Auf allen Kanälen: Café zur Zuversicht

Nr. 1 –

Verlässlich unzynisch und politisch korrekt: Eine Lobrede auf «Reformiert», die netteste Kirchenzeitung der Schweiz.

Logo der Zeitschrift «Reformiert».


Zu Gott finden wir Menschenkinder lieber in unpässlichen Situationen, als wenn es gerade wahnsinnig gut läuft. Eher dann, wenn die irdischen Handlungsspielräume eingeschränkt scheinen. Doch wäre es nicht wichtig, Gott auch zu erkennen, wenn er plötzlich in Erscheinung tritt oder, wie in diesem Fall, einem an der Türschwelle hinterhergeschmissen wird? Ich hatte meine Postadresse nach der Trennung noch nicht geändert, und die Betreibungsandrohungen stapelten sich in der Wohnung, wo ich neuerdings nicht mehr sehr erwünscht war. Schon gar nicht meine Post.

Von Zeit zu Zeit hiess es, ein sattes Bündel staatlicher Zärtlichkeiten abzuholen. Was mich beim ersten Mal noch wie der Blitz getroffen hatte, wurde seither zu einer rituellen Begegnung mit Gott, so glaube ich. Hatte ich nämlich die bösen Briefe erst einmal unter dem Arm, im Begriff, mich durch das nach Muratti-Zigaretten und Pangasiusfilet stinkende Treppenhaus wegzustehlen, krachte es schon von der Wohnungstür: «Das kannst du auch gleich mitnehmen! Nur wegen dir kommt das überhaupt hierhin! Das ist ein katholischer Haushalt!» In der S-Bahn zurück in die Stadt las ich fortan «Reformiert».

«Wenn sich Gott im Jetzt offenbart» – ich schlug auf Seite 9 auf, in der Adventsausgabe der evangelisch-reformierten Kirchenzeitung für die Deutschschweiz in einer Auflage von 673 215 Exemplaren. Sie ist 2008 aus den «Kirchenboten» für die Kantone Aargau, Zürich und Graubünden sowie dem «Saemann» für Bern, Solothurn und den Jura entstanden. Im Artikel hantiert der Pfarrer Neuenschwander aus Wabern auch mit Jürgen Habermas, wenn er seine Annäherung an alttestamentarische Psalmen erklärt.

Maschine für den Gottesdienst

Schnell ist man von der theologischen Deutungslust am Alltag erfasst. Der abtretende Münsterorganist Glaus sinniert im selben Heft über seine «hyperkomplexe Maschine, sozusagen ein mechanisch-analoger Vorläufer des Synthesizers», und dass sich mit ihrer Klangmacht der Gottesdienst erst als Gesamtkunstwerk entfalten könne. Nur wenige Seiten später lesen wir vom ambivalenten Verhältnis der Bibel zur Symbolik des Goldes, als «Zeichen göttlicher Gunst» oder moralisch falscher Anreiz, wie der angenehm moderierte Streifzug durch die Testamente nachzeichnet.

Dass «Reformiert», von einer fünfköpfig-föderalistischen Chefredaktion fast bundesrätlich angeleitet, Monat für Monat nicht nur spirituelles Wohlfühlprogramm parat hat, zeigen die weiteren Texte im Dossier «Gold»: Auf den Spuren der illegalen Goldschürfer im bedrohten Amazonas – Spuren, die selbstverständlich bis in die Schweiz führen – begegnen wir im Gespräch mit dem Historiker und Goldforscher Bernd-Stefan Grewe schliesslich den kolonialen Implikationen des Edelmetalls. Für mehr oder weniger säkularisierte WOZ-Leser:innen, die vor dem Schlafengehen noch fleissig «Le Monde diplomatique» pauken, mag das nichts Neues sein. Der Blick zu gewissen katholischen Nachbarn aber zeigt: Es ginge auch ganz anders.

«Chunnt scho guet»

Beispielsweise beim Onlinemagazin swiss-cath.ch, das im Oktober auf den Weg gebracht wurde. Schwerpunkte: Pro Life gegen alle Vernunft, Neuevangelisierung und christliche Einschwörung da, wo im reformierten Lieblingsblatt auch mal Geistliche anderer Religionen zu Wort kommen, um konfessionelle Gräben zuzuschütten. Als Geschäftsführer von swiss-cath.ch mit Hauptsitz Zug grüsst schliesslich ein gewisser Anian Liebrand, bekannt geworden als Präsident der Jungen SVP, und mehr gibt es dazu eigentlich nicht zu schreiben.

Wir «Reformiert»-Leser:innen haben das auch gar nicht nötig. Unser Blatt trotzt dem Weltgeschehen, ohne wegzuschauen, verlässlich unzynisch und politisch korrekt, dass es nie wehtut, auch wenn es manchmal fast zum Denken anregt. Es ist wie mit alten Leuten reden, die einen Kaffee Crème samt Zuversicht spendieren. Oder wie es Melanie Oesch von der Volksmusikgruppe Oesch’s die Dritten auf der Titelseite wendet: «Es chunnt scho guet». Und jetzt ab unter die Bettdecke mit einer Flasche Johnnie Walker und der nettesten Kirchenzeitung im Land.