Durch den Monat mit Johannes R. Millius und Daniel Blatter (Teil 3): Hat die Oberwalliser Linke eine Chance?
Trotz Übermacht der Mitte-Partei haben Johannes R. Millius und Daniel Blatter die Hoffnung in die Oberwalliser Politik nicht ganz verloren. Aber die Einheimischen zum Mitmachen bei «Tschugger» zu motivieren, war Knochenarbeit.
WOZ: Daniel Blatter, Johannes R. Millius, Sie kritisieren, dass sich im Oberwallis die Kirche in die Politik einmische. Wie tut sie das?
Johannes R. Millius: Jetzt fliesst gerade eine Million Franken vom Walliser Lotteriefonds nach Rom in die Sanierung der Kaserne der Schweizergarde. Das hat Mitte-Staatsrat Christophe Darbellay organisiert. Am Volk vorbei. Der Kanton Luzern wollte zu diesem Zweck auch Geld in den Vatikan schicken, dort wurde aber darüber abgestimmt – und mehr als siebzig Prozent sagten Nein. Ich bin sicher, es wäre auch im Wallis nicht durchgekommen. Aber eben, wir konnten gar nicht darüber abstimmen. Und auch in der Bildung …
Was läuft dort?
Millius: Vor ein paar Jahren kam die Weisung, dass Lehrpersonen in einem Schulbuch die Links zu Aufklärungsseiten mit Tipp-Ex übermalen sollten. Es gab eine «IG Sorgfalt», die sich Sorgen machte, dass sich die Kinder im Internet über Sexualpraktiken informieren. Und die waren direkt mit dem für Bildung zuständigen Staatsrat verbandelt. Solche Sachen passieren immer wieder. Darbellay, Ständerat Beat Rieder oder Nationalrat Philipp Bregy, das sind Kirchenlobbyisten. Die haben sich auch lange geweigert, ihre Partei «Die Mitte» zu nennen, weil es ihnen so wichtig war, das Christentum im Namen zu behalten.
Auch Gott finde, Beat Rieder sei zu rechts, heisst es in Ihrem Stück «Einfach mal die Messe halten». Politisiert die ganze Mitte-Partei im Oberwallis so?
Millius: Nein. Es gibt mittlerweile auch bei der Mitte Leute, die sich lautstark gegen diese Entwicklung einsetzen, etwa Olivier Imboden. Sie haben sich auch für die Ehe für alle engagiert. Das Spektrum innerhalb der Partei ist sehr breit, es gab im Wallis immer auch die CSP als sozialen Flügel der CVP. Auf Gemeindeebene sind das heute noch zwei getrennte Parteien, die sich nicht immer einig sind.
Hat linke Politik im Oberwallis eine Chance?
Daniel Blatter: Die Linke ist schon immer in der Minderheit.
Millius: Aber die letzten Abstimmungsresultate stimmen mich optimistisch. Das Sterbehilfegesetz wurde angenommen – gegen Kirche, SVP und Mitte. Und bei der Ehe für alle hatte das Oberwallis sogar den höheren Ja-Anteil als das welsche Unterwallis.
Blatter: Gentrifizierung ist auch ein Thema, bezahlbare Wohnungen sind rar.
Ich war im Lötschental an einer Diskussion über den Service public. Mein Fazit war, die müssten eigentlich alle SP wählen. Tun sie aber nicht.
Millius: Ich glaube, da spielt auch Rosinenpickerei mit. Vom Service public profitiert eine Region wie das Wallis halt sehr, da geht es weniger um das Gesamtanliegen als um die eigenen Vorteile. Aber vielleicht bin ich unfair.
Können wir noch über «Tschugger» reden?
Millius: Wir waren beide auch beteiligt.
Blatter: So wie jeder im Oberwallis …
Millius: Ich habe bei den Castings mitgearbeitet.
Blatter: Ich bei der hochdeutschen Synchronfassung ein paar Stimmen eingespielt.
Wieso wurden die im Wallis eingespielt?
Blatter: Sie wollten Hochdeutsch mit Schweizer Akzent. Das Emil-Steinberger-Ding.
Millius: Wie bei «Norsemen», der norwegischen Wikingerserie. Ich finde sie grossartig. Die haben alles auch noch auf Englisch gedreht, mit diesem schweren skandinavischen Akzent. «Tschugger» lebt ja sehr vom Walliserdeutsch. Um den Charme in die deutsche Fassung zu transportieren, musst du das mit unserem Akzent machen.
Blatter (hochdeutsch mit Akzent): Gell numen?
Wie war es beim Casting?
Millius: Ich habe vor der ersten Staffel mit Regisseur David Constantin Leute für Nebenrollen gecastet, den Polizeichef Diego, die Sekretärin Ida, Teile der Polizeicrew. Wir haben nach Gesichtern und Ausstrahlung gesucht und dafür zum Beispiel Interviews im Lokalfernsehen geschaut. Einfach mal angerufen … und viele Telefongespräche mit misstrauischen Menschen geführt. Am Anfang wollte die Produktionsfirma die Nebenrollen über eine Agentur aus Zürich casten lassen. Dann merkte sie aber: Wenn jemand aus Zürich anruft und etwas von Fernsehen sagt, geht bei den meisten gleich der Laden runter. Auch von uns brauchte es viel Überzeugungsarbeit. Ich hörte oft: «Nein, komisch, mache ich nicht.» Ich glaube, das waren die Leute, die jetzt so richtig genervt vor dem Fernseher hocken …
Spielen in «Tschugger» lauter Lai:innen?
Millius: Ja. Beat Rieders Tochter hat übrigens eine kleine Nebenrolle als Kifferin. Meines Wissens spielt in der ganzen Serie nur ein Profischauspieler mit, und der sagt keinen einzigen Satz: der Bösewicht, Ginger. Aber die Serie lebt ja davon, dass sie nicht so geschliffen gespielt ist. Wir hatten im Casting auch Leute von Amateurbühnen, stellten aber fest, dass sie sich oft zu viel überlegen. Im Film spielst du ja viel minimalistischer als im Theater.
Blatter: «Tschugger», das ist wirklich so wie das Wallis. Ausser dass das Wallis weniger lustig ist.
Johannes R. Millius (32) ist Kulturproduzent und Verlagsleiter, Daniel Blatter (44) Gitarrenlehrer und Kinooperateur. Gemeinsam treten sie als Duo Wort + Totschlag auf.