Durch den Monat mit Johannes R. Millius und Daniel Blatter (Teil 1): Warum sind Sie hässig auf die Kirche?
Scham und Schuld, Zwangssteuern und Abtreibungsgegner:innen, aber immerhin cooler Sound: Das Walliser Duo Wort + Totschlag hat zur katholischen Kirche viel zu sagen – denn um sie kommt man in diesem Kanton nicht herum.
WOZ: Daniel Blatter und Johannes R. Millius, ich bin letzten Herbst zufällig in Ihrem Stück «Einfach mal die Messe halten» im Kellertheater Brig gelandet. Und habe gestaunt: Da machen sich zwei Menschen unter fünfzig einen ganzen Abend über die katholische Kirche lustig. Wieso beschäftigt Sie die so?
Johannes R. Millius: Wenn man im Kanton Wallis aufwächst, ist die katholische Kirche omnipräsent. Man kommt nicht um sie herum – ob man will oder nicht. Der Schulunterricht ist sehr katholisch geprägt, man geht miteinander durch die ganzen Sakramente, und auch sonst der Alltag: von der Tageszeitung, wo Pfarrer Kolumnen schreiben, bis zur Politik, die sich immer wieder an die Kirche anlehnt. Jeder aus unserem Umfeld, der hier gross geworden ist, hat extrem viele Erinnerungen an die Kirche. Das ist natürlich spannend für ein Stück, ein Reibungspunkt.
Daniel Blatter: Und auch ein Rahmen für uns, um Inhalte zu transportieren, die nicht nur mit der Kirche zu tun haben.
Millius: Ja, weil die Form des Gottesdienstes bei allen eine Erinnerung triggert.
Ausserhalb des Wallis haben viele in Ihrem Alter überhaupt keinen Bezug zur Religion. Bei Ihnen hatte ich hingegen den Eindruck, da ist ziemlich viel Wut. Die Kirche ist Ihnen nicht egal.
Blatter: Ja, da sind sicher aufgeladene Emotionen aus der Kindheit. Dieses Zwanghafte, aus dem ich schon damals ausbrechen wollte, ist immer als Spannung in meinem Leben geblieben. Das will man einfach mal rauslassen.
Millius: Ich denke, wenn du so zwangsgeprägt wirst wie wir im Wallis, wirst du auch viel radikaler gegenüber der Kirche. Meine Freundin, die in Zürich aufgewachsen ist, hatte während ihrer ganzen Schulzeit null Berührung mit Religion. Darum ist es ihr auch relativ wurst, was in der Kirche passiert. Aber hier müssen wir sogar unsere Kirchensteuern zahlen, wenn wir ausgetreten sind. Das Wallis ist einer von ganz wenigen Kantonen, wo das so ist. Man kann die Kultussteuern zurückfordern, bekommt aber nur einen Teil davon wieder.
Ist das der Grund für die Wut?
Blatter: Nicht nur. Bis etwa zwölf war ich voll drin in diesem Kirchenglauben, ich wollte das alles glauben, die Magie, das Christkind … Dann fing es an zu bröckeln – und zerfiel. Das Beichten, die Schuld und die Scham, das hat mich sehr gestresst.
Millius: Mich macht es rückblickend hässig, dass der Glaube als alternativlos verkauft wurde. Im Religionsunterricht hat in all den Jahren nie jemand erwähnt, dass man auch einfach nichts glauben könnte. Kein Wunder: Daniel hatte eine Ursulinenschwester als Religionslehrerin, ich hatte nacheinander drei Pfarrherren.
Können Sie der Kirche Positives abgewinnen?
Millius: Wenn im Wallis jemand stirbt, ist ganz klar, was passiert. Der Pfarrer kommt, es wird aufgebahrt und die Leute beten ihre Rosenkränze, dann ist die Beerdigung mit einem klar vorgegebenen Ablauf – solche Strukturen können extrem Halt geben. Das verstehe ich schon. Aber für mich persönlich? Die Musik ist schön und die Gewänder sind farbig …
Blatter: Die Kirchenfenster sind auch schön.
Millius: Ich tue mich schwer damit, denn überall, wo ich etwas Positives sehe, schwingt bei mir das Negative mit. Am besten finde ich wirklich den Soundtrack.
Den zelebrieren Sie ja auch am Schluss des Stücks mit einem Kirchenlieder-Medley, in dem «Laudato si» nahtlos in «Dancing Queen» übergeht …
Blatter: Also Jesus und seine Ideen sind auch nicht schlecht.
Millius: Das stimmt. Wir müssen differenzieren zwischen Kirche und Religion. Ich finde Religion nicht per se etwas Schlechtes. Und ich hatte durchaus positive Erlebnisse mit Menschen, die in der Kirche arbeiteten. Mehrere Familienmitglieder in der Generation meiner Grosseltern waren Priester, und das waren teils spannende Leute mit guten Ideen. Aber das hat mehr mit den Personen als mit der Institution zu tun. Sorry …
Es gibt ja auch linke Christ:innen. Aber im Wallis wohl kaum?
Millius: Spannenderweise waren meine Eltern Teil einer solchen linken Strömung. Sie waren in den neunziger Jahren inspiriert von der befreiungstheologischen Bewegung und fuhren regelmässig an die ökumenischen Treffen nach Taizé im Burgund. Aber heute nehme ich solche Strömungen im Wallis kaum noch wahr. Das war auch damals ein kleiner Kreis.
In Ihrem Stück erwähnen Sie, dass manche Walliser Kirchgemeinden mit offiziellen Geldsammlungen während Gottesdiensten, dem sogenannten Opfer, den «Marsch fürs Läbe» der Abtreibungsgegner:innen unterstützen.
Millius: Der «Marsch fürs Läbe» findet hier in Brig jedes Jahr statt, und fast niemand hinterfragt ihn. Letztes Jahr gab es immerhin eine Störaktion von Feministinnen. Wenn ich sehe, dass da Leute mitmarschieren, die bei uns in Gemeinderäten oder im Kantonsparlament sitzen … da wird mir schon ein bisschen schlecht.
Daniel Blatter (44) und Johannes R. Millius (32) treten als Wort + Totschlag auf. Sie sind in Brig aufgewachsen, wo Blatter heute noch lebt. Millius ist vor zehn Jahren nach Bern gezogen.