorgung mit Informationen gerät weiter unter Druck. Sie ist allerdings Grundlage einer aufgeklärten Demokratie. Was passiert, wenn sich ganze Regionen in Informationswüsten verwandeln, kann man in den USA oder auch in Ostdeutschland beobachten. Diese Prozesse begünstigen Falschinformationen, Behördenkorruption und politische Radikalisierung.
Einschneidend sind die neusten Entscheidungen von Tamedia insbesondere für die Lokal- und Regionalberichterstattung – die Konzentration auf wenige grosse digitale Plattformen schwächt die demokratischen Aushandlungen in den Kantonen und Gemeinden. Deswegen sollten die Politiker:innen in Bern wie auch die Kantonsregierungen nun endlich eine Medienförderung aufgleisen, die angemessene Antworten auf die Herausforderungen gibt. Die Forderung des Verlegerverbands, 45 Millionen Franken mehr für die indirekte Presseförderung zu sprechen – von der auch Tamedia profitieren würde –, ist nicht abwegig, aber jedenfalls keine adäquate Antwort.