Asylpolitik: Ihre drei Baustellen

Nr. 1 –

Seit Anfang Jahr untersteht der Asylbereich der neuen SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider. Sie verfügt durchaus über Handlungsspielraum.

Elisabeth Baume-Schneider an einer Medienkonferenz nach ihrer Wahl im Dezember.
Was wird sie in der Asylpolitik bewirken können? Elisabeth Baume-Schneider, hier an einer Medienkonferenz nach ihrer Wahl im Dezember. Foto: Peter Schneider, Keystone


Die Meldung wurde damals kaum zur Kenntnis genommen: Ende 2021 stellte das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) seinen Beratungsdienst für humanitäre Visa ein. Diese ermöglichen es gefährdeten Personen, legal in die Schweiz einzureisen, um Asyl zu beantragen. Eingestellt hat das SRK sein Beratungsangebot, weil das Staatssekretariat für Migration (SEM) ohnehin praktisch alle Visumsgesuche ablehnte. Allein 2021 waren mehr als 3000 Anfragen beim SRK eingegangen, 94 humanitäre Visa wurden vom SEM schliesslich erteilt.

In absoluten Zahlen ist die Bedeutung der humanitären Visa für das Schweizer Asylsystem überschaubar. Und doch verdeutlicht das Beispiel, dass es durchaus einen Unterschied macht, wer die Verantwortung für das Asyldossier innehat. Seit Anfang dieses Jahres ist das Elisabeth Baume-Schneider, die neu gewählte SP-Bundesrätin. Während Vorgängerin Karin Keller-Sutter ihren Handlungsspielraum immer wieder zuungunsten der Geflüchteten auslegte, lassen Äusserungen der neuen Verantwortlichen während ihres Bundesratswahlkampfs auf das Gegenteil hoffen.

Und das ist dringend nötig: Die Herausforderungen, vor denen sie steht, sind beachtlich, die Zustände im Asylbereich desaströs. Grob lassen sich drei Handlungsfelder ausmachen, in denen Baume-Schneider ihren Einfluss geltend machen kann: die Zugänglichkeit des Asylverfahrens, die Lebensbedingungen während des Verfahrens und der rechtliche Status nach Abschluss des Verfahrens.

Die Frage der humanitären Visa fällt in die erste Kategorie – und damit in jene, die auf nationaler Ebene wohl am wenigsten Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Eine weniger restriktive Praxis zur Vergabe humanitärer Visa wäre aber sicherlich ein Anfang. Die einzige andere legale Möglichkeit, in die Schweiz einzureisen, bietet das Resettlement-Programm des Uno-Flüchtlingshilfswerks UNHCR – eigentlich. Kurz vor Jahresende kündigte Karin Keller-Sutter nämlich an, die Teilnahme der Schweiz daran zu sistieren. Auch das ein Entscheid, der dringend korrigiert werden muss.

Vermeidbarer Flaschenhals

Deutlich mehr Gestaltungsmöglichkeiten stehen der neuen Justizministerin im Bereich der Unterbringung während des Asylverfahrens zu. Wobei Baume-Schneider ihr Amt in einer turbulenten Phase antritt: Erstmals seit seiner Einführung 2019 erlebt das neue Asylsystem einen ernsthaften Belastungstest.

Die alarmistischen Medienberichte, die derzeit kursieren, trügen allerdings. Zwar stimmt es, dass die insgesamt über 70 000 Geflüchteten aus der Ukraine, die letztes Jahr Schutz in der Schweiz gesucht haben, die Behörden vor bisher ungekannte Herausforderungen stellten. Der Bund hat dafür den «Schutzstatus S» aktiviert, was ihm die Behandlung der Gesuche ausserhalb des üblichen Asylverfahrens erlaubte. Hinzu kommen rund 22 000 weitere Asylgesuche, die im vergangenen Jahr gestellt wurden. Das sind etwa so viele wie jeweils in den Jahren 2011 bis 2014. Also keine ausserordentlich grosse Zahl, bloss mehr als in den letzten Jahren.

Das ist wenig überraschend. 2019 war die Zahl der Gesuche noch so tief wie sonst nie in den 2010er Jahren. Dann folgte die Pandemie mit noch tieferen Zahlen. Das ist jetzt vorbei. Die aktuelle Situation zeigt, dass das System einem Belastungstest nicht standhält: In den Zentren fehlt es an Personal und an Schlafplätzen. 2022 wurden zudem 10 000 Asylgesuche weniger bearbeitet als noch 2018 unter dem alten Regime. Die Erkenntnis ist banal: Die mit der Gesetzesrevision vorgenommene Intensivierung der Kontrolle über die Geflüchteten bringt erheblichen Mehraufwand mit sich.

Dieser Flaschenhals aber wäre zu vermeiden: Schlafplätze können organisiert, Personal kann eingestellt werden. Dafür muss Baume-Schneider mehr Ressourcen für die Betreuung zur Verfügung stellen. Helfen kann dabei auch die Zivilgesellschaft, die seit der Asylgesetzrevision von 2019 weitgehend vom Prozess ausgeschlossen wurde. Was sie zu leisten vermag, zeigte im letzten Jahr der Umgang mit Geflüchteten aus der Ukraine. Auch im übrigen Asylbereich sollte die private Unterbringung möglich werden.

Überfällige Reform

Die vielleicht drängendste Massnahme schliesslich betrifft die dritte Kategorie. SP-Nationalrätin Samira Marti bezeichnet sie als «den grossen Elefanten im Raum»: die Reform der «vorläufigen Aufnahme». Diesen Status erhalten rund ein Drittel der Personen, die in der Schweiz um Asyl ersuchen. Die meisten von ihnen bleiben langfristig hier. Solange sie nur als vorläufig aufgenommen gelten, erhalten sie aber weniger staatliche Unterstützung, als in der Sozialhilfe vorgesehen wäre. Die Reisefreiheit der Geflüchteten wird zudem stark beschränkt. Das Prädikat «vorläufig» stigmatisiert sie derweil – und erschwert ihnen etwa die Suche nach einem Arbeitsplatz.

Eine Reform der vorläufigen Aufnahme ist überfällig. Angedacht von Politiker:innen wie Samira Marti ist eine Überführung in einen neuen «humanitären Schutz». «Karin Keller-Sutter hat die Reform aber nie unterstützt», sagt Marti. Sie hofft, dass die neue Bundesrätin das Projekt jetzt voranbringen wird: «Ich wünsche mir von Baume-Schneider, dass sie diesbezüglich deutlich mehr Gestaltungswillen mitbringt.»