Neue Asylpolitik: Es ist kompliziert
Der Neustart in der Asylpolitik unter SP-Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider lässt auf sich warten. Kleine Verbesserungen stehen grossen Versäumnissen entgegen.

Bald wird die neue Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider mit einer Zahl in den Bundesrat gehen, die vielleicht schon als Chiffre für ihre Asylpolitik herhalten muss. Die Zahl wird allem Anschein nach null betragen: null Aufnahmen von Geflüchteten im Rahmen des Resettlementprogramms des Uno-Flüchtlingshilfswerks UNHCR.
Über dieses Programm hatte die Schweiz bis letzten Herbst besonders verletzliche Personen direkt aus Lagern im Libanon, in Ägypten oder der Türkei in die Schweiz geholt, zwischen 1500 und 2000 Personen pro Jahr, die sich nicht auf den gefährlichen Weg übers Mittelmeer machen mussten, um ein Asylgesuch stellen zu können. Bis die damalige Justizministerin Karin Keller-Sutter (FDP) das Programm im letzten Herbst mit Verweis auf die hohe Zahl an Geflüchteten aus der Ukraine aussetzte.
Dabei belässt es SP-Frau Baume-Schneider bis auf Weiteres. Sie habe bei den Kantonen nachgefragt, ob man wieder ins Resettlement einsteigen könne, sagte sie kürzlich an einer Veranstaltung in Zürich, doch diese hätten abgewunken. Keine Abweichung zu KKS also in dieser Frage. Und an anderen Stellen? Geht es überhaupt irgendwo vorwärts?
Sabotage durch KKS
Sophie Guignard, politische Sekretärin der NGO Solidarité sans frontières, ist «ein bisschen ernüchtert» von den ersten Monaten unter der neuen Departementsleitung. «Wir merken nicht, dass sich irgendetwas verändert hat», sagt sie. Ein Beispiel: die Ausschaffungen nach Kroatien. Trotz unbestrittener Beweislage, dass die kroatische Polizei Geflüchtete mit grösster Brutalität behandelt und systematisch ihrer Rechte beraubt, schiebt die Schweiz weiterhin verletzliche Personen dorthin ab. «Wir haben in den letzten Wochen wieder Fälle erlebt, wo Familien mit kleinen Kindern, die in Kroatien massive Gewalt erlebt hatten, dorthin zurückgebracht wurden», sagt Guignard. Es sei unerhört, dass diese Abschiebungen mit der Zustimmung einer linken Bundesrätin geschähen.
Im Justizdepartement (EJPD) verweist man auf ein Leiturteil des Bundesverwaltungsgerichts, das Ende März Ausschaffungen nach Kroatien grundsätzlich als zumutbar qualifizierte. Das Departement könne dieses Urteil unmöglich infrage stellen. Guignard sagt dagegen, das zuständige Staatssekretariat für Migration (SEM) könne immer noch die sogenannte Souveränitätsklausel anwenden und trotz Registrierung in Kroatien ein eigenes Asylverfahren in der Schweiz ermöglichen. Doch dafür fehlt der politische Wille. Dass das SEM der Lage allerdings selber nicht traut, zeigt ein geplantes Pilotprojekt in Kroatien. Dort sollen aus der Schweiz zurückgeschaffte Asylsuchende künftig Zugang zu einem von der Schweiz mitfinanzierten Unicef-Programm zur Unterstützung von unbegleiteten Minderjährigen und Familien erhalten.
Das Projekt in Kroatien ist beispielhaft für die neue Asylpolitik: Die Analyse ist gemacht, die Probleme sind erkannt, aber werden nicht ernsthaft angegangen. Vor allem aus Angst, im rechten Parlament und im rechten Bundesrat aufzulaufen. Stattdessen versucht Baume-Schneider, Zwischenräume für kleine Verbesserungen zu finden, ohne anzuecken.
So läuft das auch bei der Regularisierung von abgewiesenen Asylsuchenden, die seit Jahren Nothilfe beziehen. Ohne jede Perspektive und unter prekärsten Bedingungen leben in Nothilfeinstitutionen rund 3000 Personen, die noch vor der Asylrechtsreform 2019 beurteilt worden waren. Sie haben einen negativen Asylentscheid erhalten, können aber wegen fehlender Papiere oder Rücknahmeabkommen nicht in ihr Heimatland zurück. Darunter befinden sich etwa zahlreiche Tibeter:innen.
Keller-Sutter hatte eine generelle Regularisierung vehement abgelehnt – aus Angst, eine solche könne auf Migrant:innen anziehend wirken. Baume-Schneider verteidigte diese Position während der letzten Session im Nationalrat, unterlag dabei aber einer Mehrheit aus linken und Mitte-Politiker:innen, die sich für ein Ende der absurden, grausamen Situation einsetzten. Zugleich hat sie das SEM angewiesen, es solle seine Empfehlungen zu Härtefällen bei abgewiesenen Geflüchteten ändern. Die Kantone sollen solche neu nach fünf statt nach zehn Jahren prüfen. Und man verspricht im Departement eine rasche Umsetzung, sollte auch der Ständerat der Regularisierung zustimmen.
Wie kompliziert eine konstruktive Asylpolitik schnell werden kann, zeigt sich bei Baume-Schneiders Vorschlag, für 130 Millionen Franken Containerdörfer zu bauen, um die Kantone bei der Unterbringung von Geflüchteten zu unterstützen. Im Bundesrat verlangte Finanzministerin Keller-Sutter eine Kostenbeteiligung der Kantone – dort ist der Ärger darüber beträchtlich. Und damit das Grossprojekt stark gefährdet. Im Departement vermutet man, Keller-Sutter wolle ihrer Nachfolgerin keinen eigenen Erfolg gönnen; befürchtet werden weitere Sabotageakte.
Einen Erfolg erzielt hat Baume-Schneider in der Integrationspolitik, die zuoberst auf ihrer Prioritätenliste steht: Ukrainische Jugendliche sollen ihre Berufslehren abschliessen können, auch wenn der Krieg irgendwann zu Ende gehen und ihr Schutzstatus aufgehoben werden sollte. Das hatte Keller-Sutter noch abgelehnt. Weil sich sowohl Kantone als auch Wirtschaftsverbände und bürgerliche Politiker:innen dafür einsetzen, ist das politische Risiko für Baume-Schneider dabei gering.
Irritierte Städte
Derweil bleiben gewichtige Konflikte ungelöst. Etwa jener mit der Städteallianz, die seit Jahren fordert, eigenständig zusätzliche Geflüchtete aufnehmen zu können. Keller-Sutter blockierte die Forderung erfolgreich – und heute heisst es aus dem SEM, die Städte hätten das Interesse daran verloren. Dabei bestehe dieses weiterhin, teilt die Stadt Zürich auf Anfrage mit. Die Irritation über den Bund ist anhaltend gross. So habe das SEM nach Kriegsausbruch die Städteallianz gefragt, ob sie Plätze für ein Kontingent von 380 ukrainischen Flüchtlingen aus Moldau bereitstellen könnte. Nachdem die Plätze geschaffen worden seien, habe sich das SEM nie mehr gemeldet, teilt die Städteallianz auf Anfrage mit.
Für Sophie Guignard von Solidarité sans frontières ist klar, dass es einen Paradigmenwechsel in der Asylpolitik braucht. Dieser beginne mit einer Veränderung des Diskurses, mit einer neuen Rhetorik, mit anderen Signalen. «Doch Baume-Schneider pflegt genau den gleichen, krass rechten Diskurs wie ihre Vorgängerin», beklagt Guignard. Sie verweist auf Aussagen in einem Interview mit der NZZ. Baume-Schneider hatte dort «schärfere Kontrollen» an den EU-Aussengrenzen gefordert – als wäre die Repression nicht schon immens.
Guignard sagt, dass Baume-Schneider die europäische Asylpolitik nicht umkehren könne, sei eine Sache, dass sie diese noch rechtfertige, eine andere. «Sie trägt damit zur Aushöhlung des Asylrechts bei.»
Kommentare
Kommentar von jonas.
Sa., 13.05.2023 - 13:52
Man kann hoffen, dass EBS sich hier mit einem Abwarten bis zu den Wahlen taktisch verhält. Möglicherweise ist sie sehr bedacht, der SVP, die die Asylschiene ein weiteres Mal sehr erfolgreich bespielt, keinen Zunder zu geben vor den Wahlen. Spätestens nach den Wahlen muss sie aber auch versuchen politisch heikle Geschäfte anzugehen.